"Allerhand auf Immenhof"

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Andrea1984
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Kapitel 466

Beitrag von Andrea1984 »

Dick ging hinüber ins Nebenzimmer, wo Ralf saß, die Hände in den Schoß gelegt, was eher untypisch für ihn war. Zuerst teilte Dick ihre Neuigkeiten mit, dann war Ralf an der Reihe.
„Wir werden bald nach Lübeck fahren, um die ehemalige Wohnung meiner Eltern aufzulösen. Was aus dem Haus werden soll, weiß ich noch nicht. Werner möchte es gerne verkaufen, Hilda ist es egal, was daraus wird, während Karolina und Gerda eher dafür sind, das Haus zu behalten. Nun kommt es auf meine Stimme an. Die Mehrheit entscheidet.“
Dick meinte, sie könnte dazu nichts sagen, da sie nur wenig Bezug zu dem Haus habe. Beim Ausräumen der ehemaligen Wohnung werde sie selbstverständlich mithelfen.
„Wollt ihr die Wohnung nicht behalten? Oder muss sie geräumt werden?“
„Meine Geschwister haben kein Interesse daran. Bei der jüngeren Generation weiß ich das nicht.“, gab Ralf offen zu. „Vielleicht sollte ich mit Werner und seinen Kindern reden. Oder Karolinas Töchter möchten die Wohnung haben. So oder so muss die Wohnung geräumt werden, egal wer einzieht.“

Noch im September fuhren Dick und Ralf mehrmals nach Lübeck. Zum einen, um die Wohnung zu entkernen und zum anderen wegen eines Notartermins, der anstand. Das Erbe von Anselm Schüller wurde zu gleichen Teilen an seine fünf Kinder verteilt. Die Enkelkinder gingen leer aus, da nicht genügend Geld vorhanden war. Was vom Erbe übrig geblieben war, war bereits in die Kosten des Begräbnisses investiert worden. Wenn Dick an ihren Schwiegervater zurückdachte, so empfand sie eine Erleichterung, dass er nun endlich von seinem Leiden erlöst worden war. Was hatte ihm das hohe Alter gebracht? Den Frust darüber, nicht leben und nicht sterben zu können? Oder eher den Triumph: „Seht her, ich habe sovieles erlebt, da werde ich wohl auch dem Tod ein Schnippchen schlagen können.“ Dick fand keine Antworten auf diese Fragen, welche sie sich oft stellte.

Wie so oft in ihrem Leben gab ihr auch diesmal die Arbeit Kraft, um über den Verlust hinwegzukommen. Bereits Mitte Oktober fiel der erste Schnee, blieb jedoch nur wenige Tage liegen. Dick begann langsam aber doch, sich in Eltville einzuleben, auch wenn sie sich hier nicht zu Hause fühlte. Ihr Herz gehörte, ja wohin, das wusste sie selbst nur vage. In Malente hatte sie ihre sorglose Jugend verbracht, in Lübeck und in Kanada ihre späteren Jahre, doch glücklich war sie an beiden Orten nie wirklich gewesen. Vielleicht würde es ihr gelingen in Eltville ihre Heimat zu finden.

Die ehemalige Wohnung war nun entkernt und wurde nun verkauft, während das Haus hingegen im Familienbesitz blieb. Ralf hatte einige Andenken aus der Wohnung darüber einen alten Kasten, der noch gut erhalten war und eine ebenso alte Schrankwand mitgenommen. Beides stellte er nun in seinem Arbeitszimmer auf. Dick fand, dass die Möbel hervorragend zu den bereits vorhandenen passten, als ob sie schon immer hier gestanden hätten. Dick wollte keine Erinnerungsstücke aus der alten Wohnung haben. Wozu auch. Es war ja nicht ihre Wohnung gewesen, auch wenn sie einige Jahre dort gewohnt hatte. Schon bald zogen die neuen Käufer ein. Dick erfuhr über Anna davon, die ganz in der Nähe wohnte beim Spazierengehen mit den Kindern einiges davon.

Eines Tages überwand sich Dick und verschickte zum ersten Mal eine E-Mail an einen Geschäftspartner. Eigentlich übernahm Ralf diese Aufgabe, doch er war an Grippe erkrankt und musste daher, auf anraten des Arztes, strikte Bettruhe einhalten. Selbstverständlich holte sich Dick zuerst Tipps von Ralf, was denn alles beim Verschicken einer E-Mail zu beachten war, wie man den Empfänger anredete und wie man einen Anhang mitschickte. Dick schwor sich, es würde bei diesem einen Versuch bleiben. Aber sie hielt ihren Schwur nicht lange. Der Geschäftspartner schrieb zurück, das Geschäft konnte abgewickelt werden, da alles seine Richtigkeit hatte.

Nun war Dick soweit und löcherte Ralf, der offenbar ein Profi in puncto Internet war, mit Fragen, ja sie legte sich sogar eine eigene E-Mail Adresse zu, unter der sie nun für ihre Kinder und Freunde erreichbar war. Dick stellte fest, dass das Versenden von E-Mails einfacher als jenes von Briefen und Telegrammen war. Auf diese Weise erfuhr sie Neuigkeiten, auf die sie früher eine Woche oder länger gewartete hätte, schon kurz nach dem jene geschehen waren. Etwas Mühe bereitete ihr noch, das Versenden von Anhängen, genauer das Öffnen der erhaltenen, doch mit der Zeit gelange es ihr.

Dick fand bald zu ihrer altgewohnten Lebensweise zurück, den Balanceakt zwischen Arbeit und Freizeit zu schaffen, ohne sich dabei allzu sehr zu überanstrengen. In ihrer Freizeit ging Dick, mal mit Ralf, mal alleine, ins Dorf hinunter, um neue Kontakte, ja vielleicht sogar Freundschaften zu knüpfen. Schnell gewohnte sich Dick an die Mentalität der Eingesessenen und passte sich deren Lebensweise an, ja sie abonnierte die Tageszeitung, um über alles auf dem Laufenden zu bleiben, was sie früher nie getan hätte. Ralfs Einkünfte waren nach wie vor flexibel, aber deutlich höher als in Lübeck.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am So 13.Aug.2017 0:00, insgesamt 2-mal geändert.
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Andrea1984
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Kapitel 467

Beitrag von Andrea1984 »

Dick versuchte dennoch, bescheiden zu leben und sich vom Wert des Geldes nicht irritieren zu lassen. Sie wusste nur allzu gut, was es hieß, jeden Pfennig dreimal umdrehen zu müssen. Ihre Mahnungen, doch etwas sparsamer zu leben, prallten an Ralf ab, wie das Wasser an einer Lotusblüte. Dick erfuhr, dass Ralf der Meinung war, er wolle deshalb das Geld ausgeben, weil er ja doch nichts mitnehmen könne. Nun ja, das klang nachvollziehbar. Dick konnte wirklich nicht klagen. Nur: Wofür sollte das viele Geld ausgeben? Kleidung besaß sie genug, Bücher ebenso, was wollte sie denn mehr. Gelegentlich investierte Dick „ein paar Mark“, wie sie scherzhaft sagte, in billige Zug- oder Flugtickets, um ihre Kinder und ihre Freunde zu besuchen, die alle doch deutlich entfernt von Eltville wohnten.

Natürlich lud Dick, mit Pankraz‘ Erlaubnis, auch Gäste nach Eltville ein, um Neuigkeiten auszutauschen, oder lange vermisste Freunde wiederzusehen, die ihr am Herzen lagen. Ja, Pankraz war immer noch der Hausherr, auch wenn er inzwischen deutlich zurückgezogen lebte und sich nur noch bei wichtigen Anlässen blicken ließ. Eines Morgens im November, Dick und Ralf saßen noch beim Frühstück, kam Pankraz herein. Er rieb sich die Hände. War es ihm etwa kalt geworden?
„Bleibt nur sitzen, Kinder. Ich hole mir schon meinen Tee selbst.“
„Was gibt es, dass du uns mit deiner Aufwartung beehrst?“, wollte Dick wissen. Normalerweise frühstückte Pankraz in seinen eigenen Räumen, weit weg von denen, in welchen Dick und Ralf lebten.
„Ich erzähle es euch gleich. Doch zuerst brauche ich einen warmen Tee. Draußen hat es, so kommt es mir vor, minus 40 Grad.“
Pankraz brühte tatsächlich den Tee selbst auf, nahm dann am Tisch, der reichlich gedeckt war, Platz.
Ralf bestrich ein Brötchen mit Butter und betrachtete dieses, so als wäre es eine Inspiration für seine nächste Zeichnung.
„Spann uns doch nicht länger auf die Folter. Wir haben nur wenig Zeit und sind sowieso schon spät dran.“, meinte Dick ein wenig ungeduldig, was so gar nicht ihrer Art entsprach.
„Die Arbeit läuft euch doch nicht davon. Wenn ihr jetzt später beginnt, dann arbeitet ihr eben bis Mitternacht. Wo also ist das Problem?“
„Nun ja, da hast du eigentlich recht.“, sagte Ralf mit halbvollem Mund.

„Hat deine Neuigkeit etwas mit dem Immenhof zu tun? Oder mit Dalli?“, Dick riet ins Blaue hinein.
„Alles falsch. Ich lasse euch noch ein wenig zappeln. Darauf kommt ihr ja doch nicht.“
Dick nippte an ihrem Kaffee, den sie viel zu stark gemacht hatte und der ihr fast die Zunge verbrannte.
„Mit Geld kann die Neuigkeit nichts zu tun haben, da bin ich mir sicher.“, dachte Dick.
Ralf gab sich entweder auch ahnungslos oder er wusste tatsächlich Bescheid. Sein Gesichtsausdruck war neutral. Pankraz rührte im Tee, ohne diesen zu trinken. Vermutlich war er noch zu heiß.

„Geht es dir gut? Nicht, dass du womöglich Krebs oder etwas am Magen hast und du erzählst es uns erst, wenn es schon fast zu spät ist, damit wir uns keine Sorgen um dich machen sollen.“
„Kinder, ihr habt ja Ideen, dass muss ich schon sagen. Mir geht es gut. Ich fühle mich wie 50.“
„Hast du dich am Ende gar verliebt?“
„Ja, so ist es.“, Pankraz strahlte über das ganze Gesicht. „Wer hätte das gedacht. Seit meiner Scheidung damals habe ich mir geschworen, nie wieder eine Frau näher anzusehen.“
„Aber ….?“
„Das Schicksal oder wer auch immer dafür zuständig ist, hat seine eigenen Pläne.“
„Weiß die Auserwählte schon Bescheid? Nicht, dass du womöglich einen Korb kassierst und dann an gebrochenem Herzen stirbst?“
Pankraz gab zu, die Auserwählte wisse Bescheid und habe, genau wie er selbst, lange Zeit ihre Gefühle unterdrückt. Was würden die Leute nur sagen, wenn diese Liebe publik gemacht würde?
„Was gehen uns die Leute an?“, Dick rümpfte kurz die Nase. „Wenn du verliebt bist, kannst du doch nichts dagegen tun. Aufgrund deines finanziellen Status stehst du doch locker über den Dingen.“
„Die von mir Erwählte würde mich auch dann lieben, wenn ich arm wie eine Kirchenmaus wäre. Dazu kennen wir beide uns schon viel zu lange. Sie hat bereits ein Auge auf mich geworfen, als ich noch kaum eine müde Mark in der Tasche gehabt habe.“

„Wer kann es nur sein?“, grübelte Dick, schenkte erst Ralf und dann sich selbst noch etwas Kaffee ein. „Sag bloß, Dalli hat sich in dich verliebt? Möglich wäre es und sie kennt dich auch schon lange.“
„So lange nun auch wieder nicht. Außerdem steckt Dalli bis über beide Ohren in dem Problem, ob sie nun Alexander oder Henning mehr lieb hat. Das hat sie mir erst kürzlich am Telephon erzählt.“
„Wenn sie will. Unsere Sache ist das nicht.“, versuchte Ralf neutral zu bleiben. „Nun möchte ich auch gerne wissen, wer dir einen zweiten Frühling beschert hat. Kennen wir die betreffende Dame?“
Pankraz grinste von einem Ohr zum anderen, gab auf diese Weise seine Zustimmung.
„Dann bleiben ja nun nicht mehr allzuviele Personen übrig, es sei denn …“
„Johanna ist die Auserwählte.“, verriet Pankraz. „Wir sind verlobt und wollen bald heiraten.“
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Andrea1984
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Kapitel 468

Beitrag von Andrea1984 »

Dick wollte gerade die Kaffeetasse aufheben, als sie ihr unter den Fingern zersprang und auf dem Fußboden landete: „Das ist mir jetzt aber peinlich.“
„Scherben bringen Glück.“, an diesem Tag schien Pankraz nichts aus der Ruhe bringen zu wollen.
„Wo ist Johanna? Wir müssen ihr doch gratulieren, so wie sich das gehört.“
„Sie telephoniert gerade mit ihrer Schwester, ihrer einzigen noch lebenden Verwandten.“
Dick kroch auf dem Fußboden herum, sammelte die Scherben auf, warf sie dann in den Mülleimer.
Wenige Minuten später traf Johanna ein. Ralf gratulierte dem Brautpaar, dann schloss sich Dick an.
„Habt keine Angst, euer Geld ist nicht in Gefahr.“, scherzte Pankraz.
„Ich freue mich für euch beide, wirklich.“, stammelte Dick, sichtlich geschockt von dieser Neuigkeit. War sie wirklich so blind gewesen, dass sie nie gemerkt hatte, was Pankraz und Johanna verband? Oder hatten die beiden alles mögliche getan, um ihre Beziehung so geheim wie möglich zu halten?

Am nächsten Sonntag wurden beide öffentlich in der Kirche aufgeboten. Nach dem Gottesdienst kamen Pankraz und Johanna kaum dazu, alle Glückwünsche zu beantworten. Dick und Ralf waren auch in die Kirche mitgegangen, um sich einmal einen freien Sonntag zu gönnen, den sie sich nach der harten Arbeit in den vergangenen Wochen und Monaten auch verdient hatten.
An diesem Tag zeigte das Thermometer nur 10 Grad an. Da nützte auch die Sonne nichts, die hier und da zwischen den dichten Wolken hervorkam, als wolle sie ihre ganze Kraft darbieten.

Auf die Frage wann die Hochzeit sei, antwortete Pankraz, erst im nächsten Jahr. Mit dem Heiraten habe er es nicht eilig. Auf eine Woche oder einen Monat mehr in der „wilden Ehe“ käme es ihm nicht an. Dick hätte zu gerne gewusst, ob Pankraz und Johanna nicht nur den Tisch, sondern auch das Bett miteinander teilten, unterließ es jedoch, weil die Frage zu intim gewesen wäre.
„Ob Ralf und ich eines Tages, wenn wir schon älter geworden sind, immer noch so glücklich sein werden? Ich glaube schon. Ich hätte mir keinen besseren Mann wünschen können.“

Ende Dezember reisten Dick, Ralf, Johanna und Pankraz nach Malente, weil sie von Rafe dazu eingeladen worden waren. An den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr war es eigentlich ruhig. Am 24. Dezember setzten bei Henny, zwei Wochen vor dem errechneten Termin die Wehen ein. Bei der Geburt waren Rafe und Dick an der Seite der werdenden Mutter.

„Ich habe keine Angst. Es wird schon alles gut gehen.“, stieß Henny zwischen zwei Wehen hervor.
„Möchtest du wirklich, dass ich dabei bin?“
„Ja, ich brauche doch meine Mutter an meiner Seite.“
Ein Freudscher Versprecher oder steckte doch mehr dahinter?
Dick konzentrierte sich darauf, Hennys Hand zu halten und das blaue Kleid nach oben zu streifen. Unter dem Kleid trug Henny keine Unterwäsche. Dünne Seidenstrümpfe bedeckten ihre Füße.
Henny lag nicht im Bett, sondern kniete daneben, die freie Hand an den Bettpfosten gekrallt.

„Wie lange wird es wohl noch dauern?“, wollte Rafe wissen.
„Das kann ich nicht sagen. Der Muttermund ist schon geöffnet. Das habe ich ertastet.“, meinte die Hebamme, die natürlich auch dabei war und die schon Henny damals auf die Welt geholt hatte.
„Das erste Kind lässt sich naturgemäß etwas Zeit.“, Dick zwinkerte Rafe zu.
„In diesem Fall hat es das Baby deutlich eiliger, als ich gedacht habe. Es ist gut entwickelt, wie die Untersuchungen gezeigt haben. Auf das Gewicht und die Größe bin ich gespannt.“
„Ich mehr auf das Aussehen: Blond oder schwarz oder braun.“, schlug Dick vor.

Henny biss die Zähne zusammen.
„Tut es sehr weh?“
„Ich muss da irgendwie durch.“, seufzte Henny.
„Nur noch wenige Wehen und du hast es geschafft.“, versuchte Dick ihre Schwiegertochter, die zugleich ihre Nichte war, aufzumuntern. „Da der Muttermund schon offen ist, geht alles leichter.“
„Die Fruchtblase ist noch intakt.“, ergänzte die Hebamme. „Noch einmal pressen. Langsam. Ich kann den Kopf schon sehen. Und sogar ein Büschel Haare, wenn ich mich nicht sehr irre.“

Dick spürte, wie ihre Hand, die immer noch von Henny umklammert wurde, erst rot und dann blau anschwoll. Das würde einen schönen Bluterguss geben. Aber was zählten diese Schmerzen schon.
Alles war bereit: Die Wiege, die Wäsche. Und das wichtigste: Liebevolle Eltern, die nur darauf warteten, ihr Baby, auf das sie so lange gewartet hatten, endlich in die Arme schließen zu können.
Erst war es still. Nur für einen Augenblick. Dann durchbrach ein lautes Babygeschrei die Stille.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Di 29.Aug.2017 14:00, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 469

Beitrag von Andrea1984 »

Die Hebamme hob das Baby hoch, legte es in Rafes Arme.
„So jetzt kannst du dich ins Bett legen Henny. Du wirst sicher müde sein.“, meinte Dick. „Wenn du willst, helfe ich dir dabei.“
„Danke, das ist sehr lieb von dir.“
Die Hebamme zeigte Rafe, wie er die Nabelschnur durchschneiden durfte. Vorsichtig, damit er dem Baby nicht wehtat.
„Lass dich anschauen. Was bist du denn? Na also, ein gesundes Baby. Was wollen wir mehr.“
„Tatsächlich mit Haaren, wie ich gesagt habe.“, die Hebamme wischte sich ihre Hände an der Schürze ab, dann wandte sie sich Rafe und dem Baby zu. „Hier ist ein Handtuch. Das wird für’s erste genügen. Nicht, dass sich das Baby erkältet. Kein Wunder, bei diesen Temperaturen.“

Rafe trat auf das Bett zu, legte Henny das Baby in die Arme: „Sieh her, was es ist.“
„Ein gesunder Junge. Das erkenne ich sogar ohne Brille.“, Dick spürte, wie ihre Lippen zitterten und ihre Augen feucht wurden. Als ob sie nicht schon oft genug, ein Neugeborenes gesehen hätte.
„Er hat Durst oder Hunger. So genau weiß ich das nicht.“, Henny fasste ihr Baby ganz vorsichtig mit den Fingerspitzen an, als ob sie Angst hätte, es zu verletzen.
„Darf ich das Baby kurz haben?“, bat die Hebamme. „Er muss noch gemessen und gewogen werden.“
„Ja natürlich. Das ist doch selbstverständlich.“, stammelte Henny.

„48 Zentimeter, 3.900 Gramm. Die Maße sind durchaus in Ordnung. Habt ihr schon einen Namen für euer Baby gefunden?“
„Wir haben bis zuletzt nicht gewusst, was es wird. Doch eines steht fest: Ralf Schüller der X. - oder so - diese Tradition setzen wir nicht fort.“, Rafe wechselte einen Blick mit Henny, als ob sich die beiden ohne Worte verständigen würden. So vermutete es zumindest Dick.
„Natürlich nicht. Das wäre auf Dauer auch langweilig geworden.“
„Anselm und Jonathan wären zuerst in die engere Wahl gekommen, nach den Urgroßvätern.“
„Aber diese Namen sind heutzutage nicht mehr modern.“, ergänzte Rafe Hennys Satz.
„Also haben wir uns für einen anderen Namen entschieden, der zwar auch etwas altmodisch ist, aber dennoch in die Zeit passt. Einen Namen, den man problemlos auch in der englischen Sprache aussprechen kann.“
„Nun sagt schon. Ich platze ja fast vor Spannung.“, ergriff Dick nun das Wort, immer noch an Hennys Seite stehend. „Vielleicht Karl oder Emil oder Michael oder Thomas?“
„Brr. Diese Namen gefallen uns nicht.“, antworteten Henny und Rafe wie aus einem Mund.

Inzwischen lag der kleine Junge, der noch keinen Namen hatte, wieder in den Armen seiner Mutter, tastete sich an die freigelegte Brust heran und bekam auf diese Weise sein Frühstück serviert.
„Der Arme: Achtet doch mal auf das Datum!“, rief die Hebamme entsetzt aus.
„Ja, heute ist Weihnachten. Unser Baby hat sich ein Datum ausgesucht, dass man sich einfach merken kann.“
„Euer Sohn wird euch sein Leben lang vorhalten, wenn er weniger Geschenke bekommt, weil er sich seinen Geburtstag mit dem Christkind teilen muss.“
„Dafür kann doch niemand etwas. Weder unser Kleiner hier, noch das Christkind.“

Nach dem der Kleine gestillt worden war, führte die Hebamme einige Untersuchungen durch, trug die entsprechenden Daten im Kalender ein.
„Nun fehlt nur noch der Name und vielleicht noch die Wahl der Taufpaten, dann ist der Eintrag vollständig.“
„Zuerst die Wahl der Taufpaten, wobei es eigentlich eine Taufpatin sein wird. Chrissy hat die Ehre bei unserem ersten Kind, dieses Amt zu übernehmen. Bei etwaigen weiteren Kindern stehen Anna und Margot bereit, das haben sie versprochen. Auch wenn sie selbst, aufgrund ihrer Kinderscharen wenig Zeit haben werden, so vermute ich jedenfalls.“

Die Hebamme seufzte. Dick wusste nicht so recht warum. Es war doch ganz natürlich, dass die Geschwister der Eltern, das Amt der Taufpatenschaft für ein Baby übernahmen. Oder dachte die Hebamme, die natürlich wusste, wer mit Chrissy gemeint war, an Chrissy's schwere Geburt zurück?
„Ich sage Chrissy Bescheid, dass sie schon wieder einmal Tante geworden ist.“
„Diesmal ist es was anderes, da sie mir ja, schon aufgrund des Altersunterschieds, näher als Bobby und Billy steht.“, meinte Henny beinahe entschuldigend, während sie ihren Sohn an die andere Brust legte. Es klopfte an der Türe. Jemand gestattete den Einlass.
„Ach Vati, du bist es. Sieh her, hier ist dein neuester Enkelsohn. Gestatten: Jakob Schüller.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mo 22.Jul.2019 18:53, insgesamt 2-mal geändert.
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Kapitel 470

Beitrag von Andrea1984 »

„Er sieht aus wie ich früher ausgesehen habe.“, meinte Alexander. „Genau die gleichen blonden Haare und die blauen Augen. Wenn ihr wollt, hole ich euch ein altes Babyphoto von mir.“
„Die Haare sind so blond, dass sie beinahe weiß wirken.“, ergänzte Dick. „Henny, Rafe, ich bin stolz auf euch. Den kleinen Kerl da habt ihr prima hinbekommen.“
„Ach das war doch nichts.“, winkte Rafe mit einer Handbewegung ab.
„Die meiste Arbeit habe ich gehabt.“, protestierte Henny halb scherzhaft, halb ernsthaft. „Doch Jakob war jeden Schmerz und jede Anstrengung mehr als wert, das könnt ihr mir glauben.“

„So nun wollen wir das junge Paar und den Kleinen alleine lassen, damit sie ihre Ruhe haben.“, bestimmte die Hebamme energisch. „Ich bin zwar schon alt und meine Füße wollen mich kaum noch tragen, dennoch hoffe ich das eine oder das andere Mal zu einer Entbindung gerufen zu werden.“
„Das liegt nicht in meiner Hand.“, erwiderte Alexander staubtrocken, so sehr, dass Dick lachen musste.

Rafe übernahm geschickt die Pflichten des Hausherren, bot Kaffee oder andere Getränke an. Die Hebamme lehnte ab, sie habe noch zu tun. Rafe verriet, dass es zwar heute relativ ruhig sein werde, aber die nächsten Gäste schon bald erwartet wurden: Nämlich Bobby und Hasso und deren Kinder, sowie Billy und Heinrich und deren Kinder. Alle sollten jedoch erst übermorgen eintreffen.
„Da haben Stine und Ole soviel Arbeit.“, zeigte sich Dick entsetzt.
„Die Tagelöhnerinnen kommen ja auch im Winter, wenn Not am Mann ist. Mach dir also keine Sorgen, es wird schon alles recht werden.“

Zwei Tage später war es mit der Ruhe entgültig vorbei. Wenngleich dies nicht an Jakob lag, der mit großen Augen um sich blickte, aber nur wenig schrie oder quengelte. Dick nutzte die Gelegenheit, um vor allem mit Bobby und mit Billy zu reden. Die großen Kinder von Bobby und Hasso tobten im Haus und im Garten herum und rissen die kleineren Kinder einfach mit. Sie machten dabei keinen Unterschied, ob es sich um ihre Geschwister, oder um ihre Cousins und ihre Cousine handelte.

„Habt ihr euch das wirklich gut überlegt mit eurem Nesthäkchen?“, wollte Dick von Bobby wissen, während sie am Fenster stand und in den Hof hinausblickte, wo zwei der Jungs einen Schneemann bauten oder es zumindest versuchten, während die anderen Kinder eine Schneeballschlacht begannen. Das Lachen der Kinder war so laut, dass man es durch die geschlossenen Fenster mehr als deutlich hören konnte. Zumindest hörte es Dick, also war ihr Gehör durchaus noch in Ordnung.
„Ja. Und wir bereuen es nicht.“, Bobby legte eine Hand auf ihren Bauch, der jetzt in der 27. Woche kaum zu übersehen war. „Geldmäßig können wir es uns leisten. Hasso verdient gut. Er wird bald befördert werden und darf dann die Filliale ganz alleine leiten.“
Hasso und Heinrich waren bei diesem Gespräch unter Frauen nicht anwesend. Dick vermutete, dass sich die beiden Herren in eines der Gästezimmer zurückgezogen hatten oder sich mit Rafe unterhielten. Oder vielleicht einen Ausritt unternahmen. Der Schnee glitzerte in der Wintersonne.

„Heinrich hat großes Glück gehabt, dass er heute hier dabei sein kann, weil er vor Weihnachten immer wieder Überstunden gemacht hat. Ich selbst möchte auch gerne wieder arbeiten gehen, darf es aber nicht. Jeder Personalchef meint, meine Familienplanung sei noch nicht abgeschlossen und ich müsste ja nicht arbeiten gehen. Mein Argument, ich wäre ja nur einige Zeit daheim und könnte dann wieder in die Arbeit einsteigen, bringt da nur wenig, ebenso das Argument mit der Kinderbetreuung.“
„Ich habe es auch ohne Kinderbetreuung geschafft, ein halbes Dutzend Kinder großzuziehen.“
„Fast. Abgesehen von deinen Schwiegereltern, die euch bestimmt zur Seite gestanden haben.“
„Ja, allerdings auch nicht immer. Wir wollten ihre Geduld und ihre Zeit nicht überstrapazieren.“
„Meine Schwiegermutter hat sich nie um Babys oder Kleinkinder gekümmert. Weder um Kinder, noch um Enkelkinder. „Eine Dame der Gesellschaft tut so etwas nicht.““, zitierte Billy ihre Schwiegermutter. „Sie erinnert mich, in ihrer Art, irgendwie an Großmamá.“
Dick steuerte zu diesem Thema ihre sehr guten Erfahrungen mit den Schwiegereltern bei. Auf diese Weise verging der Vormittag wie im Flug und das Mittagessen wurde serviert.

Bei den Mahlzeiten ging es, der Kinder sei dank, lebhaft zu. Dick freute sich darüber, wenngleich ihr der Trubel der Kinder doch ein wenig zu viel wurde. Nach dem Mittagessen bat Dick ihren Sohn darum, sich zurückziehen zu dürfen. Sie sei müde.
„Ruh dich nur aus, Mutter. Ich werde mich schon um die Gäste kümmern, damit es ihnen nicht langweilig wird. Wenn du möchtest, kannst du ja Henny und Jakob Gesellschaft leisten. Die beiden freuen sich bestimmt darüber.“, bot Rafe an. „Oder du ziehst dich in das Gästezimmer zurück.“
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Kapitel 471

Beitrag von Andrea1984 »

Dick bedankte sich, legte sich auf das, von Stine frisch überzogene Gästebett und schloss die Augen. Eigentlich wollte Dick nur ein wenig dösen, um ihre Energie aufzutanken. Doch das Bedürfnis nach Schlaf und Ruhe war stärker. Zuerst träumte Dick nur wirres Zeug, dass sie nackt auf einem Pony saß und dabei öffentlich durch die Straßen von Lübeck ritt oder bei Vollmond auf dem Dach herumkletterte, um ein loses Brett zu reparieren. Langsam formten sich die Bilder zu einem Ganzen, das sogar einen Sinn ergab. Dick konzentrierte sich, um den Traum nur ja nicht zu vergessen.
Er begann im März 1963, kurz nach dem Rafe das Licht der Welt erblickt hatte.

„Dick lag im Wochenbett in einer Klinik in Lübeck. Sie war froh, alles gut überstanden zu haben. Aus Tradition wurde der kleine Junge Ralf genannt, wie sein Vater und um zu Verwechslungen zu vermeiden, Rafe gerufen. Nun schlummerte das Baby, erst wenige Stunden alt, friedlich in der Wiege. Dick stand auf, ging hinüber zum Fenster, blickte nach draußen, doch es war schon zu spät. Sie konnte nur ihr eigenes Spiegelbild erkennen. Dick fuhr sich mit der rechten Hand durch die wilden Locken, die sonst eigentlich glatt gekämmt waren, aber diesmal wild nach allen Seiten abstanden.
„Es ist wie ein Wunder. Dieser kleine Junge da ist meiner, den ich unter Schmerzen das Leben geschenkt habe. Ich kann es noch gar nicht richtig glauben.“, murmelte Dick leise, um Rafe nicht aufzuwecken. Ralf durfte sie leider erst morgen besuchen, was Dick sehr bedauerte.

In dieser Nacht lag Dick noch lange wach. Obwohl sie eigentlich schlafen und wieder zu Kräften kommen sollte. Immer wieder blickte sie zu Rafe, der sorglos schlief, wie es nur ein Baby konnte.
So unschuldig. Dick malte sich die wildesten Phantasien aus, was aus Rafe einmal werden würde. Ein Polizist vielleicht? Oder ein Künstler, wie sein Vater? Oder ein berühmter Wissenschafter? Es gab soviele Möglichkeiten. Noch hatte der Kleine ja Zeit. Er brauchte vorerst nur essen und schlafen.

Am nächsten Tag erhielt Dick nicht nur Besuch von Ralf, sondern auch von Jochen, den sie, dank einiger Briefe und Telephongespräche über die Schwangerschaft auf dem Laufenden gehalten hatte.
„Es ist ein Wunder, dass ich das noch erleben darf.“, flüsterte Jochen.
„Möchtest du den Kleinen einmal halten? Er wiegt etwas mehr als 2 Kilo.“
„Lieber nicht. Ich habe Angst, ihn zu verletzen.“, meinte Jochen, wurde rot im Gesicht.
„Du hast sicher eine weite Fahrt hinter dir. Möchtest du etwas trinken?“, bot Dick an.
„Ja und nein. Ja, es stimmt, ich bin von weit her gereist. Nein, danke, ich habe keinen Durst, da ich bereits während der Zugfahrt etwas gegessen und getrunken habe. Es geht mir ausgezeichnet.“
„Wie schade, dass Ethelbert nicht mitgekommen ist. Er weiß doch auch Bescheid.“
„Einer muss doch arbeiten gehen, während ich mich allmählich auf das Altenteil zurückziehe. Ich finde es gut von Ethelbert, dass er endlich gelernt hat, Verantwortung zu tragen. Schöne Grüße soll ich dir ausrichten. Ralf natürlich auch. Etwas verstehe ich allerdings nicht so ganz: Wenn der Vorname Ralf in deiner Familie Tradtition hat, so müsste doch auch dein Vater diesen Vornamen tragen?“
„Muss er nicht, weil er doch der Zweitgeborene ist.“, klärte Ralf, der auf dem Stuhl neben Dicks Bett saß, auf. „Mein Onkel Ralf, den ich nie kennengelernt habe, ist im Ersten Weltkrieg gefallen, gerade einmal 29 Jahre alt. Er ist zwar verheiratet gewesen, hat aber keine Kinder gehabt. So hat es mein Vater Anselm übernommen, die Tradition der Familie Schüller fortzusetzen. Mein Bruder Werner hat seinen Vornamen von unserem Großvater mütterlicherseits erhalten, um auch hier die Tradition zu bewahren.“
„Ach so ist das. Nun kenne ich mich aus.“, Jochen lachte erfreut. Im nächsten Augenblick verzog der das Gesicht.
„Ich glaube, unser kleiner Mann hier braucht eine frische Windel.“, meinte Dick fachmännisch. Ohne sich um die Blicke ihres Mannes und ihres Schwagers zu kümmern, stieg sie, lediglich mit einem Bademantel über dem Nachthemd, sowie dicken Socken und Pantoffeln an den Füßen bekleidet, aus dem Bett, um Rafe zu versorgen, selbst auf die Gefahr hin, dabei angespritzt oder angesabbert zu werden. Das Risiko musste sie eben in Kauf nehmen. Geschickt wickelte sie ihren Sohn, als ob sie nie etwas anderes getan oder bereits an einem lebenden Objekt geübt hätte.

„Beim nächsten Kind möchte ich bei der Geburt dabei sein. Wehe, der Hebamme, die sich mir in den Weg stellt.“, plante Ralf.
Dick prustete ob des ungewollten Wortspieles, meinte dann: „Wie stellst du dir das vor? Ein zweites Kind kann man doch nicht einfach so aus dem Hut zaubern, als ob es ein Kaninchen wäre.“
„Also ich finde auch, dass Rafe ein oder zwei Geschwister bekommen soll, damit er nicht als verwöhntes Einzelkind aufwächst. Ich weiß, wovon ich rede.“
„Bezogen auf die Geschwister oder eben nicht?“, hakte Dick nach.
„Oder willst du, dass sich Rafe wie Ethelbert entwickelt?“, ergänzte Jochen seinen Satz ruhig.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mi 04.Okt.2017 22:24, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 472

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„Nun ja, eigentlich hätte ich schon gerne noch ein oder zwei Kinder. Doch: Alles zu seiner Zeit.“, räumte Dick ein. Sie biss sich auf die Zunge, um nicht noch mehr zu sagen.
„Denk an deine Schwester. Auch wenn du mit ihr, nach wie vor zerstritten bist, so ist sie doch deine Schwester.“, brachte Ralf ein weiteres Argument aufs Tapet. „Das darfst du nicht vergessen.“
„Musst du mich jedemal wieder daran erinnern?“
„Dalli ist deine Schwester. Ein Fakt, der sich weder verdrängen, noch ignorieren lässt. Anstatt dankbar zu sein, dass du wenigstens noch eine Schwester hast, moserst du herum.“, antwortete Ralf. „Oh.“
„Schon gut. Mit der Zeit komme ich langsam über Angela und über Margot hinweg. Sie fehlen mir beide, auf ihre Art. Aber das Leben geht weiter. Ich werde beide nie vergessen.“, sagte Jochen.

Schon nach 14 Tagen wurde Dick aus dem Krankenhaus entlassen, allerdings musste sie sich noch schonen, soweit das mit einem Säugling möglich war. Rafe entwickelte sich gut, wie Dick feststellte. Er nahm brav zu, sowohl an Gewicht, als auch an Größe, ohne dabei moppelig zu werden. Mit stolzgeschwellter Brust schob Dick den Kinderwagen, in welchem Rafe lag, durch die Straßen. Am liebsten hätte sie ihre Freude über das Baby mit der ganzen Welt geteilt, nicht nur mit der Schwiegerfamilie und mit Jochen, der so etwas wie ein Vaterersatz für sie war.

Ein paar Wochen später erhielt Dick, die gerade alleine, genauer mit Rafe, in der Wohnung der Schwiegereltern war, einen seltsamen Anruf. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Henning Holm. Er berichtete, dass Dalli nun bei ihm wohnte und auch ordnungsgemäß gemeldet sei.
„Das ist schön und gut.“, erwiderte Dick höflich. Um ehrlich zu sein, interessierte es sie nicht, was aus Dalli geworden war.
„Wenn Sie möchten, könnten wir uns gerne einmal treffen, um einige Formalitäten zu klären.“
„Meine Schwester ist volljährig. Somit habe ich für sie keine Verantwortung, nie getragen.“
„Sie haben beide Ihre Eltern früh verloren.“, erzählte Henning weiter.
„Das ist richtig. Nach dem Tod unserer Eltern hat unsere Großmutter mütterlicherseits für uns die Verantwortung getragen, bis zu ihrem überraschenden Tod vor 1 ½ Jahren. Danach ist die Vormundschaft für Dalli und für mich an unseren Schwager Jochen von Roth übergegangen.“
Dick ergänzte alles, was sie über Angela wusste und erwähnte auch deren frühen Tod.
„Aha, das erklärt einiges. Mein Angebot steht nach wie vor noch im Raum. Ich möchte Sie nicht drängen. Es handelt sich wirklich nur um Kleinigkeiten, die sich schwer per Brief besprechen lassen.“
„Nur unter einer Bedingung.“, willigte Dick schließlich ein. „Das Treffen findet in Lübeck statt. Ich habe ein kleines Baby und kann ihm daher noch keine weite Reise zumuten. Das verstehen Sie bestimmt.“

Das Treffen fand statt, allerdings ohne Rafe, welcher derweilen von Dicks Schwiegermutter betreut wurde. Dick war etwas mulmig zumute. Was wäre, wenn Henning es nicht ernst mit ihr meinte, ja sie einfach sitzen lassen würde? Was sollte sie dann unternehmen? Die Polizei rufen?
Doch es ging alles glatt. Pünktlich zur vereinbarten Stunde traf Henning ein. Dick erhob sich und wartete darauf, dass Henning ihr zur Begrüßung die Hand reichte, was dieser auch tat. Dem ersten Telephonat waren weitere Telephonate gefolgt und Henning hatte sein Aussehen recht gut beschrieben, so dass Dick nicht lange suchen musste, um ihn zu erkennen.

Es war am späten Vormittag. Nur wenige Gäste saßen in der Konditorei. Dick bestellte einen Kaffee.
„Ich lade Sie ein. Das ist doch selbstverständlich.“, meinte Henning. „Gestatten Sie.“
„Oh, ich rauche nicht. Doch Sie können es gerne tun.“
Dick hörte, wie Henning um einen Aschenbecher und einen Tee bat.
„Nun, was möchten Sie mir erzählen. Was genau meinen Sie mit Formalitäten?“
Dick konnte es sich nicht vorstellen, einen fremden Mann, der um vieles älter war, wie sie meinte, einfach so zu duzen. Daher wartete sie einfach ab, ob und wenn ja, wie Henning ihr das duzen erlauben würde.
„Wie haben Sie mich gefunden? Oder genauer meine Nummer?“
„Sie stehen im Telephonbuch, gleich unter dem Namen ihrer Schwiegereltern eingetragen. Die Kombination Ralf und Barbara Schüller gibt es in dieser Form nur einmal. Somit ist es mir ein leichtes gewesen, dort nachzusehen und die passende Nummer herauszusuchen.“, verriet Henning.
„Das heißt also, im Umkehrschluss hätte ich Sie auch finden können, wenn ich Sie gesucht hätte.“, antwortete Dick, geschickt die direkte Namensnennung vermeidend.
„So ist es. Ich bin unter zwei Adressen gemeldet. Einmal in Hamburg und einmal in Genf.“
Der Kaffee und der Tee wurden serviert. Henning zündete sich eine Zigarette an.
„Nun denn. Ich höre Ihnen zu. Wie haben Sie meine Schwester kennengelernt?“, Dick fragte es lediglich aus Höflichkeit, als aus wahrem Interesse. Sorgen machte sie sich um Dalli keine.
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Kapitel 473

Beitrag von Andrea1984 »

Die Geschichte klang seltsam, aber durchaus nachvollziehbar. Dick traute es Dalli durchaus zu, was sie getan hatte.
„Sie hätten sie doch einfach wegschicken können.“
„Um ehrlich zu sein, habe ich mir das auch überlegt. Aber Ihre Schwester ist sehr stark erkältet gewesen und hat niemanden gehabt. Wo also hätte sie Unterschlupf finden sollen? Ich habe sie wieder aufgepäppelt, unter der Bedingung, dass sie mir im Haushalt hilft und wenn sie arbeiten geht, mir einen Teil ihres Gehalts als Kostgeld zur Verfügung stellt.“
„Darauf würde Dalli sich nie einlassen.“, Dick war skeptisch, besonders seit sie erfahren hatte, dass Henning einer der wenigen Menschen war, der Dalli bei ihrem richtigen Vornamen Brigitte nannte.
„Oh doch. Offenbar hat sie soviel Respekt vor mir, dass meinen Anordnungen widerspruchslos gehorcht. Ich habe ihr, dank meiner Kontakte, eine Arbeit in einem großen Hotel als Küchenhilfe verschafft. Wenn sich Brigitte geschickt anstellt, kann sie in der Hierarchie bald aufsteigen und verdient auch mehr.“
„Sie werden es schon schaffen, meiner Schwester ihre Grenzen aufzuzeigen. Ich vertraue Ihnen.“
Dick spürte irgendwie, dass sie Henning vertrauen konnte und sagte das nicht nur einfach so.
„Das Gespräch hier bleibt unter uns.“
„Natürlich. Ich bin ein freier Mensch und niemandem Rechenschaft schuldig.“, versicherte Dick, hob die rechte Hand, wie zum Schwur. „Wenn Sie es wünschen, so können wir uns gerne öfter treffen.“
„Ich werde im Sommer geschäftlich sehr oft verreisen, doch im Herbst stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung.“, meinte Henning in einem Tonfall, den Dick als liebenswürdig, einschätzte.
„Das freut mich sehr.“, Dick zeigte sich irgendwie erleichtert darüber, dass Dalli einen Menschen gefunden hatte, der sich um sie kümmerte und der ihre Situation nicht noch mehr ausnützte.

Eine Weile plauderten Dick und Henning über das Wetter, um von dem Thema Dalli abzulenken. Dick fühlte sich in Hennings Gegenwart entspannt, wie schon lange nicht mehr. Henning rauchte eine weitere Zigarette. Dick hätte zu gerne auch eine Torte oder einen Kuchen bestellt, aber sie wollte Hennings Geduld und Geldbeutel nicht überstrapazieren, wenigstens nicht für’s erste Mal.
„Vielleicht können Sie auch mit Jochen von Roth Kontakt aufnehmen. Er selbst steht nicht im Telephonbuch, aber dafür ein Freund von ihm, genauer ein Cousin 2. Grades von Dalli und mir: Ethelbert von Gravenhorst. Jochen wohnt seit einiger Zeit bei ihm, das weiß ich ganz sicher.“
„Gut, vielleicht können mir auch diese beiden Herren weiterhelfen. Gravenhorst, der Name sagt mir etwas. Nicht Ethelbert, sondern Wilhelm, einer meiner Geschäftspartner.“
„Das müsste entweder der Vater oder der Onkel von Ethelbert sein. Ich kenne seinen Eltern nicht.“
„Nun denn, dass lässt sich alles herausfinden. Sie brauchen sich keine Sorgen um Ihre Schwester zu machen.“
„Ich weiß nicht, ob Dalli ihnen von dem Streit erzählt hat.“
„Ja, allerdings nur ihre Sicht der Dinge. Ich würde gerne auch die andere Sicht hören, um mir ein neuetrales Bild der Lage machen zu können.“
Dick berichtete, so gut sie es vermochte, was damals geschehen war.
„Mir steht kein Urteil darüber zu.“, zog sich Henning elegant aus der Affäre. „Sie möchten also keinen Kontakt zu Ihrer Schwester haben, aber dennoch wissen wie es ihr geht und was sie macht, richtig?“
„Richtig.“, bestätigte Dick. „Es wäre sehr nett, wenn Sie mir dabei helfen könnten, auf welche Weise auch immer, sei es über Briefe oder Telephonate oder persönliche Treffen. Dalli hat noch etwas Geld auf einem Sparbuch, doch das wird sicher nicht für weite Fernreisen oder ähnliches reichen.“
„Das Geld bleibt auf dem Sparbuch, als Notpfennig für schlechte Zeiten.“
„Ich selbst habe meine Ersparnisse in mein erstes Kind investiert, genauer in Babyausstattung.“, verriet Dick. „Darf ich Ihnen einiges über meinen Sohn erzählen oder würde Sie das eher stören?“
„Erzählen Sie ruhig. Ich mag Kinder gerne. Und bedauere es sehr, selbst keine zu haben. Zwar bin ich noch nicht so alt, dass ich keine haben könnte, aber der Beruf geht vor. Ich hätte sowieso keine Zeit, mich mehr als nötig mit einem Kind zu beschäftigen. Dann schon eher lieber mit einem Haustier.“

Dick erzählte, was es eben über ein Baby zu erzählen gab. Allzu intime Details ließ sie jedoch weg.
„Bringen Sie den Kleinen bei unserem nächsten Treffen doch einfach mit. Wenn er noch gestillt werden muss, so gehen Sie einfach kurz auf die Toilette. Ich werde dann solange am Tisch warten.“
„Würden Sie? Das wäre sehr nett von Ihnen. Es gibt ja doch noch Kavaliere. Das hat einmal eine Reitschülerin von Jochen gesagt, allerdings nicht auf ihn, sondern auf Ethelbert bezogen, der ihr Pferd vor dem Durchgehen bewahrt hat.“, meinte Dick und ergänzte noch weitere Details.
„Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.“
„Die Freude ist ganz meinerseits.“, erwiderte Henning, zwirbelte seinen Schnurrbart. „Übrigens: Wir kennen uns doch schon recht gut. Ich schlage daher vor, dass wir uns ruhig duzen können.“
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Kapitel 474

Beitrag von Andrea1984 »

Dick nahm das Angebot gerne an und erlaubte es auch Henning sie zu duzen. Nachdem sie ihren Kaffee ausgetrunken hatte, blickte Dick auf die Uhr. So spät war es schon? Sie musste nach Hause, wo Rafe schon auf sie wartete. Dick vereinbarte mit Henning, dass sie Ralf über das Treffen, nicht jedoch über den Inhalt desselbigen einweihen durfte. Anschließend bedankte sie sich bei Henning für die Zeit, die er er sich genommen hatte. Ein weiteres Treffen wurde für den Herbst vereinbart, da Henning im Frühjahr keine Zeit mehr hatte und viel außer Landes sein würde, wie er meinte.

Ein paar Wochen später war auch Dick außer Landes sozusagen. Ralf bekam Urlaub. Jetzt stellte sich die Frage, wo das junge Paar die wenigen freien Tage verbringen wollte. Dick zog es am liebsten ans Meer, während Ralf eher die Berge bevorzugte. Da nahm ihnen ein Anruf von Ethelbert die Entscheidung ab. Er lud sie zu sich nach Bayern auf das Gut Erlenhof ein, wo auch Jochen lebte. Gerne nahm Dick die Einladung an und auch Ralf freute sich. Rafe kam selbstverständlich mit.

Dick genoss die Zeit auf dem Erlenhof sehr und bedauerte es, dass sie schon nach einer Woche wieder abreisen sollte, da Ralf wieder zurück nach Lübeck musste, wo die Arbeit auf ihn wartete.
„Bleib doch mit Rafe hier und reise später ab. Platz habe ich hier genug und essen auch.“
„Wie stellst du dir das vor? Ich kann doch nicht mit einem Säugling, der noch gestillt und gewickelt werden muss, alleine durch halb Deutschland reisen?“, seufzte Dick.
„Wenn du willst, begleite ich dich.“, bot Jochen an. „Ich brauche sowieso einen Tapenwechsel.“
„Nun ja, ich muss das alles erst einmal mit Ralf besprechen.“, drückte sich Dick um eine direkte Antwort. Mit Jochen an ihrer Seite wäre sie vor etwaigen Zugriffen von Fremden geschützt und Unterhaltung hätte sie auch, was besonders bei einer langen Bus- oder Bahnfahrt von Vorteil wäre.

Erst beim Abendessen traf Dick wieder mit ihrem Mann, der den ganzen Tag auf Motivsuche gewesen war, wieder zusammen. Ralf plauderte über vieles, was er gesehen und erlebt hatte.
„Schade, dass mein Urlaub schon vorbei ist.“
„Kannst du ihn nicht verlängeren lassen?“, wollte Ethelbert wissen. „Die Luft hier ist doch viel besser als in der Stadt. Sieh nur, wie Dick und der Kleine hier aufblühen wie die Pfingstrosen.“
„Ich bin leider nicht mein eigener Chef, sondern nur ein Angesteller, der dankbar für Arbeit und den Urlaub sen muss.“, seufzte Ralf. „Versuchen kann ich es ja. Aber vermutlich wird Dr. Westkamp ablehnen.“
„Greif nur tüchtig zu. Du hast dich bestimmt bei deiner Wanderung an der frischen Luft verausgabt.“
„Wanderung ist etwas übertrieben. Spaziergang trifft es eher. Was für schöne Motive es hier gibt. Ich habe einen ganzen Block voller Skizzen bemalt. Vorerst nur mit Bleistift. Die Colorierungen kommen erst später dazu. Ich würde sie am liebsten sofort erledigen, aber die Arbeit im Büro ist wichtiger.“
„Da malst oder zeichnest du doch auch?“, mischte sich nun Jochen in das Gespräch ein.
„Schon. Doch nur, das was mein Chef oder mein Abteilungsleiter mir vorgeben und nicht das, was ich gerne selbst zeichnen würde oder kann. Die Arbeit ist gut bezahlt, keine Frage.“
„Und du hast an den Wochenenden und an den Feiertagen frei, während ich tagein, tagaus hier schuften muss, egal welcher Tag ist und welche Witterung wir haben.“
„Das Gras auf der anderen Seite des Zaunes ist immer grüner.“, mit diesem Sprichwort versuchte Dick die Stimmung ein wenig zu lockern. „Jeder von euch hätte gerne das Leben, dass der andere führt.“
„Man kann es sich nicht immer aussuchen. Ich selbst würde noch gerne arbeiten gehen, bin aber schon im Rentenalter angelangt.“, ergänzte Jochen, der bisher das Essen kaum angerührt hatte.
„Fühlst du dich nicht wohl? Sollen wir nach einem Arzt schicken?“
„Ich bin müde. Die Hitze bekommt mir nicht. Wenn ihr mich jetzt entschuldigt, ich würde mich gerne zurückziehen.“
„Natürlich, das ist doch selbstverständlich.“

Dick rechnete nach, wie alt Jochen, der ihr nie so alt vorgekommen war, inzwischen sein musste. Knapp 66, wenn sie sich nicht verrechnet hatte. Kein Wunder, dass er manchmal klagte, ihm werde alles zuviel und er wolle am liebsten nur noch schlafen oder. Dann wieder fühlte er sich besser, griff zu Hacke und Schaufel, um im Stall mitzuarbeiten, wie Dick von Ethelbert wusste, der es ihr unter vier Augen anvertraut hatte. Trotz dem der Wille vorhanden war, so erkannte auch Dick, Jochens Bewegungen waren steif, nicht mehr so geschmeidig wie früher und alles, egal ob Arbeit oder Entspannung ging ihm langsam vor der Hand. Das konnte nicht nur am heißen Wetter liegen.

Dick hätte Jochen gerne getröstet, doch sie wusste, er wollte lieber alleine sein.
„Wer weiß, wie ich mich verhalte, wenn ich einmal in diesem Alter bin. Eigentlich will ich nicht daran denken. Ich habe doch mein ganzes Leben noch vor mir. Warum bin ich heute so trübsinnig?“
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Kapitel 475

Beitrag von Andrea1984 »

Dick behielt mit ihrem Gefühl recht. Der Urlaub war vorbei und es wurde auch keine Verlängerung stattgegeben. Nun musste Dick wieder zurück in die lärmende, heiße, staubige Großstadt, wo sie fast kein Grün vor der Haustüre hatte. Lediglich einen Park gab es, doch der war weit von der Wohnung entfernt. Und es tobten dort vorwiegend Kinder und Jugendliche herum, spielten Fußball, liefen auf Rollschuhen herum oder sprangen mit den Gummiseilen. Wie sollte sich da ein Baby entspannen können, wenn es der Mutter nicht einmal gelang? Dick gab also den Plan auf, dorthin zu gehen.

Sie fand sich nur schwer mit der Enge der Wohnung ab. Die Tage verliefen in einem gleichen Rhythmus, ohne dass etwas Aufregendes geschah. Ende Juni erfuhr Dick, dass ihre Schwägerin Karolina und deren Mann Dominik, welche beide bereits eine einjährige Tochter hatten, das zweite Kind im Dezember erwarteten. Fast beneidete Dick ihre Schwägerin darüber, so rasch wieder schwanger geworden zu sein. Aber dann sagte sie sich innerlich, ein weiteres Kind wäre zwar schön, aber auch eine Belastung für die Ehe und den Geldbeutel. Also hieß es lieber, noch etwas warten.
Dick wollte zwar nicht, dass Rafe ein verwöhntes Einzelkind wurde. Sie entschloss sich daher, mit Ralf am Abend, in Ruhe unter vier Augen über das Problem zu reden. Am besten, wenn die Schwiegereltern ausgegangen waren. Die Gelegenheit kam erst Mitte Juli.

Ralf versicherte, es sei alles halb so schlimm. Ja, auch er hätte gerne ein weiteres Kind, doch sein Gehalt reichte dafür noch nicht aus. Er wollte noch ein halbes oder ein Jahr warten, dann bekäme er vielleicht eine Gehaltserhöhung und dann könne man über ein zweites Kind nicht nur reden, sondern es auch gleich in der Praxis versuchen. Dick fügte sich, so schwer es ihr auch fiel. Und sie dachte, dass Gut Ding nun einmal Weile brauche.

Im Herbst traf sie sich tatsächlich ein weiteres Mal mit Henning. Wieder in derselben Konditorei wie schon beim letzten Mal. Henning berichtete, dass es Dalli gut gehe und sie sich rasch eingelebt habe. Sie sei inzwischen auch ordnungsgemäß unter seiner Adresse angemeldet und auf der Arbeit versichert. Dick winkte ab, als ob sie das alles gar nicht so genau wissen wollte, zeigte sich aber irgendwie erleichtert darüber, dass Henning gut für Dalli sorgte. Sei es aus Pflichtgefühl oder aus Mitleid oder aus Liebe oder aus welchem Grund auch immer. Wenn er wollte, so könnte er sie auch heiraten, erwachsen sei sie ja, zumindest auf dem Papier. Dick wagte es jedoch, aus Respekt vor Henning, diesen Vorschlag nicht offen darzulegen. Und auch mit Ralf redete sie nicht darüber.

Inzwischen hatte Dick gelernt, wieder positiv zu denken. Vielleicht konnte sie ja, wenn Rafe etwas älter war, wieder arbeiten gehen, solange bis das nächste Kind sich ankündigte, um nicht nur von Ralf alleine abhängig zu sein. Sie ging nach draußen, einkaufen oder einfach nur spazieren, kam unter die Leute. Manchmal nahm sie Rafe mit, manchmal ging sie alleine spazieren, um wieder Kraft zu tanken. Auch die Treffen mit Henning und die gelegentlichen Telephonate mit ihm taten ihr gut.

So konnte Dick sich auch für ihre Schwägerin und deren Mann freuen, als deren zweite Tochter drei Tage vor Weihnachten gesund und munter geboren wurde. Dick empfand es als eine Ehre, das neugeborene Kind und dessen großen Schwester sowohl im Krankenhaus besuchen, als auch die Taufpaten des kleinen Mädchens sein zu dürfen. Ralf bekam, zum ersten Mal in diesem Jahr, ein Weihnachtsgeld ausbezahlt. Viel war es nicht, doch es reichte offenbar, um seinen bescheidenen Ansprüche abzudecken. Vielleicht würde es auch für ein weiteres Kind reichen, so hoffte Dick.

Weihnachten und Neujahr vergingen, der Winter kam und blieb bis Mitte März. In dieser Zeit stellt Dick fest, dass sie ihr zweites Kind erwartete. Es sollte im Oktober geboren werden, genauer Mitte Oktober. Zuerst vertraute Dick nur Ralf die Neuigkeit an, dann erst der Schwiegerfamilie und zuletzt auch Henning, diesem bei einem Treffen im Mai, das just auf den Jahrestag des ersten Treffens viel.

„Du siehst gut aus. Die Schwangerschaft bekommt dir offenbar.“
„Danke für das Kompliment. Ich fühle mich auch prächtig.“, antwortete Dick stolz. „Dabei habe ich doch gerade einmal Halbzeit und noch viele Wochen vor mir. Mein Körper weiß schon, was er tut.“
„Iss nur ruhig ein Stück Torte oder ein Stück Kuchen. Du kannst es brauchen.“
„Danke, ich .. ich möchte deinen Geldbeutel nicht überstrapzieren.“
„Ach was. So ein kleiner Wurm isst doch leicht mit. Wenn es ein Junge wird, könntest du ihm ja meinen Namen geben.“
„Die Idee gefällt mir. Wenn es ein Mädchen wird, steht der Name schon fest. Anna nach meiner Mutter, die ich zwar kaum gekannt habe.“, antwortete Dick mit selbstbewusst vorgestreckter Brust.
Und bestellte ein großes Stück Schokoladenkuchen mit viel Schlagsahne dazu, der ihr gut mundete.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am So 12.Aug.2018 21:59, insgesamt 2-mal geändert.
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Kapitel 476

Beitrag von Andrea1984 »

Am Abend erfuhr Dick eine überraschende Neuigkeit. Ralf hatte seine Arbeit verloren.
„Wie ist das möglich?“
„Dr. Westkamp hat schon seit längerem Schwierigkeiten in der Firma gehabt und in den letzten Monaten mehr schlecht als recht gewirtschaftet. Nun hat er den Laden schließen und alle Angestellten entlassen müssen.“, berichtete Ralf beim Abendessen. Anselm fiel vor Schreck, so vermutete es Dick, beinahe das Besteck aus den Händen. Katharina bekreuzigte sich, atmete tief durch.
„Du hast doch lange genug gearbeitet. Vielleicht bekommst du ein Arbeitslosengeld.“, so hoffte Dick.
„Ich werde sobald wie möglich das zuständige Amt anrufen und fragen, was mir zusteht. Mach dir keine Sorgen. Es ist alles halb so schlimm. Die Hauptsache: Wir sind gesund.“
„Und haben ein Dach über dem Kopf, auch wenn es nicht das eigene ist.“, ergänzte Dick, löffelte ihre Suppe.
„Ihr könnt so lange hier wohnen bleiben, wie ihr wollt.“, bot Anselm, der den Tischvorsitz inne hatte, freundlich an. „Das wisst ihr genau. Bei seiner beruflichen Erfahrung wird Ralf bald wieder eine neue Stelle haben. Und Ersparnisse habt ihr ja auch, soweit ich weiß, oder etwa nicht bzw. nicht mehr?“
„Oh doch, etwas ist noch vorhanden.“, Dick legte den Suppenlöffel beiseite. „Aber davon können wir nicht leben, zumindest nicht auf Dauer. Was hältst du davon, wenn ich mit Henning rede, ob er uns helfen kann? Weniger mit Geld, sondern vielmehr mit seinen Kontakten?“
„Nur Mut. Ein Versuch kann nicht schaden.“, Ralf nahm sich eine weitere Scheibe Brot aus dem kleinen Brotkorb, welcher in der Mitte des Tisches stand, brach es in zwei Teile, aß es langsam.

An diesem Tag war es zu spät, um noch Kontakt zu Henning aufzunehmen, soviel wusste Dick schon Bescheid. Also griff sie am nächsten Tag zum Telephon, um Henning zu kontaktieren. Leider erreichte sie ihn nicht persönlich, sondern nur den Text des Anrufbeantworters. Dick hinterließ eine Nachricht darauf, bat um baldigen Rückruf, es sei sehr wichtig. Mehr Details wollte Dick nicht preisgeben.
„Hoffentlich erreicht Henning die Nachricht. Nicht, dass Dalli sie hört und löscht.“

Erst eine Woche später empfing Dick den ersehnten Anruf von Henning. Er meinte, er werde sich einmal umhören, aber versprechen könne er nichts. Kontakte habe er, das sei schon richtig, aber die Entscheidung obliege nicht ihm, sondern seinem Chef, der im Augenblick im Urlaub sei. Dick hielt das Gespräch kurz, da das Telephon nicht ihr gehörte und sie das schmale Budget ihrer Schwiegereltern nicht noch mehr belasten wollte, als es unbedingt notwendigt war. Schließlich musste gespart werden.

Dick beobachtete Ralf dabei, wie er sorgfältig die Tageszeitungen studierte, die passenden Stellenanzeigen ankreuzte und dann eine Bewerbung nach der anderen verfasste und zur Post brachte. Einige Firmen meldeten sich nicht, andere später und teilten mit, dass sie eigentlich niemanden benötigten oder die ausgeschriebene Stelle schon intern vergeben worden sei.
Dick tröstete Ralf, so gut sie es vermochte, sprach ihm Mut zu und drückte ihm fest die Daumen.

Der geplante Sommerurlaub fiel ins Wasser, sowohl buchstäblich, als auch im übertragenen Sinn. Beinahe jeden Tag regnete es in Strömen. Dennoch unternahmen Dick und Ralf, gemeinsam mit Rafe viel zusammen, gingen spazieren, sahen sich Schaufenster an, genossen die frische Luft. Die Abende verbrachte Dick entweder mit ihren Schwiegereltern, gemeinsam im Wohnzimmer sitzend und plaudernd oder zurückgezogen mit Ralf in ihrem Zimmer, das eigentlich ein zweites Wohnzimmer war. Einen Fernseher gab es zwar, aber er wurde nur selten genützt, lediglich um sich die Nachrichten oder das Wetter anzusehen. Dick war es nur recht, sie kannte es ja nicht anders und nahm sich fest vor, wenn Rafe größer war, dass er auch nur wenig fernsehen durfte.

Ab und zu, wenn Ralfs Geschwister zu Besuch kamen, kramte Katharina aus einem der Schubfächer ein Karten- oder ein Brettspiel hervor. Dick freute sich sehr darüber, auch wenn sie manchmal verlor. Doch so war das Leben. Sie genoss die Gesellschaft von Ralfs Eltern und Geschwistern sehr, beinahe so, als ob es ihre eigenen Eltern und Geschwister wären, was rein biologisch gesehen kaum möglich gewesen sein konnte.

Gelegentlich brachten Karolina und Dominik auch ihre beiden Töchter Stephanie und Edith mit. Stephanie und Rafe spielten friedlich zusammen, während Edith noch zu klein war, um sich daran beteiligen zu können. Selbstverständlich gab es auch Gegenbesuche, in dem Dick und Rafe bei Karolina nach vorheriger Absprache, vor der Türe standen.
Dick war dabei, als Ralf auch seinen Geschwistern, bis auf Werner, der gerade im Ausland weilte davon erzählte, wie es beruflich um ihn stand. Sie versprachen, ihm zu helfen, so gut sie es selbst konnten. Dick erfuhr, dass Ralf einen Brief an Werner geschrieben hatte, das war am einfachsten.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mi 13.Jul.2022 22:41, insgesamt 3-mal geändert.
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Kapitel 477

Beitrag von Andrea1984 »

Der Sommer , der eigentlich kaum einer war, verging schnell. Dick begann bereits die Tage zu zählen, wann ihr zweites Kind geboren werden sollte. Diesmal hoffte sie auf Ralfs Unterstützung, aber die Ärztin war dagegen. Der Mann sollte gefälligst draußen warten, es ginge ihn nichts an. Dick argumentierte höflich, Ralf sei bei der Zeugung dabei gewesen, also könne er auch bei der Geburt dabei sein. Wenn er umkippe oder Blut verlöre oder was sonst noch alles passierte, er sei ja ohnedies im Krankenhaus und könne daher schnell versorgt werden. Die Ärztin zögerte, nickte aber dann und ging anschließend zu der Untersuchung über, als ob das Gespräch niemals stattgefunden hätte.

Eine Woche vor dem errechneten Termin, am 07. Oktober, setzten bei Dick die Wehen ein. Diesmal verlief die Entbindung so schnell, dass Dick kaum zum Nachdenken kam und lediglich registrierte, dass Ralf an ihrer Seite war. Zwar mit einem weißen oder einem grünen Kittel bekleidet und einem Mundschutz vor dem Gesicht, aber besser so, als gar nicht dabei. Ein oder zwei kurze, heftige Presswehen und dann war das Baby auch schon auf der Welt.
„Sieh nur Dick: Unsere Tochter.“, Ralf’s Stimme klang dumpf unter dem Mundschutz hervor.
„Wie schön: Endlich ein Mädchen. Ich bin erleichtert.“
„Und das buchstäblich. Die Kleine hat ein ordentliches Geburtsgewicht drauf.“, nuschelte die Hebamme ihrerseits in einen Mundschutz hinein. „Und plärren tut sie auch ganz schön.“

Dick betrachtete ihre Tochter, die ihr auf’s Haar glich: Schwarze Locken und blaue Augen.
„Ich sage meinen Eltern, die sich um Rafe kümmern, Bescheid.“
„Ja, tu das. Ich warte solange hier, bis du wieder zurückkommst.“, schmunzelte Dick.
Selbst die Hebamme lachte, während sie die kleine Anna zuerst auf die Waage und dann an das Maßband legte. Anna war zwar deutlich schwerer als Rafe damals, aber auch zwei Zentimeter größer.
Wessen Gene hatten sich bei wohl durchgemendelt? Dick vermutete, dass es sich um die Gene ihrer Eltern handelte, da Oma Jantzen doch eher klein gewesen war. Beweisen konnte sie diese Theorie jedoch nicht.

Auch diesmal erhielt Dick viel Besuch am Wochenbett. Zuerst die Schwiegereltern und Rafe, später nur Jochen, da Ethelbert, wie so oft, beruflich eingespannt war und keine Zeit zum Mitkommen hatte.

„Darf ich dich um etwas bitten? Es ist nur eine Anfrage, nicht mehr.“
„Nur zu. Worum handelt es sich?“, wollte Jochen wissen. „Ich bin für alles offen.“
„Die kleine Anna hier braucht einen Taufpaten oder eine Taufpatin. Bei Rafe hat diese Aufgabe jemand aus Ralfs Familie übernommen. Nun ist jemand aus meiner Familie dran.“
„Was hältst du von Dalli?“
„Die interessiert mich nicht. Außerdem ist sie viel zu unreif, um Verantwortung für andere zu tragen. Sie kommt ja kaum mit sich selbst klar.“, meinte Dick ein wenig sarkastisch. „Daher ist meine Wahl auf dich gefallen. Ich mag dich und vertraue dir.“
„Es ist mir eine Ehre.“, Jochen wischte sich eine Träne von der Wange. „Das war eine Fliege.“
„Wie soll die denn hereinfliegen? Durch das geschlossene Fenster?“, wunderte sich Dick.

Geraume Zeit später fand die Taufe von Anna in der Lübecker Kirche statt. Dick war noch etwas zittrig auf den Beinen, bemühte sich aber, tapfer zu sein und sich keine Schwäche anmerken zu lassen. An diesem Tag herrschte eite Wonne und Sonnenschein, der sich durch die dichten Wolken kämpfte.
Während der Taufzeremonie musste Dick alle nur erdenklichen Möglichkeiten anwenden, um Anna, die schrie, als ob sie am Spieß steckte, zu beruhigen. Rafe hingegen saß tapfer auf dem Schoß seiner Großmutter und blickte ruhig mit großen, kugeligen Augen um sich, als ob nichts geschehen wäre.

Erst im November fand Ralf endlich eine Stelle. Zwar nur für ein halbes Jahr, doch besser als ohne eine Arbeit dazustehen. Dick stöberte auch in der Zeitung, so es ihre Zeit mit den Kindern zuließ. Allerdings weniger bei den Stellenanzeigen, als vielmehr bei den Immobilien. Sie wollte endlich ein eigenes Zuhause haben und nicht ihr ganzes Leben lang auf die Unterstützung ihrer Schwiegereltern angewiesen sein. Eine Arbeit zu finden, diesen Plan hatte Dick abgehakt: Wer hatte einen Posten frei, für eine Frau, die sich um ihre Kinder kümmern musste? Dann schon lieber eine junge Kraft, die zeitlich flexibel war und weniger Kosten, als eine erfahrene Person, verursachte. Dick hätte gerne weiterarbeitet, doch es sollte nicht sein, vorerst zumindest nicht. Rafe war ein Wirbelwind, man konnte ihn kaum eine Minute aus den Augen lassen. Und Anna versprach, sich in eine ähnliche Richtung zu entwickeln. Dennoch bereute Dick es nicht, ihre Kinder bekommen zu haben. Wenn sie einen Rat oder eine Hilfe brauchte, wandte sie sich an ihre Schwiegermutter oder an ihre Schwägerin, die ja selbst Kinder hatte. Umgekehrt gab Dick auch jederzeit gerne ihre Tipps an Karolina weiter.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mi 17.Jan.2018 22:12, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 478

Beitrag von Andrea1984 »

„Jetzt bist du mir schon wieder um ein Kind voraus.“, meinte Dick lachend, als sie ihre Schwägerin kurz nach dem Jahreswechsel 1965 in deren Wohnung auf ein Plauderstündchen traf.
„So ist es. Doch du kannst mich ja noch einholen. Komm, gib mir deinen Mantel. Du kannst ihn ruhig ausziehen, hier ist es warm genug. Ich drehe die Heizung immer hoch, damit sich meine Kinder nicht erkälten.“, meinte Karolina. „Wo sie doch den ganzen Tag auf dem Fußboden herumtoben.“
„Kjnder wachsen einfach zu schnell.“, stimmte Dick zu. Selbstverständlich waren Rafe und Anna mitgekommen. Anna lag in einer kleinen Tragetasche, während Rafe bereits laufen konnte.

„Werner hat mir geschrieben. Er ist verlobt und möchte im Herbst heiraten. Und zwar hier in Deutschland.“
„Das freut mich, dann lerne ich ihn endlich mal persönlich kennen.“
„Möchtest du einen Tee? Oder etwas anderes trinken? Hier im Wohnzimmer ist Platz genug für uns und für unsere Kinder.“
„Ein Tee ist immer gut. Ich stille ja noch, wie du weißt und darf daher leider keinen Kaffee trinken.“
Dick fühlte sich bei ihrer Schwägerin beinahe wie Zuhause. Alles war so gemütlich und bequem.

Eine Weile plauderten die beiden Frauen über den Alltag mit den Kindern, tauschten Kochrezepte und Haushaltstipps aus. Dann servierte Karolina Tee und Kuchen, ja auch schon für die Kinder, die allerdings nicht lange stillsitzen konnten, sondern überall herumkletterten, sei es auf den Stühlen oder auf dem Sofa oder auf dem kleinen Beistelltisch.
„Da steht mir ja noch einiges bevor.“, seufzte Dick, hielt Rafe mit der einen Hand fest und behielt die andere Hand auf der Tragetasche, wo sich Anna befand.
„Ja, doch glaube mir, du willst es nicht anders haben. Dabei sind die beiden Mädchen pflegeleicht.“
„Dann wünsche ich dir, dass du diesmal einen Jungen bekommst.“, erwiderte Dick scherzhaft.
„Stimmt, die Erfahrung habe ich noch nicht gemacht. Dominik ist es egal, was es wird.“

Mochte Dick auch sonst beinahe immer Recht haben, dieses Mal war sie im Irrtum. Anfang Mai kam Karolina mit ihrer dritten Tochter, welche den Namen Regine erhielt, nieder. Selbstverständlich kam es auch weiterhin zu Besuchen, die allerdings nicht mehr so regelmäßig wie früher waren. Dick nahm Rücksicht auf ihre Schwägerin und deren Familie. Ralf suchte wieder eine Arbeit, was auch diesmal nicht so einfach war. Anfang Juni traf Werner, gemeinsam mit seiner Verlobten Monika, die nur Moni genannt werden wollte, in Deutschland ein. Dick fand die beiden recht nett, doch sie wurde mit Werner nicht so warm, wie sie es mit Hilda und Karolina schon geworden war. Auch zu Gerda fand Dick irgendwie keinen richtigen Draht, obwohl sie sich bemühte, nett und freundlich zu sein.

Gerda hatte, nach dem frühen und unerwarteten Tod, ihres ersten Mannes, ein zweites Mal geheiratet, nur um versorgt zu sein, so vermutete es Dick, doch die Ehe war nicht glücklich. Gerda beklagte sich darüber, dass ihr Mann ständig in der Arbeit sei und wenig Zeit für sie übrig habe. Dick vermutete, dass Gerdas Kummer daran lag, keine Aufgabe im Leben zu haben. Vielleicht würde es ihr gut tun, einen Nachmittag auf Rafe und Anna achtzugeben, sie zu betreuten? Dick machte das Angebot beiläufig, aber Gerda lehnte ab. Sie könne nicht mit Kindern umgehen. Wenn die Kinder schon unbedingt betreut werden müssten, dann eher von Hilda, die einen besseren Kontakt habe.

Dick sprach also mit Hilda darüber und erhielt diesmal eine positive Antwort. Hilda war unverheiratet, weil sie behauptete, den richtigen noch nicht gefunden zu haben. Sie ließ sich Zeit. Mit dem Heiraten eilte es ja kaum. Dick schaffte es schnell, dass Hilda einen Kontakt zu Rafe und Anna, aber auch zu Stephanie, Edith und Regine aufbaute, um keines der Kinder zu bevorzugen oder zu benachteiligen.
An einem schönen Tag im Frühsommer gingen Dick, Hilda und Karolina, gemeinsam mit allen Kindern auf den Spielplatz, wo die größeren Kinder munter drauflos tobten oder es zumindest versuchten.

Dick hörte geduldig zu, kam auch mit anderen Müttern ins Gespräch, tauschte ihre Erfahrungen, sowie Telephonnummern und Adressen aus. Karolina gestand, sie wollte gerne noch ein viertes Kind haben, aber Regine sei noch zu klein. Also müsse sie warten, bis die Kleine aus dem gröbsten heraußen war. Eine der anderen Mütter, die mehrere Kinder hatte, brachte Argumente für, aber auch gegen ein viertes Kind aufs Tapet. Solange der Mann gut verdiene und der Wohnraum ausreichend sei, käme es auf ein Kind mehr oder weniger nicht an. Keine der Frauen in dieser Gruppe arbeitete. Sei es, weil sie einen Mann hatte, der für alles zuständig war oder weil sei nicht arbeiten gehen wollte.

Dick kam sich, verglichen mit den anderen Müttern, beinahe ein wenig unreif vor. Aber sie konnte und durfte mitreden, ihre Meinung wurde respektiert. Und sie hatte zwei gesunden Kindern das Leben geschenkt. Das wurde in dieser Runde auch anerkannt, wenngleich andere Mütter mehr als zwei Kinder hatten. Und sich alle dafür aussprachen, dass es nie verkehrt sei, viele Kinder zu haben.
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Kapitel 479

Beitrag von Andrea1984 »

Wenige Tage später, führte Dick ein Gespräch mit Henning. Er hatte sie in seine Wohnung in Hamburg eingeladen. Dalli war auf der Arbeit oder sollte es zumindest sein.
„Ich vertraue ihr, dass sie mir keine Schwierigkeiten macht.“
„Apropos machen: Heirate Dalli und mach sie glücklich.“
„Was jetzt?“, fragte Henning nach. „Beides kann ich wohl nicht, das ist mir zuviel.“
„Du liebst sie doch offenbar und sie liebt dich.“
„Was soll Brigitte mit einem so alten Tattergreis wie mir? Sie würde mich doch bloß des Geldes wegen heiraten.“, gab Henning ruhig, wie es seine Art war, zur Antwort.
„Nun ja, das wäre nicht das erste Mal, oder? Außerdem ist Dalli auf diese Weise versorgt.“
„Ich glaube nicht, dass das ihr Ziel ist: Versorgt zu sein. Außerdem halte ich Brigitte noch viel zu unreif, um eine Ehe einzugehen, sei es mit mir oder mit jemand anderem. Sie ist jung und muss sich austoben. Wenn sie des Lebensstiles überdrüssig geworden ist und doch Hausfrau oder Mutter werden möchte, so wird sie den richtigen Mann schon finden.“
„Na darauf bin ich mal gespannt.“, Dick hatte genug über Dalli geredet, wartete bis Henning das Thema wechselte. In der Wohnung gefiel es Dick recht gut, bis auf die Tatsache, dass in beinahe jedem Zimmer ein Bild von Dalli hing oder ein Kleidungsstück ausgebreitet lag oder sich Bücher und Papiere stapelten, die eindeutig Dallis Handschrift trugen, wie Dck unschwer erkennen konnte.

Sie blieb nur kurz, da sie ihre Kinder nicht so lange unter der Obhut von Katharina lassen konnte. Eine Gegeneinladung in die Wohnung der Schwiegereltern, das hielt Dick für nicht angebracht. Erst wenn sie eine eigene Wohnung hatte, dann und nur dann, wollte sie Henning einmal darin einladen. Aber dieser Plan würde sich wohl nicht so schnell umsetzen lassen. Erst musste Ralf eine Arbeit haben, dann sollte auch alles andere einfacher sein. In der Mütterrunde, die sich nach wie vor auf dem Spielplatz regelmäßig traf, redete Dick nur wenig über sich selbst und schon gar nichts über Ralf. Sie trug ihren Ehering mit Stolz, so dass jeder sehen konnte, dass sie verheiratet war. Weitere Informationen brauchten die anderen Mütter nicht unbedingt zu wissen. Dick stellte ihrerseits auch keine Fragen, ob nun alle Kinder einer großen Familie auch wirklich nur von einem Mann stammten.

„Es ist irgendwie ungerecht.“, dachte Dick, während sie nachts wachlag und grübelte. „Die einen hätten gerne Kinder, können aber keine bekommen und die anderen bekommen zwar welche, geben sie aber gleich nach der Geburt zur Adoption frei. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Ich selbst habe keinen Grund mich zu beklagen, wirklich nicht. Ralf ist ein netter und treuer Ehemann. Er trinkt nicht, er raucht nicht, was will ich denn noch mehr. Jetzt schlafen beide Kinder. Wie ruhig sie daliegen. Sorglos. Wie gut es die beiden doch haben. Andere Kinder hungern oder frieren. Na, darüber mache ich mir keine Gedanken. Was kümmern mich die armen Kinder in Afrika. Ich bin hier zu Hause und kann mir nicht vorstellen, dieses Land jemals verlassen zu müssen, nicht für alles Geld der Welt.“

Mitte Juli erhielt Ralf ein Jobangebot, dass haargenau auf ihn passte: Einen gutes Gehalt, flexible Arbeitszeiten, eine Kantine und vieles mehr. Der Haken: Die Arbeit war in Kanada. Ralf hatte sich, im Gespräch mit dem Bekannten, der ihm diese Arbeit vermitteln wollte, Bedenkzeit erbeten, wie Dick wusste. Nun musste er sich bald entscheiden: Sollte er weiterhin ohne Arbeit hier leben oder mit einer Arbeit in einem fremden Land? Dick versprach, vorerst mit niemandem darüber zu reden.

Drei Tage vor dem Ende der Bedenkzeit, genauer zwei Wochen später, gab Ralf den Entschluss bereit, nach Kanada auswandern zu wollen. Nun musste alles dafür in die Wege geleitet werden. Dicks Schwiegereltern nahmen die Nachricht gefasst auf, als ob sie damit gerechnet hätten.
Ralf kontaktierte seinen Bekannten. Dieser rief ihn sogleich an und meinte, er wolle ruhig alles in die Wege leiten. Ende Oktober solle die Abreise stattfinden. Mit dem Schiff ab Hamburg würde es eine Woche dauern, bis die Ankunft in Kanada fixiert sei. Eine Flugreise war zu teuer, noch dazu für vier Personen und dem ganzen Gepäch. Undenkbar, auch nur eine Flugreise in Erwägung zu ziehen.

Dick fühlte sich immer elender, je näher der Tag der Abreise rückte. Sie redete sich ein, es sei das Reisefieber und sie müsse sich um soviele Dinge kümmern. Aber in ihrem Inneren wusste sie genau, woran es lag. Es hatte sich wieder ein Kind angekündigt. Dick verschwieg die Schwangerschaft allen, bis auf Ralf, um niemanden unnötig damit zu belasten. Über die Auswanderpläne setzte sich Henning, Jochen und Ethelbert durchaus in Kenntnis und versprach, sich auch weiterhin brieflich zu melden.
Aufgrund der Witterung verzögerte sich die geplante Abreise um zwei Wochen. Dick schickte ein Stoßgebet, dass alles gut ginge und ihr niemand ihre Hoffnung anmerkte. Ihre Gebete wurden erhöhrt. Die Reise verlief störungsfrei und Dick war erleichtert, als sie endlich festen Boden unter den Füßen spürte. Nun hieß es Kraft tanken für das neue Leben. Was würde sie und die Familie hier erwarten?
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Do 07.Jun.2018 23:29, insgesamt 2-mal geändert.
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Kapitel 480

Beitrag von Andrea1984 »

Dick lebte sich schneller ein, als sie gedacht hatte. Auch die Kinder gewohnten sich um. Englisch sprachen sie im Alltag, in der Kinderkrippe, Deutsch hingegen zu Hause. Ralf arbeitete jeden Tag hart und war kam Abend für Abend erschöpft heim. Dick führte nun endlich ihren eigenen Haushalt, nachdem sie sich schon so lange gesehnt hatte. Endlich trug sie alleine die Verantwortung. Bald hatte sie nette Freundschaften mit den Nachbarn und auch anderen Müttern geschlossen, wenngleich die Kontakte sehr oberflächlich waren und kaum über Alltäglichkeiten hinauskamen. Dick litt insgeheim darunter, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Ihre Schwangerschaft machte ihr diesmal deutlich zu schaffen, mehr noch als bei den ersten beiden Malen. Was vermutlich auch daran lag, dass sie jetzt keine Unterstützung durch die Schwiegereltern mehr hatte, die nun sehr weit weg von hier wohnten.

Ende Mai 1966 kam Dick abermals mit einer Tochter nieder, welche den Namen Margot, nach Dicks frühverstorbener Freundin trug. Die kleine Margot hatte zwar braune Haare, jedoch blaue Augen, was einen interessanten Kontrast ergab. Anna schien noch zu klein zu sein, um Freude oder Eifersucht zu zeigen. Rafe hingegen verhielt sich deutlich bockig. Dick hatte alle Mühe, ihn zur Vernunft zu bringen. Eifersucht unter Geschwistern, das kam nun einmal vor. Dick wusste oder ahnte es zumindest, was Rafe in diesem Moment fühlte. Einige Zeit war er alleine gewesen und nun gab es gleich zwei jüngere , die ihm den Rang streitig machten und wie. Mit Ralfs Hilfe schaffte es Dick, dass die Streitigkeiten unter den Kindern nicht ausuferten, zumindest vorerst noch nicht.

In regelmäßigen Abständen trafen Briefe aus Deutschland ein. Einmal von Katharina und Anselm, dann wieder von Jochen und Ethelbert, die, so vermutete es Dick, einen Brief zu zweit schrieben, um Kosten zu sparen. Auch Henning schrieb, berichtete, was es neues gab und dass er Dalli gefragt habe, ob sie ihn heiraten wollte. Aber sie habe abgelehnt, ohne diese Absage zu begründen.

Dick teilte ihren Schwiegereltern die Ankunft von Margot brieflich mit und hoffte auf Verständnis. Es dauerte lange, bis eine Antwort eintraf. Was weniger an der Faulheit der Schwiegereltern, als vielmehr an der Länge des Postweges lag. So musste sich Dick noch eine Weile gedulden. Sie hatte überdies wenig Zeit zum Nachdenken, da ihre Kinder sie sehr in Anspruch nahmen. Aber sie wollte sich nicht beklagen, es gab ja nun wirklich keinen Grund dazu. Ralf verdiente gut. Das kleine Farmhaus konnte daher nun langsam ausgebaut, ja sogar mit Tieren bestückt werden. Dick bestand darauf, nicht nur Kühe, sondern auch Pferde zu halten, wie sie es von früher her gewöhnt gewesen war. Dieser Wunsch wurde ihr erfüllt, worüber Dick sich sehr freute.

Um Dalli machte sich Dick nur selten Gedanken. Henning erwähnte sie ab und an in seinen Briefen, ds genügte. Dick wusste nicht einmal, ob Dalli über die Auswanderung informiert wordern war. Wenn dann nur von Henning oder von Ralf, der alle Unterlagen in Hamburg organisiert hatte und daher vielleicht mit Henning und/oder mit Dalli zusammengetroffen war.

Die Briefe von Jochen und von Ethelbert wurden immer kürzer und immer seltener. So selten, dass Dick sich am Postamt erkundigte, ob vielleicht ein Brief nicht angekommen sei. Der Beamte versicherte, es gehe alles mit rechten Dingen zu. Die Post brauche nun einmal länger über den Atlantik. Kurz vor Weihnachten trafen jede Menge Postkarten ein. Dick verschickte auch selbst welche, an ihre Freunde und Bekannten in Europa. Der Nachteil von Postkarten: Jeder konnte und durfte sie lesen. Dick schrieb daher nur allgemeine Floskeln darauf. Private Erlebnisse behielt sie sich für die Briefe vor, die nicht von jedermann, sondern nur von dem Empfänger geöffnet werden durften.

Telephonate gab es natürlich auch, aber das telephonieren war teuer. Vorerst konnte Dick sich das nicht leisten. Nur in absoluten Ausnahmefällen z. B. den Geburtstagen der Schwiegereltern, dem Geburtstag von Ethelbert und dem Geburtstag von Jochen griff sie zum Telephonhörer. Es dauerte lange, bis die Verbindung zustande kam. Oftmals rauschte und knackte es in der Leitung.

Anrufe kamen nur selten herein. Mitte Juni 1967 erfuhr Dick auf diesem Weg von Ethelbert, dass Jochen plötzlich gestorben sei. An den Folgen eines Reitunfalls. Mehr Details dazu sollte Dick im Brief erfahren. Dick berichtete sogleich Ralf davon. Gemeinsam gingen sie in eine Kirche und beteten für Jochen. Wo er seine letzte Ruhestätte finden sollte, wusste Dick nicht. Sie nahm an, Ethelbert würde es im versprochenen Brief erwähnen. Das geschah dann auch. Jochen sollte in Malente beigesetzt werden. Dick bedauerte es, nicht bei der Beerdigung dabei sein zu können, aber die Reise nach Europa war zu teuer. Also schickte Dick etwas Geld an Ethelbert und bat ihn, einen Kranz für Jochens Beisetzung zu kaufen. Ethelbert schrieb zurück, die Beerdigung sei sehr würdevoll gewesen. Dalli habe auch daran teilgenommen. Dick wunderte sich darüber, stellte jedoch keine weiteren Fragen.
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