Oma Jantzen 1909 bis 1956-Versuch einer Biographie

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Die patente Oma
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Oma Jantzen 1909 bis 1956-Versuch einer Biographie

Beitrag von Die patente Oma »

Es war im Jahr 1909. Auf Gut Sophienruh in Ostpreußen war Frühling und alles grünte und blühte. Die 19jährige Gutsherrentochter Henriette Guderius war aufgeregt. Am Abend würde auf dem Gut ein großer Ball stattfinden, der erste nach dem langen Winter. Henriette war voller Vorfreude, hatte sie doch zu diesem Anlass ein duftiges neues Kleid bekommen. „Ob Richard mich wohl hübsch finden wird?“ Beim Gedanken an Richard Jantzen aus dem fernen Holstein, ihren Cousin dritten Grades, der gerade zu Besuch war, errötete sie leicht.
Sie sattelte ihr Pony Sternchen und ritt ausgelassen über die blühenden Wiesen.

Der Abend war gekommen und damit der Ball. Mit ihrem neuen Kleid und ihrer Anmut zog sie die Blicke der anwesenden jungen Herren auf sich. Besonders Richard versank förmlich in ihrem Anblick. Keinen Tanz mit ihr ließ er aus und als sie einmal eine kleine Pause machten, führte er sie in den Park des Anwesens.
Dort, zwischen den hohen Hecken, nahm er all seinen Mut zusammen: „Henriette, Du bist die Königin des Abends! Lass mich Dein König sein. Möchtest Du mich heiraten und mir auf mein Gut in Malente folgen?“
Henriette zögerte. Natürlich liebte sie Richard über alles, aber die Eltern und Geschwister in Pommern zurücklassen und so weit weg in ein unbekanntes Land ziehen? War ihre Liebe stark genug? Da sah sie Richards trauriges Gesicht und wusste nun, wo ihr Platz im Leben sein würde. „Ja,Liebster, ich möchte dich heiraten! Ich liebe Dich ja schon so lange! Lass es uns gleich den Eltern sagen.“
Die Gutsleute freuten sich über die Verlobung und ließen das junge Paar hochleben, waren aber andererseits auch sehr traurig über den nahen Abschied.
Drei Monate später wurde die Hochzeit gefeiert. In einem wunderschönen weißen Kleid mit einem Myrthenkränzchen auf dem Kopf wurde Henriette Richards Frau.
Am Morgen danach reiste das frischgebackene Ehepaar in Richards Heimat, auf den Immenhof bei Malente.
Die hübsche, zupackende Henriette war bald bei allen auf dem Gutshof beliebt und unterstützte Richard tatkräftig bei seinem Ponygestüt.
Pünktlich 9 Monate nach der Hochzeit erblickte die kleine Mathilde das Licht der Welt und das Glück auf dem Immenhof war vollkommen.

18 Jahre später reiste Henriette nach langer Zeit mal wieder auf das elterliche Gut, Mathilde begleitete sie, Richard konnte von seiner Ponyzucht nicht weg, die er inzwischen, nach dem Tod seines Vaters, komplett selbst leitete. Der Anlass für die Reise war die Hochzeit von Henriettes Nichte und Mathildes Cousine Edelgard.
Mathilde freute sich sehr darauf, ihre Großeltern und die Cousine wiederzusehen. Es war Herbst und damit Jagdsaison. Vor den Hochzeitsfeierlichkeiten stand noch die große Parforcejagd an, bei der auch Henriette und Mathilde mit ritten. Auch Edelgard und ihr Verlobter, Georg Gravenhorst aus Frankfurt, waren mit von der Partie.
Die Jagd war ein voller Erfolg und die Hochzeit wenige Tage später so romantisch, wie eine Hochzeit nur romantisch sein kann.
Mit der Ungestümheit ihrer 18 Jahre genoss Mathilde den anschließenden Ball in vollen Zügen. Besonders angetan hatte es ihr der glutäugige Sohn vom Nachbargut, Hugo Voss, ein entfernter Verwandter des Homer-Übersetzers. Mit seinem mitreißenden Esprit verzauberte er das Mädchen und noch bevor Henriette und Mathilde wieder abreisten, waren Hugo und Mathilde verlobt.
Hugo reiste bald darauf nach Malente um bei Vater Richard offiziell um die Hand seiner Tochter zu anzuhalten, aber auch Richard wollte dem Glück Mathildes nicht im Wege stehen und gab dem Antrag statt.
Das rauschende Hochzeitsfest fand wenige Wochen später im Dodauer Forst rund um die Bräutigamseiche statt, bevor Mathilde ihrem Hugo nach Ostpreußen folgte.
Die beiden führten eine liebevolle und glückliche Ehe, aus der nacheinander drei Töchter geboren wurden: Angela, die älteste, ein engelsgleiches Kind mit blonden Locken, die immer ein wenig melancholisch wirkende Barbara, die wegen ihres Babyspecks im Kleinkindalter Dick genannt wurde und das quirlige Nesthäkchen Brigitte, die Dalli genannt wurde, weil sie mit ihren kleinen Beinchen wieselflink unterwegs war.

Georg und Edelgard hatten inzwischen einen kleinen Sohn, Ethelbert, der immer kränklich war und daher stets wohl behütet wurde.

Ging der erste Weltkrieg noch spurlos an der Familie vorüber, so drohte in den Dreißigerjahren Unheil.
Als Hitler am 1.September 1939 den 2. Weltkrieg begann, wurde Hugo eingezogen. Er kam noch einmal auf Heimaturlaub, aber er sollte seine Familie niemals wiedersehen, er fiel 1941 an der Westfront. Er hatte in einem Feldpostbrief gerade noch von Mathilde erfahren, dass sein Heimaturlaub nicht ohne Folgen geblieben war, aber sein Nesthäkchen sollte er nie kennen lernen. Nach dem Tod ihres Mannes wäre Mathilde gerne mit ihren drei Mädchen zu ihren Eltern nach Holstein gezogen, aber die Wirren des Krieges ließen das nicht zu.
Beim Einmarsch der Russen 1945 wollte die Mutter mit ihren Töchtern fliehen, aber sie wurden aufgegriffen und Mathilde von russischen Soldaten so schwer misshandelt, dass sie kurz danach starb.
Als Henriette und Richard auf Umwegen vom Tod seiner Tochter erfuhr, beutelte es ihn so sehr, dass er einen tödlichen Herzanfall erlitt.

Angela, Barbara und Brigitte waren nun auf sich allein gestellt. Ihre einzige Chance war, sich irgendwie zum Immenhof durchzuschlagen, auch wenn 1000 km Ungewissheit vor ihnen lagen. Sie hatten Glück und trafen unterwegs immer wieder auf kinderliebe Bauersleute, die ihnen zu essen gaben und sie auch mal in der Scheune übernachten ließen.
Eigentlich wollten sie mit der „Gustloff“ über die Ostsee, bekamen aber keinen Platz. Zuerst waren sie verzweifelt, aber als sie von anderen Flüchtenden hörten, dass das Schiff versenkt worden war und es Tausende von Toten gab, waren sie unendlich erleichtert, dass sie so glimpflich davon gekommen waren.
Sie kämpften sich entlang der Ostseeküste immer weiter nach Süden und Westen und erreichten schließlich ausgemergelt und am Ende ihrer Kräfte den Immenhof, wo Oma Henriette sie überglücklich in ihre Arme schloss.
Die beiden Kleinen hatten die Flucht körperlich gut überstanden und waren bald so erholt, dass sie sich tatkräftig um Omas Ponys kümmern konnten. Angela aber wurde durch all die Aufregungen und Anstrengungen herzkrank. Sie kümmerte sich um die Verwaltung der Ponyzucht. Der Arzt hatte ihr das Reiten streng verboten und befürchtete, dass Angela trotz aller Schonung wohl nicht alt werden würde.

Henriette gewann bald ihre alte Tatkraft und ihren Optimismus wieder. Inzwischen hatte sie sogar wieder einen Verehrer. Dr. Pudlich, der alte Tierarzt, der immer wieder nach den Ponys schaute, machte ihr den Hof. Noch konnte sie aber Richard, den sie so sehr geliebt hatte, nicht vergessen und gab Pudlichs Avancen nicht nach. Wenn die Enkelinnen sie wegen ihres Verehrers aufzogen, konnte sie sehr energisch werden.
Dass Angela inzwischen selbst einen Verehrer hatte, wollte sie absolut nicht gutheißen. Nicht, dass sie grundsätzlich etwas dagegen gehabt hätte, aber bei dem Verehrer handelte es sich um den Major von Roth, der seit kurzem das Forsthaus gepachtet hatte. Er war vor einiger Zeit ganz abgerissen aus dem Krieg zurückgekommen, in Begleitung seines Stallburschen und zweier Pferde. Gut, er war Ostpreuße, was ja für ihn sprach, aber sonst wusste man doch nichts über ihn. Jedenfalls machte er nicht gerade den Eindruck, dass er eine Familie ernähren könnte.

Die Ponyzucht lief auch nicht mehr so gut wie früher. Die Bauern hatten in der Nachkriegszeit eben andere Sorgen als Ponys zu kaufen.
Jetzt, im Wirtschaftswunder, konnte Oma zwar wieder mehr Ponys verkaufen, aber es wurde ihr immer schwerer, das große Gutshaus zu unterhalten.
Wie gut, dass ihre Nichte Edelgard geschrieben hatte. Sie wollte gerne ihren Sohn Ethelbert für ein paar Monate auf den Immenhof schicken, zum Aufpäppeln, wie sie schrieb.
Die Gravenhorts waren sehr reich und Edelgard hatte darauf bestanden, für den Aufenthalt ihres Sohnes eine größere Summe zu zahlen.
Unter normalen Umständen hätte Henriette es brüsk zurückgewiesen von Verwandten Geld anzunehmen, aber jetzt war sie froh um jede zusätzliche Mark.
Bald würden die Kinder aus der Schule zurückkommen, heute war der letzte Schultag vor den Ferien. Was die Mädels wohl dazu sagen würden, dass ihr Cousin zu Besuch kam? Würde das überhaupt gut gehen, ein verwöhnter zarter Junge in einem Haushalt mit lauter Frauen?
Na ja, Henriette hatte schon so vieles geschafft, da würde sie auch mit Ethelbert fertig werden. Das wäre doch gelacht!
Schließlich war sie Henriette Jantzen, geborene Guderius, vom Gut Sophienruh in Ostpreußen.
Zuletzt geändert von Die patente Oma am So 04.Mär.2018 6:51, insgesamt 1-mal geändert.
Charly1955
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Re: Oma Jantzen 1909 bis 1956-Versuch einer Biographie

Beitrag von Charly1955 »

Hallo patente Oma,

diese Biographie ist super yippie !!!!!!!!!!!!!!!!
Ich bin total begeistert.

LG
Charly
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Die patente Oma
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Re: Oma Jantzen 1909 bis 1956-Versuch einer Biographie

Beitrag von Die patente Oma »

Dankeschön! Das Kompliment freut mich richtig!
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