"Neues Glück auf Immenhof"

Hier bitte NUR die 'Geschichten' - JEDER darf schreiben...
Benutzeravatar
Andrea1984
Immenhof-Kaiser
Immenhof-Kaiser
Beiträge: 5839
Registriert: So 14.Aug.2005 16:06
Wohnort: Salzburg, Österreich
Hat sich bedankt: 21 Mal
Danksagung erhalten: 3 Mal
Kontaktdaten:

Kapitel 166

Beitrag von Andrea1984 »

Im Frühjahr 1983 nahm Dalli ein altes Hobby wieder auf, welches sie 20 Jahre lang vernachlässigt hatte. Und joggte nun jede freie Minute. Mal den Kellersee entlang, mal in den Wäldern des Dodauer Forst. Oft trug Dalli dabei ihre ältesten, verwaschensten Leggins und ein ausgebeuteltes T-Shirt, welches einmal grün gewesen war, inzwischen jedoch eine grün-braune Farbe angenommen hatte.

So auch an jenem Tag im Sommer. Die Kinder plantschten im Kellersee, unter der Aufsicht von Alexander, der sich dazu bereit erklärt hatte. Auch Stine war mitgekommen. Ole hatte es abgelehnt. Er war keine Wasserratte. Und machte stattdessen ein ausgiebiges Mittagsschläfchen im Schatten eines Baumes. Die Pferde waren bereits versorgt worden. Somit hatte Dalli genug Zeit eine Runde joggen zu gehen. Es war ein heißer Tag. Dalli streifte sich hastig alte Baumwollshorts und ein T-Shirt über.

„Heute will ich an nichts Schlimmes denken. Und auch meine Sorgen in Bezug auf Alexander vergessen.“, nahm sich Dalli vor und lief los. Richtung Dodauer Forst. Die Bäume spendeten Schatten. Am Anfang schaffte es Dalli sogar, ihren Vorsatz einzuhalten. Plötzlich tauchte eine Erinnerung in ihrem Kopf auf, welche sich nicht so einfach verdrängen oder vergessen ließ.

Nämlich die Erinnerung an jenes Ereignis, welches damals im Frühsommer 1962 geschehen war. Dalli hatte versucht, so gut wie möglich darüber hinwegzukommen. Mit viel Arbeit war ihr das ja auch teilweise gelungen. Doch nun hatte sich die Erinnerung wie ein Stachel im Fleisch festgesetzt. „Was wäre gewesen wenn ....“, ging es Dalli durch den Kopf, während ihre Füße in einem gleichmäßigen Tempo liefen und ihr Herz klopfte. „Doch es ist zu spät. Hätte ich mich damals anderes verhalten. Tja.“

„Dann geht doch endlich. Ja, geht und lasst mich alleine hier.“, schrie Dalli wütend auf und stampfte mit dem Fuß. Ralf und Dick wechselten einen Blick. Offenbar hielten sie Dalli für kindisch und unreif.
Jochen versuchte zunächst noch zu vermitteln: „Ihr müsst Dalli schon auch ein wenig verstehen. Wenn ich nun auch noch weggehe, ist sie ganz alleine hier. Habt ihr euch das wirklich gut überlegt?“

„Was gibt es da zu überlegen?“, erwiderte Dick schmallippig. „ Und wie oft muss ich es Dalli und auch dir noch erklären. Also: Ralf hat eine feste Stelle in der Firma von Dr. Westkamp in Lübeck bekommen. Und ich werde mit in die Stadt gehen. In der Firma ist auch eine Arbeit für mich frei. Zwar nur halbtags, aber besser als nichts. Hier auf dem Immenhof gibt es keine Entwicklungsmöglichkeiten.“

Dalli fing zu weinen an. Zum ersten Mal zeigte sich Dick von den Tränen ihrer kleinen Schwester unberührt. Jede der beiden war überzeugt im Recht zu sein und dass die andere egoistisch war. Nun in gewisser Weise traf das ja auch zu. Dalli hatte früher immer an Dicks Rockzipfel gehangen und sich wie ein Rettungsanker an sie geklammert. Nach dem Tod von Margot, aber auch dem von Oma Jantzen brauchte Dalli eine Stütze. Das war ja noch einzusehen. Aber inzwischen hatte sich manches geändert. Dick und Dalli waren erwachsen. Sie trugen Verantwortung für sich und auch andere.

Dick galt in den Augen der Dorfbewohner nun nicht mehr als das „kleine Ponymädchen“, wie sie von Jochen auf einem Tanzfest genannt worden war, sondern als eine reife Ehefrau. Sie wusste, welche Last auf ihren Schultern lag, konnte einen Haushalt führen und sich in der Buchhaltung betätigen. Dick bereute es nie, so jung geheiratet zu haben. Sie fühlte sich durchaus reif für diesen, wichtigen Schritt.

Dalli hingegen war noch ein „halbes Kind“. Zumindest redete man im Dorf über sie so. Nun ja es stimmte. Dalli hatte bislang noch nie wirklich Verantwortung für etwas oder jemanden tragen müssen. Für die Ponys, das ja, aber nur so lange sie gesund und kräftig waren. Um die Pflege eines kranken Tieres, oder gar den letzten, schmerzvollen Weg zum Tierarzt hatte sich Dalli nicht gekümmert.

Das war Dicks Aufgabe gewesen. Sie konnte jetzt im Nachhinein wirklich nicht mehr genau sagen, wieviele Nächte sie im Stall verbracht hatte, sei es um neuen Fohlen in die Welt zu helfen oder alte Tiere von ihrem Leiden zu erlösen. Ja auch diese brauchten den Beistand „ihres“ Menschen. Dick hatte sich niemals anmerken lassen wie sehr ihr Herz manchmal beim Verlust der Tiere geblutet hatte.

„Das Leben geht weiter.“, pflegte sie zu sagen, scheinbar unberührt, als ob nichts gewesen wäre. Einerseits hing Dick an dem Immenhof, andererseits war ihr – im Gegensatz zu Dalli – sehr wohl bewusst, dass die „gute“, „alte“ Zeit nie wieder kommen würde. Das Geld reichte hinten und vorne nicht. Jochen hatte Schneewittchen eigenhändig zu Ethelbert nach Bayern gebracht. Und Mirabell, als letzten Ausweg, nach einer schweren Hufrollenentzündung auf ihrem letzten Weg begleitet. Auch wenn ihm dieser noch so schwer gefallen war. Nun hinderte Jochen nichts an der Auswanderung.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Di 01.Jul.2014 20:23, insgesamt 3-mal geändert.
"Walzer .... Walzer hätt' ich auch gekonnt."
Benutzeravatar
Andrea1984
Immenhof-Kaiser
Immenhof-Kaiser
Beiträge: 5839
Registriert: So 14.Aug.2005 16:06
Wohnort: Salzburg, Österreich
Hat sich bedankt: 21 Mal
Danksagung erhalten: 3 Mal
Kontaktdaten:

Kapitel 167

Beitrag von Andrea1984 »

„Was soll jetzt aus dem Immenhof werden?“, ergriff Jochen wieder das Wort. „Rein rechtlich gehört er ja jetzt dir, Dick. Oder irre ich mich? Angela hat damals alle Besitzrechte an dich übertragen. Das steht auch in ihrem Testament. Ich hab‘ keinen Anspruch hier wohnen zu dürfen. Und gehe dann weg.“

Das Gespräch fand auf der Veranda des Immenhofs statt. Eben noch hatten Dick, Ralf, Dalli und Jochen friedlich miteinander gefrühstückt. Und alles schien in Ordnung zu sein. Bis Dick ihre Pläne offen auf den Tisch gelegt und zunächst allgemeines Schweigen damit ausgelöst hatte. Aber nach einem kurzen Schock war von Dalli schon eine entsprechende, kindliche Reaktion gekommen.

Dick zuckte mit den Schultern: „Ich hänge nicht besonders an diesem Gebäude. Von mir aus kann Dalli den Immenhof haben. Sie ist ja inzwischen volljährig, auch wenn sie sich manchmal nicht dementsprechend verhält. Was meinst du dazu, Ralf? Du hast bislang nichts verlautbart.“
„Ich sitze zwischen den Stühlen. Einerseits verstehe ja, dass Dalli ungern alleine hier bleiben will. Andererseits ist die Stelle in Lübeck eine große Chance für uns. Wir müssen diese nützen.“

Dalli wischte sich die Tränen von den Wangen. Nun war auch noch Ralf gegen sie: „Ihr seid gemein. Immer geht es nur darum, was ihr wollt. Denkt denn keiner an mich, dass ich hier alleine sein werde.“
„Du kannst ja auch weggehen.“, schlug Ralf in bester Absicht vor. „Allmählich wird es auch bei dir Zeit, dass du eine Ausbildung beginnst, wie Dick oder gleich arbeiten gehst. Viel Geld besitzt du ja nicht.“

Dalli bekam diesen guten gemeinten Ratschlag in die falsche Kehle. Und antwortete sarkastisch: „Arbeit gibt’s hier auf dem Immenhof genug. Eines Tages werden hier wieder Ponys und Pferde stehen. So wie früher. Vielleicht kann ich ein Ponyhotel eröffnen. Die Gäste werden kommen.“
Ralf und Jochen brachen in schallendes Gelächter aus: „Das glaubst du doch wohl selbst nicht.“

Dick legte ihrer Schwester eine Hand auf den Arm: „Lass gut sein. Jedenfalls was die Pläne eines Ponyhotels betrifft. Das wird es sicher nie wieder geben. In einem Punkt hast du allerdings recht. Arbeit gibt es hier genug. Nur bist du alleine zu schwach. Die Felder müssen abgeerntet werden. Früher sind wir oft hinausgegangen und haben uns darum gekümmert. Als Gruppe sind wir stark gewesen, doch als Einzelne ist diese Arbeit unmöglich. Im Herbst muss das Obst gepflückt werden.“

Dalli zerkrümelte das Brot zwischen ihren Fingern: „Hör‘ auf damit. Die alte Leier kenne ich schon langsam in – und auswendig. Warum traust mir nicht zu, dass ich es auch alleine schaffen kann?“
Jochen schlug nun einen härteren Tonfall an: „Ich sag‘ es dir, wie es ist. Du bist knapp 20 Jahre alt. Und siehst zwar halbwegs hübsch aus, aber mehr hast du nicht zu bieten. Weder das Abitur wie deine Schwester und schon gar nicht eine Ausbildung, welche dir vielleicht ganz nützlich sein könnte.“

Dalli verschlug es die Sprache. So durfte niemand mit ihr reden. Dick unterstützte ihren Schwager. Und auch Ralf stand auf Jochens Seite. Er versuchte es mit Güte: „So nimm‘ doch Vernunft an, Dalli. Es geht nicht mehr. Was hältst du davon, mit uns nach Lübeck zu ziehen und dort eine Arbeit zu finden? In der Großstadt ist es einfacher als am Land. Ja, das kannst du mir schon glauben.“

Eine Weile ging die Diskussion weiter. Unberührt stand das schmutzige Geschirr am Tisch. Dick argumentierte, dass sie unabhängig von Dalli leben und auf eigenen Füßen stehen wollte. Dalli weinte, aber niemand zeigte sich von ihren Tränen beeindruckt. Nun rächte es sich, dass Oma Jantzen ihre Enkelinnen damals mehr verwöhnt, als ihnen eine gewissenhafte Erziehung gegeben hatte. Wobei zugegebenermaßen sich Dick eher vernünftiger und klüger als Dalli verhielt.

Nach dem Frühstück packten Dick und Ralf. Sie wollten noch an diesem Tag nach Lübeck ziehen. Und vorläufig bei Ralfs Eltern wohnen, bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatten. Das war schon von langer Hand geplant gewesen. Aber Dick hatte diese Entscheidung wieder und wieder herausgezögert, weil sie Dallis Reaktion fürchtete. Nun war genau eben diese eingetreten.

„Es ist ja kein Abschied für immer.“, versuchte Ralf die ganze Lage ein wenig zu entschärfen, während er seine Hemden im Koffer verstaute. „Dick und ich werden dich gewiss eines Tages hier besuchen.“
„Aber das ist nicht dasselbe wie hier leben.“, entgegnete Dalli. Womit sie ja nicht unrecht hatte.
In dieser Situation gab Dick ein leichtfertiges Versprechen, welches sie später beinahe bereuen sollte: „Sobald wie möglich übertrage ich dir die Besitzrechte auf den Immenhof. Dann kannst du tun und lassen, was du willst, ohne mich um Rat fragen zu müssen. Ponys kaufen, die Ställe neu anstreichen, ein Ponyhotel eröffnen – es gibt soviele Möglichkeiten. Finde eine davon und nutze sie auch aus.“
"Walzer .... Walzer hätt' ich auch gekonnt."
Benutzeravatar
Andrea1984
Immenhof-Kaiser
Immenhof-Kaiser
Beiträge: 5839
Registriert: So 14.Aug.2005 16:06
Wohnort: Salzburg, Österreich
Hat sich bedankt: 21 Mal
Danksagung erhalten: 3 Mal
Kontaktdaten:

Kapitel 168

Beitrag von Andrea1984 »

„Willst du nicht doch deine Schwester anrufen?“, erkundigte sich Katharina Schüller während sie gemeinsam mit Dick die schmutzige Wäsche in die Waschmaschine einsortierte.
„Dalli muss lernen erwachsen zu werden.“, antwortete Dick. „Und das kann sie nicht, wenn sie mir ständig hinterherläuft oder täglich mit mir telephoniert. Dalli hat bislang noch nie die Verantwortung für etwas getragen. Langsam ist es Zeit, dass sie das lernt. Viele Menschen können es, nur sie nicht.“

„Gib‘ ihr Zeit.“, setzte sich Katharina für Dalli ein, obwohl sie diese nie persönlich kennengelernt hatte.
Dick zuckte mit den Schultern. Und kramte in der Schublade nach dem Waschpulver: „Wir haben schon so oft darüber geredet. Lass es gut sein. Ich lebe meine Leben und Dalli lebt ihres. Punkt.“
Dick gab das Waschpulver in die Waschmaschine. Nach dem Drücken des Startknopfes rumpelte diese schon los. Seit zwei Wochen lebten Dick und Ralf nun schon in Lübeck. Während Ralf und sein Vater Anselm arbeiten gingen, teilten sich Dick und Katharina die anfallenden Arbeiten im Haushalt.

Die 8-Zimmer-Wohnung der Familie Schüller war groß genug für vier Personen. Anselm und Katharina schliefen im Schlafzimmer. Ralf und Dick hatten sich das kleine Wohnzimmer als Nachquartier ausgesucht. Jeden Tag musste das Bett abgezogen und hochgeklappt werden. Im kleinen Wohnzimmer wurde gegessen. Manchmal sah Anselm abends dort noch fern, während Katharina neben ihm strickend oder strümpfestopfend saß. Gelegentlich kam eine von Ralfs Schwestern zum Essen vorbei. Am meisten suchte Gerda, die jüngste erst 21 Jahre alt und schon Witwe, die Nähe ihrer Eltern. Gerda war eineinhalb Köpfe kleiner als Ralf. Sie hatte schwarze Haare und blaue Augen.

„Ich kann nicht mehr.“, jammerte Gerda. So auch heute beim Mittagessen. Sie konnte oder wollte es nie verwinden, dass ihr Mann Robert im vergangenen Dezember viel zu früh einem Typhusleiden erlegen war. Nun wusste Gerda weder aus noch ein. Sie hatte alles verloren. Und viele Träume z. B. den von einer großen Familie oder einem hübschen Haus auf dem Land, begraben müssen.

An manchen Tagen hielt es Gerda überhaupt nicht mehr aus. Was sagte ihr Vater da: „Karolina und Dominik sind vor kurzem Eltern geworden. Ihre erste Tochter soll den Namen Stephanie tragen.“
Gerda legte die Serviette weg, sprang auf und verließ heftig weinend das kleine Wohnzimmer.
„Ich hab‘ es doch nicht so gemeint.“, brummelte Anselm. Doch Gerda konnte ihn nicht hören.

Dick verließ ebenfalls die Tischrunde. Und suchte ihre Schwägerin, die sich ins Arbeitszimmer zurückgezogen hatte: „Hier ist ein Taschentuch. Wein dich nur aus. Das tut dir gut, glaub‘ mir.“
Gerda putzte sich die Nase: „Vater weiß doch genau, dass es mich verletzt, wenn er davon spricht, wie glücklich Karolina und Hilda sind. Ich hätte auch gerne Kinder gehabt. Doch es soll nicht sein.“

Dick schwieg. Was sollte sie auch in dieser Situation sagen. Natürlich wusste Dick inzwischen, dass Karolina und Hilda die Schwestern von Ralf und Gerda waren. Dazu kam noch ein Bruder Werner, der als Ingenieur arbeitete und sich derzeit im Ausland aufhielt. Er meldete sich nur alle paar Wochen bei seiner Familie. Anrufe waren teuer, also blieb nur ein Weg: Postkarten oder Briefe schreiben.

„Robert ist 11 Jahre älter als ich gewesen.“, schniefte Gerda und zerknüllte das weiße Taschentuch in ihrem Schoß. „Doch das hat mich nie gestört. Auch wenn die anderen sich darüber die Mäuler zerrissen haben. Robert ist meine große Liebe gewesen. Er hat mir soviel Interessantes gezeigt.“
„Was denn?“, wollte Dick wissen. Und kramte in ihrer Tasche nach einem weiteren Taschentuch.

„Wir haben oft Ausflüge unternommen. Und sind ins Kino oder ins Theater, aber auch in der freien Natur spazieren gegangen. Den Frühling hat Robert besonders gerne gemocht. Wenn die Blumen blühen, die Enten im Teich schwimmen und die Sonne scheint. Das alles wollten wir noch viele Jahre erleben. Robert hat gegen den Typhus gekämpft. Bis zum Schluss. Ich hab‘ seine Hand gehalten.“

Dick und Gerda saßen nebeneinander auf einer kleinen braunen Couch. Gegenüber stand Anselms Schreibtisch, auf welchem sich wichtige Unterlagen stapelten. Der Papierkorb darunter quoll fast über. Aber weder Dick noch Gerda kümmerten sich darum. Sie nahmen auch nicht wahr, dass Katharina das Geschirr von dem kleinen Wohnzimmer in die Küche trug. Und Anselm in der Zeitung las.

Ralf hatte eine kürzere Mittagspause. Er streckte den Kopf zur Türe herein: „Ich muss leider schon gehen. Wir sehen uns gegen 17 Uhr wieder. Mach’s gut, Dick. Lass‘ dich nicht hängen, Gerda.“
„Bis dann.“, erwiderte Dick. Gerda schluchzte immer noch. Und achtete nicht auf Ralf. Schon hatte dieser die Wohnung verlassen. Dicks Gedanken glitten von Gerdas Sorgen weg, hin zu Dalli.
"Walzer .... Walzer hätt' ich auch gekonnt."
Benutzeravatar
Andrea1984
Immenhof-Kaiser
Immenhof-Kaiser
Beiträge: 5839
Registriert: So 14.Aug.2005 16:06
Wohnort: Salzburg, Österreich
Hat sich bedankt: 21 Mal
Danksagung erhalten: 3 Mal
Kontaktdaten:

Kapitel 169

Beitrag von Andrea1984 »

Auf dem Immenhof ging alles drunter und drüber. Ja selbst Jochen hatte inzwischen seine Koffer gepackt. Er versuchte einiges um Dalli zu helfen. Aber sie hatte auch ihm wütend an den Kopf geworfen: „Geh‘, ich brauche dich nicht. Mach‘ doch, was du willst. Mich interessiert das nicht mehr.“
Jochen lebte jetzt in Süddeutschland. Im Gegensatz zu Dick meldete er sich gelegentlich bei Dalli.

Sie fertigte ihn am Telephon nur kurz ab. Und vernachlässigte alles. Die Ställe, den Haushalt und auch sich selbst. Wozu sollte sie Ordnung machen? Es kümmerte sich ja doch keiner darum. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld. Schmutziges Geschirr stapelte sich in der Spüle und unter dem Herd. Im Wohnzimmer lagen Tageszeitungen verstreut auf dem Fußboden. Dalli blätterte nicht darin.

Sie schrieb zwar die eine oder die andere Bewerbung, erhielt jedoch nur Absagen. „Zu jung“, „hat keine Praxis“, „hat kein Abitur“, so hieß es darin. Dalli weinte sich jeden Abend in den Schlaf. Und wachte am Morgen wieder und wieder einsam auf. Sie begriff nun, was es hieß alleine zu sein, niemanden zu haben. Früher war Oma Jantzen da gewesen. Und Angela. Und Jochen. Und Dick.

Weder Angela noch Dick hatten Dalli beigebracht Verantwortung für sich selbst oder für andere zu tragen. Im Gegensatz zu ihren Schwestern die genau wussten was sie wollten, hatte Dalli sich um nichts gekümmert und sorglos in den Tag hineingelebt. Das wurde ihr nun zum Verhängnis. Vom Kochen, Wäschewaschen und anderen Tätigkeiten im Haushalt verstand Dalli daher nur wenig. Sie kam damit mehr schlecht als recht über die Runden. Das Geld reichte gerade noch, aber wie lange.

Im Sommer 1962 stand wie schon 1956 der Gerichtsvollzieher vor der Türe. Er legte nüchtern die Fakten auf den Tisch. Und meinte: „Wenn Sie bis in vier Woche nicht die nötige Summe beisammen haben, wird der Immenhof zur Versteigerung ausgeschrieben. Andernfalls sehe ich schwarz für Sie.“
Auch als der Gerichtsvollzieher wieder gegangen war, saß Dalli immer noch am Küchentisch.

„Ich kann Ethelbert nicht darum bitten, dass er mir aus der Patsche hilft. Ob Onkel Pankraz noch lebt? Es ist alles umsonst.“, murmelte Dalli halblaut vor sich hin. Und stützte den Kopf auf die Hände. Ethelbert hatte bestimmt seine eigenen Sorgen. Er würde sich wohl kaum um den Immenhof kümmern, falls er sich noch daran erinnerte, dass er einst einige Sommer hier verbracht hatte.

In der Nacht tobte ein schweres Gewitter. Dalli war zwar früh zu Bett gegangen, doch sie konnte lange nicht einschlafen. In der einen Minute krachte ein Donner, so laut, dass Dalli, die sonst eigentlich keine Angst hatte oder vielmehr vorgab furchtlos und mutig zu sein, davon erschrak – in der nächsten Minute zuckte ein Blitz, so dass der ganze Immenhof geradezu hell erleuchtet wurde.

Plötzlich lag ein merkwürdiger Geruch in der Luft. Hastig sprang Dalli aus dem Bett und kleidete sich an. Im nächsten Augenblick eilte sie zum Fenster: „Oh mein Gott! Die Scheune steht in Flammen! Was soll ich nur tun? Das Feuer löschen. In der Küche müsste sich noch ein Eimer befinden.“
Dalli eilte so rasch wie möglich nach unten, kramte nach einem Eimer und füllte diesen mit Wasser.

Die Flammen breiteten sich rasch aus, so dass Dalli mit den Löschversuchen nicht mehr hinterherkam. Abermals schlug ein Blitz auf dem Immenhof ein. Diesmal erwischte er das Hauptgebäude. Bald schon breiteten sich die Flammen vom Dachboden nach unten aus. Dalli eilte ins Schlafzimmer und holte das Sparbuch, welches ihr damals Oma Jantzen hinterlassen hatte, heraus. Hastig steckte sie es in die Jackentasche. Dann versuchte Dalli wieder das Feuer zu löschen.

Aber es nützte alles nichts. Hilflos musste Dalli zusehen, wie die Scheune, in welcher einst der Ponyzirkus abgehalten worden war, in Flammen aufging. Funken spritzten. Das Gebälk im Stall krachte. Und fiel wenige Augenblicke später wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Zur gleichen Zeit strömte eine dichte Rauchwolke aus dem oberen Stockwerk, wo einmal der Dachboden gewesen war.

Dalli warf den Eimer beiseite. Und lief weg, so rasch sie ihre Füße tragen konnten. Die Feuerwehr zu rufen war nicht möglich, da ein weiterer Blitz die Telephonleitung getroffen hatte. Andere Gebäude in Malente waren zwar auch vom Blitz getroffen, aber gerettet, worden. Dalli schwor sich, als sie durch den strömenden Regen quer über den Hof Richtung Torhaus lief: „Hier her komm ich nie wieder.“


ENDE von „Neues Glück auf Immenhof“

Die Fortsetzung heißt: „Allerhand auf Immenhof“.
"Walzer .... Walzer hätt' ich auch gekonnt."
Antworten

Zurück zu „FAN-Fiction für alle“