"Neues Glück auf Immenhof"

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Andrea1984
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Kapitel 136

Beitrag von Andrea1984 »

Sigrid und Alexander lebten in den Sommermonaten im Forsthaus und den Wintermonaten in der Wohnung. Inzwischen hatte Alexander zwei magere, junge Pferde zu einem günstigen Preis erworben. Er wollte sie herausfüttern, trainieren und anschließend verkaufen. So kam wenigstens etwas Geld herein. Ein Baby kostete schließlich Geld, das wusste Alexander nur allzu genau.

Sigrid arbeitete zwar auch weiterhin im Reisebüro ihres Vaters, allerdings nur noch bis Ende des Jahres. Dann fing nämlich der Mutterschutz an. Sigrid war sehr darauf bedacht, diesen auch einzuhalten. Gar nicht auszudenken, wenn dem Baby etwas geschehen würde. Sigrid konnte durchaus noch weitere Kinder bekommen, aber die Zeit drängte nun doch irgendwie ein wenig.

Bereits im Oktober fiel der erste Schnee. Alexander hatte einen Käufer für die Pferde gefunden, der ihm die Tiere zu einem fairen Preis abkaufte. Der Erlös wurde auf die Sparkasse gebracht. Alexander wirtschaftete gut und legte das Geld lieber sicher an, bevor er es für unnütze Dinge ausgab. Sigrid hatte in dieser Beziehung schon ein paar Mal auf Granit gebissen. Und musste nun nachgeben.

So sehr sie es sonst verstand Alexander um den Finger zu wickeln, in Geldangelegenheiten ließ er nicht mit sich reden: „Das Baby und du werdet keinen Hunger zu leiden brauchen. Ich sorge für euch.“
Sigrid nahm die Nachricht scheinbar gleichgültig auf. Und wechselte das Thema: „Ich fahre nach Lübeck, um einzukaufen. Meine Jeans werden mir allmählich zu eng. Willst du auch mitkommen?“

Alexander schüttelte den Kopf: „Ich räum‘ den Schreibtisch auf. Da sieht es aus wie Kraut und Rüben durcheinander. Vielleicht braucht mich dein Vater heute im Reisebüro. Bald sind doch Herbstferien.“
Sigrid stand vor dem Spiegel und versuchte vergeblich den Knopf ihrer Jeans zu schließen: „Wo ist nur meine Taille geblieben? Egal ob ich mich von vorne oder von der Seite betrachte, sie ist weg.“

Alexander bekam davon nichts mit, weil er sich bereits im Arbeitszimmer aufhielt. Dort gab es immer etwas zu tun. Besonders heute an diesem stürmischen Regentag. Im Reisebüro war, wider Erwarten, wenig los. Sigrids Vater hatte vorhin angerufen und meinte, dass er auch alleine zurecht käme. Und Alexander sich keine Sorgen zu machen brauche. Im Reisebüro sei jetzt alles in bester Ordnung.

Sigrid hatte es nach mehreren Versuchen endlich geschafft. Die Jeans ging gerade noch zu. Sigrid verstaute die Geldbörse in der Handtasche, nahm die Autoschlüssel zur Hand, winkte Alexander von draußen zu und setzte sich dann hinter das Steuer ihres weißen Autos. Der Weg nach Lübeck war nicht allzu weit. Sigrid hatte genug Benzin im Tank und sorgte sich daher nicht über diesem Punkt.

Zur gleichen Zeit brach auch Dalli auf, ebenfalls Richtung Lübeck. Sie wollte sich dort mit einem früheren Freund – Henning Holm – auf einen Kaffee treffen, um mit ihm alles Wichtige zu besprechen. Dalli hatte ein Zimmer in einem Hotel reserviert: „Stine verfügt über genug Erfahrung um auf meine kleinen Mädchen aufzupassen. Sie wird das schon schaffen. Und Bobby ist ja auch nicht weit weg.“

Dalli vermied jede Begegnung mit Alexander. Und ging ihm einfach aus dem Weg. Das war in einem Dorf wie Malente gar nicht so einfach, doch es ließ sich immer irgendwie durchführen. Alexander kaufte zumeist am Vormittag beim Krämer ein, Dalli am Nachmittag oder am Abend vor Ladenschluss. Alexander wich Sigrid kaum von der Seite, so auch bei den Spaziergängen im Dodauer Forst.

Dalli zog sich häufig zurück. Und wollte dann niemanden sehen. Weder Henny und Chrissy, noch Stine und schon gar nicht Bobby mit ihrer Familie. Billy war ja inzwischen wieder in München. Dalli fühlte sich in diesem Herbst 1981 so einsam wie selten in ihrem Leben. Früher war wenigstens noch die Zarin da gewesen. Dalli wusste zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht, dass Dick in Lübeck lebte.

Und an diesem Tag ihrer Arbeit nachging. Nicht mehr als Hausfrau und Mutter, sondern in Ralfs Firma, der sich endlich selbständig gemacht hatte. Rafe lernte für das Abitur, Anna genoss das Leben mit ihren Freundinnen auf Partys und Bällen. Margot hingegen zog sich lieber zurück, um ein spannendes Buch zu lesen. Sie hätte Dallis Einsamkeit bestimmt verstanden. Aber die beiden kannten einander kaum. Zwischen dem Besuch von Dick und ihrer Familie damals auf dem Immenhof und jetzt lagen viele Jahre. Die Kinder hatten sich sehr verändert, waren reifer und nachdenklicher geworden.

Von all dem konnte Dalli, die sich gerade in der überfüllten Großstadt einen Parkplatz suchte, nichts wissen: „Eine Stunde hab‘ ich Zeit. Zuerst schau‘ ich bei der Volkshochschule vorbei, ob man mich auch in diesem Semester als Dolmetscherin brauchen kann. Und dann treff‘ ich mich mit Henning.“
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Andrea1984
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Kapitel 137

Beitrag von Andrea1984 »

Beim Abendessen brachte Billy kaum einen Bissen herunter, während Ethelbert und Nathalie munter schwatzten und lachten. Immer wieder musste sie an Alexander und Dalli denken: „Die beiden sind so ein schönes Paar. Warum hat sich Vati nur mit dieser Sigrid eingelassen. Und jetzt bekommt sie auch noch ein Baby. Ich versteh‘ die Welt nicht mehr. Das ist einfach nur verantwortungslos von Vati.“

Billy stand auf und verließ das Wohnzimmer. Ethelbert hielt mit dem Lachen inne und wollte ihr nachgehen, aber Nathalie blickte ihn ernst an: „Bleib‘ du ruhig sitzen, ich mach‘ das schon.“
Ethelbert legte das Besteck beiseite: „Was ist mit Billy los? Seit sie einige Wochen auf dem Immenhof verbracht hat, verhält sie sich anders als sonst. Weißt du etwas, das ich nicht mitbekommen hab‘?“

Nathalie zögerte. Einerseits hatte sie Billy versprechen müssen, zu schweigen Andererseits war die Lage auf dem Immenhof inzwischen mehr als angespannt. „Vielleicht schaff‘ ich es, Billy zurückzuholen. Was geschehen ist, kann nur sie dir anvertrauen.“, brachte Nathalie über die Lippen. „Es hat etwas mit Dalli und Alexander zu tun. Aber nun genug. Ich hätte dir das nicht sagen dürfen.“

Ethelbert schwieg und blickte auf die Tischplatte. Nach einer Weile murmelte er: „Dalli und Dick sind wie Geschwister für mich gewesen, die ich nie gehabt habe. Wir sind uns früher immer sehr nahe gestanden. Aber dann ist alles anders geworden, der Tod von Oma Jantzen, der Verkauf der Pferde. Und eines Tages haben Dick und Dalli den Immenhof verlassen. Mein Pony Schneewittchen ist tot.“

Nathalie legte Ethelbert eine Hand auf den Arm: „Die Erinnerungen kann dir niemand nehmen. Aber die Realität sieht anders aus. Dick und Dalli sind erwachsen geworden. Sie leben ihr eigenes Leben.“
„Mit Mann und Kindern.“, Ethelbert schluckte. „Ich hätte auch gerne Familie gehabt, doch es soll wohl nicht sein. Dalli und ich wären bestimmt so ein schönes Paar gewesen, das hab‘ ich mir ausgemalt.“

„Lass uns einen Spaziergang machen.“, schlug Nathalie vor, um ihn ein wenig aufzumuntern. „Da kannst du deine Sorgen bestimmt vergessen. Ich hol‘ nur schnell meinen Mantel und meine Mütze.“
Ethelbert nickte. Ihm war alles recht. Endlich hatte er einen Menschen gefunden, mit dem er sich über all das, was ihm auf der Seele lag, aussprechen konnte. Auch hier in Bayern fiel der Schnee langsam.

Billy hörte, wie die Haustüre ins Schloss fiel. Und atmete erleichtert auf. „Jetzt hab‘ ich meine Ruhe.“
Billy wollte alleine sein. Im Augenblick gab es nichts als Probleme. Sowohl auf dem Immenhof, als auch hier. Alles, aber auch wirklich alles ging schief. Das Wetter trug auch nicht gerade dazu bei, Billys Stimmung zu heben: „Bobby ist weit weg, Dalli hat nur ihre Arbeit im Kopf und Vati vergessen.“

Der Schneefall wurde stärker. Billy ging hinüber in die Küche, um sich einen Tee aufzubrühen. Das Wasser brodelte. Leider war der Zucker alle. Und Ethelbert hatte nicht daran gedacht, neuen einzukaufen. Auf dem Tisch lagen immer noch die gebrauchten Teller und das verwendete Besteck. Während das Teewasser kochte, räumte Billy das schmutzige Geschirr in den Geschirrspüler. Sie hatte immer noch keinen Appetit, obwohl der Blick in den Spiegel ein bedrohliches Bild zeigte.

Nach einer halben Stunde kehrten Ethelbert und Nathalie von ihrem Spaziergang zurück. Billy bot ihnen Tee an. Und tat so, als ob nichts gewesen wäre. „Wir brauchen neuen Zucker. Der ist alle.“
„Das kommt davon, weil du ihn immer den Pferden anbietest.“, scherzte Nathalie und kostete den frischen Tee. „Wie soll Ethelbert da mit dem Zucker auskommen. Das ist dann wohl schlecht möglich.“

„Heute hab‘ ich den Pferden noch gar keinen Zucker gegeben.“, protestierte Billy ebenso scherzhaft. Und schenkte noch etwas Tee nach. Ethelbert nahm am Tisch Platz und starrte aus dem Fenster. Ihm gingen soviele Gedanken durch den Kopf. Nathalie hatte ihm alles anvertraut, unter dem Sigel höchster Verschwiegenheit. Nun saß Ethelbert in der Klemme. Wie sollte er nur seinen Cousinen helfen, ohne sich zu verraten? Würden sie ihm dann nicht auch für die Einmischung böse sein?

Billy wedelte mit einem Geschirrtuch vor seinem Gesicht herum: „Woran denkst du, Ethelbert?“
„Daran, wieviele Pferde morgen bewegt werden müssen und daran, dass die Zeit nicht reicht.“, konterte er schlagfertig. „Wenn ich Nathalie und dich nicht hätte, könnte ich das Gestüt aufgeben.“
Nathalie hustete. Sie hatte sich an ihrem Tee verschluckt: „Danke für das Kompliment, Chef.“

„Wir sind doch alle gleich hier.“, meinte Ethelbert. „So was wie einen Chef gibt’s nicht.“
„Aber du hast das Sagen.“, erinnerte ihn Nathalie, während sie um den Tisch herum ging und sich an die andere Seite setze. „Es ist dein Gestüt. Wie bist du eigentlich an dieses hier gekommen?“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am So 08.Nov.2009 17:50, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 138

Beitrag von Andrea1984 »

Ethelbert nippte an seinem Tee: „Das ist eine lange Geschichte. Und bestimmt nicht allzu aufregend.“
„Ich möchte sie trotzdem hören.“, versuchte Nathalie ihren Kopf durchzusetzen. „Billy du nicht?“
Billy verließ das Esszimmer und ging, ohne sich zu verabschieden hinüber in ihr Quartier. Vor lauter Schneeflocken konnte sie kaum noch die Hand vor den Augen erkennen. Im Quartier war es kalt.

Billy griff zum Telephon, aber die Leitung war besetzt. Wütend warf Billy den Hörer zurück auf die Gabel. Und brach im nächsten Augenblick in Tränen aus. Niemand war bei ihr, der ihr helfen konnte. Kein Mensch und auch kein Tier. Ja selbst der treue Fuchswallach Abraxas war nicht mehr da. Ethelbert hatte ihn vor zwei Wochen an einen unbekannten Kunden in Norddeutschland verkauft.

Nach einer Weile fühlte Billy sich wieder besser. „Ich hab‘ eigentlich keinen Grund mich im Selbstmitleid zu suhlen. Dalli ist diejenige welche Probleme und zwar wichtigere hat. Ich bin jung und stark. Und werde es schon irgendwie schaffen. Dalli hat soviel für Bobby und mich getan. Nun ist es an der Zeit, dass wir ihr helfen. Auch gegen den Widerstand von Vati, der nur Augen für Sigrid hat.“

Billy biss sich auf die Lippen. Und griff dann abermals zum Telephon: „Ich warte jetzt solange, bis jemand abhebt. Sollte es den ganzen Abend dauern, macht mir das nichts aus. Ich hab‘ ja Zeit.“
Diesmal bekam das junge Mädchen endlich jemanden an den Apparat: „Ach du bist es, Stine. Wo ist Dalli? .... Was in Lübeck? .... Sie bleibt tatsächlich über Nacht im Hotel .... Dalli hat echt Nerven.“

Leider musste Billy das Telephongespräch schon nach zehn Minuten beenden. Zum einen hatte Stine keine Zeit mehr und zum anderen klopfte es an der Türe des Quartiers: „Ja, herein. Komm‘ herein.“
Nathalie trat sich den Schnee von den Füßen: „Hier steckst du also. Warum bist du nicht bei Ethelbert und mir geblieben? Er weiß Bescheid. Ich hab‘ ihm alles erzählt, also das was ich von dir weiß.“

Billy setzte sich auf das Bett. Nathalie nahm neben ihr Platz. Draußen schneite es immer noch.
„Früher oder später hätte Ethelbert es ja doch erfahren. Egal ob von dir oder von mir.“, meinte Billy. „Die Lage spitzt sich zu. Nun ist Dalli nach Lübeck gefahren. Das tut sie ja oft. Aber diesmal will sie angeblich sogar in einem Hotel über Nacht bleiben und sich mit einem gewissen Herrn Holm treffen.“

Nathalie wusste aus den Erzählungen von Billy Bescheid, wer Herr Holm war: „Verdammt. Entschuldige, Billy. Ach wenn’s doch wahr ist. Ich hab‘ deine Stiefmutter ja nie für egoistisch gehalten, wirklich nicht, aber das geht zu weit. Wenn sie schon nicht an sich denkt, dann wenigstens an Henny und Chrissy. Offenbar vernachlässigt sie die beiden. Stine ist da, die wird das schon schaffen, gell.“

Billy hatte ihre Kollegin noch nie so wütend erlebt. Fröhlich, nachdenklich – das ja, aber wütend nie.
„Warum berührt dich das so?“, wollte Billy neugierig wissen und beugte sich zu Nathalie hinüber.
Deren sonst so freundlich dreinblickende Augen sprühten vor kaltem Zorn: „Soll doch Dalli froh sein, dass sie noch Familie hat. Ich hab‘ meine Familie durch ein Unglück verloren. Und es gibt keine Chance, das je wieder gutzumachen. Mein Mann und mein Sohn sind alles für mich gewesen.“

Billy schwieg. In dieser Situation gab es keine Worte. Billy wusste so gut wie gar nichts über Nathalies Vergangenheit. Doch an diesem Abend wendete sich das Blatt. Während draußen der Schneesturm tobte, rückten Billy und Nathalie unter der Bettdecke eng zusammen, um sich warm zu halten.
„Was ist geschehen? Was ist aus deiner Familie geworden?“, stellte Billy nun die wichtige Frage.

Nathalie schluckte. Und wischte sich dann eine Träne von der Wange: „Es ist ein stürmischer Winterabend gewesen, ähnlich wie heute. Mein Mann hat meinen Sohn zum Skifahren mitgenommen. Sie hätten um 17 Uhr zu Hause sein sollen, aber dort sind sie nie angekommen. Ein betrunkener Autofahrer .... eine enge Kurve .... für meinen Sohn ist noch an der Unfallstelle jede Hilfe zu spät gekommen. Und mein Mann ist wenige Tage später im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen.“

Billy drückte Nathalie kurz an sich, um ihr auf diese Weise Kraft und Stärke zu geben: „Wenn ich dir doch nur irgendwie helfen könnte. Aber ich weiß wirklich nicht wie. Mir fehlen die Worte, Nathalie.“
„Das ist ja noch nicht alles.“, fuhr Nathalie fort. „An diesem Tag haben mein Mann und ich uns gestritten. Zu einer Versöhnung ist es nie gekommen. Nun muss ich mit den Schuldgefühlen leben.“

Eigentlich stimmte das nicht ganz, was Nathalie erzählte. Sie war nie verheiratet gewesen, dennoch bezeichnete sie den Vater ihres Sohnes immer als „meinen Mann“:„Hätte ich mich doch nur mit ihm wieder vertragen. Doch nun ist es zu spät. Zehn Jahre liegt das traurige Ereignis nun schon zurück.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Di 02.Feb.2016 16:02, insgesamt 2-mal geändert.
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Kapitel 139

Beitrag von Andrea1984 »

„Herr Ober ...“, fing Henning Holm an und strich sich eine dunkelblonde Haarsträhne aus der Stirn. Dalli schüttelte den Kopf: „Ach, lass uns noch ein bisschen hier bleiben. Mit dem Zahlen eilt es nicht.“
Auf dem Tisch standen zwei Teller und zwei Gläser. Ferner befand sich dort eine zerknüllte Serviette. Mit der anderen Serviette tupfte sich Henning den Mund ab: „Gut, wie Sie meinen. Ich hab‘ Zeit.“

Der Ober hatte den Ruf gehört. Er kam näher. Dalli bestellte einen Kaffee. Henning hingegen lehnte ab: „Um diese Uhrzeit darf ich keinen Kaffee mehr trinken, sonst kann ich in der Nacht nicht schlafen.“
„Oh Sie Armer.“, erwiderte Dalli ein wenig scherzhaft, als der Ober außer Hörweite war. „Wo waren wir vorhin stehengeblieben? Ich hab‘ den Faden leider total verloren. Und weiß jetzt weder aus noch ein.“

Henning kramte geschickt die Zigaretten und das Feuerzeug aus der Jackentasche. Erst gab er Dalli eine angezündete Zigarette, dann sich selbst. Auch an den anderen Tischen wurde stark geraucht.
„Bei Ihrem Mann Alexander, der ein Verhältnis mit Sigrid Eversen hat.“, erklärte Henning. „Sie haben in den vergangen drei Stunden von nichts anderem gesprochen. Offenbar geht Ihnen das alles sehr nahe.“

Dalli drückte die Zigarette im Aschenbecher aus: „Alexander und ich leben inzwischen getrennt. Er ist erwachsen. Mich kümmert es nicht, was er tut. Inzwischen ist mir Alexander so gleichgültig geworden.“
Der Ober brachte den Kaffee. Und eilte dann sogleich zum nächsten Tisch um die Bestellungen aufzunehmen. Immer noch regnete es in Strömen. Aber weder Dalli noch Henning achteten darauf.

„Ich hab‘ einen Vorschlag. Wie wär’s damit, dass Sie vor Gericht gehen und die Scheidung beantragen?“
Dalli nippte an ihrem Kaffee. Und zuckte mit den Schultern: „Das wäre eine Möglichkeit, ja. Alexander hat sich den letzten Tagen und Wochen weder nach mir, noch nach seinen vier Töchtern erkundigt. Und scheint offenbar jedes Interesse an ihnen verloren zu haben. Und zwar an allen, das ist arg.“

Henning schob die roten Vorhänge beiseite und blickte aus dem Fenster: „Wie schaut diese Sigrid eigentlich aus? Sie haben mir zwar einiges von ihr erzählt, doch das Aussehen leider nicht erwähnt.“
Dalli wurde blass um die Nase: „Warum fragen Sie mich das gerade jetzt in diesem Augenblick?“
„Schauen Sie nicht aus dem Fenster. Die schwarzhaarige Dame da drüben scheint uns zu beobachten.“

Dalli riskierte dennoch einen Blick. Und zog dann die Vorhänge wieder zu: „Ja, das ist Sigrid. Ich hätte sie überall erkannt. Was sie wohl an diesem Tag in Lübeck unternimmt. Alexander ist nicht dabei.“
Henning erhob sich hastig. Dalli widmete sich wieder ihrem Kaffee. Sie hatte nur einen Bruchteil von Sekunden hinausgeschaut und dabei etwas sehr Wesentliches übersehen: Sigrids Schwangerschaft.

Henning hingegen hatte diesen Zustand erkannt. Und hütete sich, in Dallis Gegenwart ein Wort darüber zu verlieren. Andererseits was hatte das schon zu bedeuten. Sigrid war eine junge Frau, warum sollte sie nicht schwanger sein. Auf dem Weg zur Toilette dachte Henning: „Was ist allerdings, wenn sich herausstellt, dass es sich bei dem Vater des Kindes um Alexander handelt. Ja, dann ist guter Rat teuer. Brigitte hat mir erzählt, dass Alexander und diese Sigrid nahezu unzertrennlich sind.“

Dalli blätterte in einer Illustrierten und las sich den neuesten Klatsch durch, ohne jedoch mit dem Herzen bei der Sache zu sein. Langsam wurde der Kaffee kalt. Dalli achtete nicht besonders darauf. Henning kehrte wieder an den Tisch zurück. Und zündete sich eine weitere Zigarette an. Der Ober kam, diesmal ohne gerufen worden zu sein; tauschte den vollen Aschenbecher gegen einen leeren.

Dalli trank hastig den Kaffee aus: „Lassen Sie uns zahlen. Und dann zurück ins Hotel gehen. Ich bin müde.“
Henning beglich selbstverständlich die Rechnung. Dalli bedankte sich dafür. Henning half ihr in den Mantel und hielt ihr den Schirm vor: „Zu dumm nur, dass es immer noch regnet. Muss das sein?“
„Morgen wird das Wetter bestimmt besser.“, erwiderte Dalli, doch ihre Stimme klang mutlos.

Als die beiden das Kaffeehaus verließen, war es draußen schon finster geworden. Zwar brannten an den Ecken bereits die Lichter der Straßenlaternen, aber Dalli achtete nicht darauf, ob nun Sigrid irgendwo stand oder nicht. „Henning hat sich bestimmt geirrt. Er kennt Sigrid nicht persönlich. Und es gibt soviele schwarzhaarige Frauen. Allerdings nur zwei aus meiner näheren Umgebung. Die eine ist Sigrid – ja leider – und die andere Dick, von der ich auch schon länger nichts mehr gehört habe.“

Henning wollte Dalli noch auf einen Drink an der Hotelbar einladen, bekam jedoch eine Absage: „Ich bin müde. Und möchte gerne ins Bett gehen. Morgen ist ja auch noch ein Tag. Gute Nacht, Henning.“
„Gute Nacht, Brigitte. Wir sehen uns dann beim Frühstück in der Hotelbar. Ich freu‘ mich schon sehr.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mo 12.Dez.2011 16:25, insgesamt 5-mal geändert.
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Kapitel 140

Beitrag von Andrea1984 »

Dalli konnte nicht schlafen. Sie saß mit angewinkelten Beinen auf der Bettkante. Und dachte nach. Alexander war untreu, das ja. Aber hatte sie das Recht dazu es ihm mit gleicher Münze heimzuzahlen? Wohl eher kaum. Außerdem waren da noch Henny und Chrissy, die oft nach ihrem Vati fragten und ihn bestimmt sehr vermissten. In dieser Nacht fasste Dalli einen Entschluss.

„Sobald ich wieder in Malente bin, rufe ich Alexander an und bitte ihn um ein Treffen. Persönlich redet es sich leichter. Es kann nicht mehr so weitergehen. Alexander wird auf dem Immenhof gebraucht. Nicht nur als Landwirt, sondern auch als Vater. Ich geb‘ ihm auch alle Rechte wieder zurück – selbst wenn die Liegenschaftsverwaltung mich für wankelmütig erklärt.“, nahm sich Dalli ganz fest vor.

Aber dazu sollte es nicht kommen. Das Hotel befand sich in der Nähe der Kirche. Immer wieder drangen Glockenschläge herüber. Dalli stand auf, durchquerte das Zimmer und nahm in einem Stuhl beim Fenster Platz. Nur schwach waren die Umrisse der Nebengebäude zu erkennen. Im angrenzenden Zimmer schnarchte jemand so laut, dass es Dalli hören konnte. Wer war das nur?

Gegen Mitternacht ließ der Regen allmählich nach. Dafür zog Nebel auf. Und Dalli wickelte sich nur noch fester in die weiße, große Bettdecke: „Was soll ich nur tun? Henning schläft bestimmt schon, sonst hätte ich noch schnell bei ihm vorbeigeschaut und mit ihm ein wenig geplaudert.“
In dem Hotel gab es Telephone auf den Zimmern. Dalli wusste die Nummer von Henning, weil dieser sie ihr gegeben hatte. Schon nach dem ersten Klingeln meldete er sich: „Treffen wir uns in der Bar.“

Eine Viertelstunde später traf Dalli in der Bar ein und blickte sich ratlos um. Hinter der Theke stand ein junger Mann und trocknete eifrig Gläser ab: „Die Bar hat noch bis 2 Uhr geöffnet. Machen Sie sich keine Sorgen. Es sind auch noch genug Getränke da. Sie werden also nicht so rasch verdursten.“
Dalli nahm auf einem der Barhocker Platz: „Ich warten noch auf jemanden, der müsste gleich da sein.“

Schon erschien Henning in der Türe und lächelte Dalli ehrlich vertrauenerweckend zu: „Ich freue mich, dass Sie es sich noch einmal anders überlegt haben. Darf ich Sie auf einen Drink einladen?“
„Aber Sie haben doch schon soviel für mich getan. Erst das Abendessen und nun das.“, eine leichte Röte stieg in Dallis Wangen. Und sie fragte sich insgeheim, ob Alexander das für sie bezahlt hätte.

Henning fackelte nicht lange. Er griff nach der Getränkekarte: „Nun was möchten Sie trinken?“
Dalli zuckte mit den Schultern: „Bestellen Sie einfach irgendetwas. Mir ist es gleichgültig.“
Der junge Mann hatte die Gläser fertig gespült und lehnte nun untätig an der Wand. Direkt unter einer alten Uhr, welche allerdings schon vor geraumer Zeit stehen geblieben und nicht zu reparieren war.

„So kenne ich Sie ja gar nicht.“, meinte Henning, der sich durchaus nichts dabei dachte auch nach Mitternacht noch eine Zigarette zu rauchen. „Wo ist die Brigitte Voss oh pardon Brigitte Arkens muss ich ja jetzt wohl sagen, von damals geblieben, die ohne zu Zögern immer wieder neue Aufgaben angenommen hat? Und vor allem, die nicht schnell aufgibt, nur weil es derzeit schwierig für sie läuft.“

Dalli stützte den Kopf auf die Hände: „Alexander ist mir untreu. Das hätte ich nie von ihm erwartet.“
Henning schwieg. Nun ja, er ließ eigentlich auch nichts anbrennen, wenn sich ihm die Gelegenheit dazu bot. Doch es gab einen Unterschied: Henning war unverheiratet, Alexander hingegen gebunden.
„Nach all dem, was Sie mir berichtet haben, scheint Sigrid dahinter zu stecken. Alexander hat sich von ihr blenden lassen. Und erkennt offenbar nicht, was ihm entgeht.“, meinte Henning zu der Sache.

„Wie meinen Sie das?“, verwirrt runzelte Dalli die Stirn und blickte ins Leere. Inzwischen war der junge Mann hinter der Theke eingeschlafen. Vermutlich stand er schon seit acht oder mehr Stunden hier.
Henning legte die Zigarette beiseite und dämpfte sie hastig aus: „Sie sind doch eine attraktive Frau, Brigitte. Warum lassen Sie sich jetzt so fallen? Kämpfen Sie für ihre Kinder und für ihren Mann.“

Dalli seufzte. Als ob dieser eingefleischte Junggeselle eine Ahnung davon hatte, was sie im Augenblick durchmachen musste. Immerhin gab er sich Mühe und zeigte Verständnis.
Dabei hatte Henning immer noch nicht erwähnt, dass Sigrid schwanger war. Und er hütete sich, darüber ein Wort verlieren. Wenn das bekannt wäre, würde wohl die Ehe zwischen Dalli und Alexander endgültig auseinanderbrechen. Henning machte sich keine Illusionen.

Er wusste genau, dass Dalli in jedem Fall unerreichbar für ihn war. Entweder blieb sie bei Alexander und gab ihm noch eine Chance. Oder sie ließ sich von ihm scheiden. Und würde dann mit Henny und Chrissy auf Immenhof – oder auch anderswo - bleiben. Die Situation war für Dalli nicht einfach.
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Kapitel 141

Beitrag von Andrea1984 »

In einer Hinsicht irrte sich Henning allerdings gründlich: Sigrid hatte weder Dalli noch ihn erkannt, sondern lediglich zufällig in die Richtung des Kaffeehauses geblickt. Und selbst dort gerne einen Tee getrunken. Aber das Kaffeehaus war hoffnungslos überfüllt gewesen. So musste Sigrid weitergehen. Allmählich taten ihr die Füße weh. Ob das mit dem ungewohnten Spaziergang zusammenhing.

„Nun wohl eher kaum.“, dachte Sigrid. „Es liegt wohl an der Schwangerschaft. Gottseidank ist das Hotel gleich um die nächste Ecke. Und ich hab‘ nur eine passende neue Hose gefunden, die ja nicht allzu schwer zum Tragen in der Einkaufstüte ist. Für heute bin ich zu müde, um noch was zu tun.“
Sigrid ahnte innerlich bereit jetzt schon, dass die Schwangerschaft kein Honiglecken werden sollte.

„Am besten ist es wohl, wenn ich mich ins Hotel zurückziehe. Ich kann Alexander von dort aus anrufen, damit er sich keine Sorgen macht. Ja, genau, das werde ich jetzt auf der Stelle auch tun.“
Danach ließ sich Sigrid erschöpft auf das Bett fallen. Und öffnete ihre alte Jeans. Inzwischen war die Schwangerschaft schon deutlich erkennbar. Sigrid legte die Hand auf den Bauch und bildete sich ein, bereits jetzt schon die ersten Bewegungen des Kindes fühlen zu können. Aber das war leider nicht so.

Zur gleichen Zeit da Sigrid bereits im Bett lag, aber noch wach, kamen Dalli und Henning von der Bar herauf. Sie lachten und kicherten ein wenig, allerdings leise, so dass niemand sie hören konnte.
„Was. Das gibt es doch nicht. Dalli ist tatsächlich im gleichen Hotel wie ich.“, dämmerte es Sigrid. „Wir werden uns bestimmt beim Frühstück über den Weg laufen. Gesetz den Fall ich stehe das durch.“

In dieser Hinsicht brauchte sich Sigrid keine Sorgen zu machen. Der Frühstücksraum im Hotel war groß genug, so dass das eine Ende des Raumes von dem anderen Ende aus gar nicht erkannt werden konnte. Einzig das Buffet lag genau in der Mitte. Henning hatte für Dalli und sich einen Platz am Rande des Frühstücksraumes reserviert: „Bleiben Sie nur sitzen, ich erledige das schon für Sie.“

Sigrid fühlte sich an diesem Morgen so elend, dass sie sich nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals übergeben musste. Und beschloss daher auf das Essen zu verzichten und nur etwas Tee zu trinken.
„Hoffentlich hilft der gegen meine Übelkeit.“, versuchte sich Sigrid Mut zu machen, als sie auf den Lift wartete. Aber dieser befand sich im Augenblick in einem anderen Stockwerk des großen Hotels.

Sigrid trug an diesem Tag bereits ihre neue Umstandshose, sowie eine weite, rosafarbene Bluse, so dass die Schwangerschaft nicht gleich auf den ersten Blick zu erkennen war. Ein leises „Pling“ ertönte. Und die Türe des Liftes öffnete sich. Sigrid gab das Ziel „Erdgeschoss“ ein. Und lehnte sich erschöpft an die Wand: „Bin ich froh, dass es den Lift gibt. Normalerweise ist das Treppensteigen kein Problem.“

Der Frühstücksraum war so gut wie ausgebucht. Henning saß Dalli gegenüber an einem Tisch. Beide sprachen leise. Plötzlich hob Henning den Kopf: „Drehen Sie sich nicht um. Da ist diese Sigrid schon wieder. Vermutlich hat sie in diesem Hotel ebenfalls ein Zimmer gebucht. Sie kommt auf uns zu.“
Dalli legte das Messer weg, mit dem sie gerade ihr Brötchen mit Butter bestrichen hatte: „Guten Morgen, Fräulein Eversen. Wie geht es Ihnen? Es ist mir eine Ehre, Sie hier wiederzusehen.“

Sigrid erschrak, aber sie ließ es sich nach außen hin nicht anmerken. Und antwortete, dass es ihr gut gehe. Henning stand auf: „Ich hole mir noch etwas Wurst vom Buffet. Nehmen Sie doch Platz, Fräulein Eversen. Das lange Herumstehen ist in ihrem Zustand bestimmt nicht gut für Sie.“
Sigrid wurde noch eine Nuance blasser und meinte dann. „Woher wissen Sie das, mein Herr?“

Henning erzählte nun, wie er Sigrid gestern gesehen und sofort die Schwangerschaft erkannt hatte. Dalli schöpfte zunächst noch keinen Verdacht und erkundigte sich „Wann ist es denn soweit?“
„Mitte März des nächsten Jahres.“, gab Sigrid scheinbar gelassen Auskunft, aber ihr Herz klopfte. Nun ja, das war das Natürlichste von der Welt, dass jemand sich früher oder später danach erkundigte.

Dalli wandte sich wieder ihrem Brötchen zu. Henning ging zum Buffet, wie er es angekündigt hatte. Sigrid schenkte sich aus der Kanne, die auf dem Tisch stand, etwas Tee ein. Langsam schimmerten die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster. Henning kam mit der Wurst wieder zurück. Sigrid ekelte sich bei dem Anblick. Sie sprang auf und verließ hastig den Frühstücksraum. Dalli seufzte leise.

„War das wirklich nötig? Sie wissen offenbar nicht, dass einige Frauen etwas empfindlich in der Schwangerschaft sind. Ich hab‘ damals bei meinen Schwangerschaften auch nicht alles vertragen.“
Henning zuckte mit den Schultern: „Woher soll ich das im Vorhinein wissen. Regen Sie sich nicht auf, ja.“
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Kapitel 143

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Dalli wunderte sich über Hennings Tonfall sehr: „Warum soll ich mich aufregen? Fräulein Eversen bekommt ein Kind. Das ist doch nichts besonders. Eines allerdings hätte ich gerne gewusst......“
„.... nämlich wer der Vater ist.“, ergänzte Henning und belegte sein Brötchen mit Wurst. „Nun ja, ich kann es mir denken. Wenn es sich um den handelt, den ich vermute, dann kann es nur einer sein.“

Dalli’s Augen funkelten: „Das glauben Sie doch wohl selber nicht, dass Alexander der Vater ist!“
„Wer soll es denn sonst sein?“, gab Henning zurück. „Fragen wir doch Sigrid, wenn sie wieder da ist.“
Dalli verspeiste hastig ihr Brötchen: „Ja, das ist eine gute Idee. Ich bin schon sehr gespannt darauf, was sie uns sagen wird. Wenn das tatsächlich stimmt, dann ist Alexander nun für mich gestorben.“

Aber Sigrid kehrte nicht in den Frühstücksraum zurück. Sie hielt sich in der Toilette, die sich gleich nebenan befand auf, und konnte das Gespräch zwischen Dalli und Henning deutlich mitanhören.
„Er hat eine gute Beobachtungsgabe, das muss ich ihm lassen.“, dachte sie mit zusammengebissenen Zähnen. „Dalli scheint sich ihrer Sache nicht so sicher zu sein. Ja, Alexander ist der Vater, es stimmt.“

Sigrid wollte nur Alexander und den hatte sie inzwischen ja auch bekommen. Zumindest sah es so aus. Was er wohl jetzt in diesem Augenblick unternahm? Sigrid wusch sich die Hände, verließ die Toilette und ging hinüber zu den Münztelephonen am Eingang. Aber leider ging Alexander nicht an den Apparat. Sigrid wunderte sich darüber ein wenig: „Alexander ist doch sonst ein Frühaufsteher.“

Auf dem Weg zum Eingang kamen Dalli und Henning an ihr vorbei. Henning nickte ihr freundlich zu: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag in Lübeck, Fräulein Eversen. Auf Wiedersehen.“
Aber Dalli zuckte nicht einmal mit einer frischgetuschten Wimper. Sigrid lächelte Henning an: „Danke, das wünsche ich Ihnen auch. Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder. So groß ist Lübeck ja nicht.“

Gleich nach dem Frühstück verließ Dalli das Hotel wieder. Sie verstaute ihren Koffer im Auto. Und entschloss sich noch einen kurzen Spaziergang durch Lübeck zu machen. Henning blieb bei ihr.
„Sehen Sie nur, da ist der Markplatz. Dort haben wir damals unseren Ponyumzug veranstaltet, um Werbung für das Ponyhotel zu machen. Mitten in der Nacht sind wir mit den Ponys aufgebrochen.“, erzählte Dalli. „Die Erwachsenen haben sich damals große Sorgen gemacht. Gott sind wir dumm gewesen.“

Henning fächelte sich mit einem Taschentuch frische Luft zu: „Wer ist da wir? Das verstehe ich nicht.“
Dalli erwähnte nun zögernd, wer damals aller an dem Ponyumzug teilgenommen hatte. Und berichtete dann auch, wie sie Fritzchen – inzwischen ein Fritz – das Gewinnerlos untergeschoben hatte: „Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Er hat uns noch einige Jahre auf dem Immenhof besucht.“

Henning schwieg. Er vermutete, woran Dalli im Augenblick dachte. Fritzchen war ein Waisenkind gewesen. Und auch Dalli hatte ihre Eltern kaum gekannt. Das erklärte das Verständnis für Fritzchen.
Viele Leute tummelten sich auf dem Markplatz. Niemand von ihnen konnte oder wollte sich an den Ponyumzug von damals erinnern, der inzwischen – man glaubt es kaum - schon 24 Jahre zurücklag.

Fritzchen – pardon Fritz – hatte sich damals seit dem Tod von Margot und dem von Oma Jantzen nur wenige Jahre später vom Immenhof zurückgezogen. Dalli wusste nicht, was aus ihm geworden war, ja ob er denn überhaupt noch lebte. Sie vermisste ihn ein wenig, war er doch wie der kleine Bruder – oder auch der kleine Sohn, je nach Altersstufe, - für sie gewesen, den sie niemals gehabt hatte.

Zum Sitzen auf den Bänken war es inzwischen schon zu kalt geworden. Dalli und Henning schlenderten noch eine Weile zwischen den Ständen umher, konnten sich jedoch nicht entschließen etwas zu kaufen. Dalli drehte immer wieder eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern hin und her. Und fröstelte allmählich in ihrem leichten blauen, eher kurzen Rock und dem dazupassenden Jackett.

Henning erkundigte sich besorgt: „Haben Sie einen Mantel im Gepäck? Sie sollen sich umkleiden.“
„Mir ist nicht kalt.“, widersprach Dalli, aber sie klapperte mit den Zähnen. Es war doch kälter. In der Menge war es schwer sich einen Weg zurück zum Ausgang zu bahnen. Henning gab sein bestes. Auch ihm wurde allmählich in seinen leichten, hellen Hosen und dem offenen Hemd ein wenig kühl.

Kurz bevor Dalli und Henning den Ausgang erreicht hatten, schob sich eine Wolke über die Sonne und eine Person aus der Menge näher heran: „Dalli, was machst du denn hier? Und wer ist der Mann? Ich hab‘ dich schon so lange nicht mehr gesehen. Wie geht es deinen Kindern und Alexander?“
Dalli schnappte nach Luft. Und antwortete erst nach einer Weile: „Dick, wie schön dich zu sehen.“
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Kapitel 143

Beitrag von Andrea1984 »

Ein richtiges Gespräch kam nicht in Gang. Dick verabschiedete sich schon nach ein paar Minuten. Anstatt die Einkäufe zu erledigen, wie es sie an jedem Samstagvormittag tat, lief sie scheinbar ziellos über den Marktplatz und grübelte: „Was ist nur mit Dalli los? Warum ist sie mir gegenüber so abwesend? Offenbar hat sie auch Probleme. Früher ist Dalli immer zu mir gekommen und hat sich bei mir ausgeweint. Wenn ich nur wüsste, was sie hier in Lübeck macht. Und wie lange sie hier bleibt.“

Obwohl die beiden Schwestern nun ihre eigenen Wege gingen, fühlte sich Dick immer noch ein wenig für Dalli verantwortlich: „Soll ich sie nun danach fragen, was geschehen ist? Oder geht es mich nichts an. Dalli ist doch sonst weder so verschlossen noch so kurzangebunden. Schon gar nicht mir gegenüber. Andererseits bin ich immer noch auf sie beleidigt wegen dem Erbrechtsstreit damals.“

Ach hätten die beiden doch nur offen miteinander über alles geredet. Dann wäre ihnen viel Kummer erspart geblieben. Soweit war es allerdings zu diesem Zeitpunkt nicht. Dick nahm die Einkaufsliste aus dem Henkelkorb, welchen sie über ihrem rechten Arm trug. Und schritt, eifrig halblaut vor sich hin murmelnd, die Läden ab, um die passenden Waren zu finden. Plötzlich rempelte jemand Dick an.

„Was willst du noch von mir?“, wollte sie wissen und sah Dalli, welche alleine gekommen war, mit einem undurchdringlichen Blick in die Augen. Henning hatte den Markplatz inzwischen verlassen.
Dalli packte Dick heftig am linken Arm: „Na was wohl. Mit dir reden. Warum hast du mir nichts davon gesagt, dass ihr – also Ralf und die Kinder – schon länger in Lübeck lebt. Henning hat es mir erzählt.“

Dick tat so, als ob sie ihre Schwester nicht hörte und beschäftigte sich stattdessen scheinbar mit der im Augenblick so wichtigen Frage, ob sie nun rote oder doch lieber grüne Paprika einkaufen sollte.
Dalli spürte, dass etwas mit Dick nicht stimmte: „Bitte, dann gehe ich eben wieder zu Henning.“
„Wer ist das? Woher kennst du ihn? Und wo lebt Alexander?“, kam es nun hart aus Dicks Mund.

Dalli verschränkte die Arme vor der Brust: „Ich bin doch kein kleines Kind mehr, dass du mich aushorchen kannst. Es kann dir egal sein, mit wem ich woher komme und mit wem ich wohin gehe.“
Dick legte nun endlich den grünen Paprika in den Korb. Und reichte der Marktfrau ein paar Geldscheine. Der Korb war sehr schwer. Aber Dick hatte niemanden, der ihr beim Tragen half.

„Hast du nicht damals deinem Mann ewige Treue geschworen, bis das der Tod euch scheidet?“, bohrte sie nun hartnäckig nach. „Oder ist Alexander inzwischen gestorben, das wäre auch möglich.“
„Ganz im Gegenteil ....“, brauste Dalli nur noch stärker auf. Ein Glück, dass sie ihre Sonnenbrille trug. So konnte Dick die aufsteigenden Tränen nicht erkennen. „.... eine andere Frau bekommt ein Kind von ihm. Dieser Mistkerl hat das mit Absicht gemacht. Er weiß genau, dass ich ihm, seit der schweren Geburt von Chrissy damals, keine Kinder mehr schenken kann oder besser gesagt schenken darf.“

Dick wusste natürlich Bescheid, um wen es sich bei Chrissy handelte. Nicht jedoch, dass sowohl die Schwangerschaft als auch die Geburt damals mit heftigen Komplikationen verbunden gewesen waren.
„Vielleicht gibt es noch eine Lösung.“, murmelte Dick halblaut. Dalli schluckte: „Was meinst du damit?“
„Nun ganz einfach, dass diese fremde Frau das Kind während der Schwangerschaft plötzlich verliert.“

Dicks Stimme hatte einen bitteren Unterton. Jetzt war es Dalli die verwundert darauf reagierte. Und für einen Augenblick ihr Wut und ihre Enttäuschung vergaß: „Oh Dick, das darf doch nicht wahr sein.“
„Doch es ist wahr. Und das schlimmste. Niemand hat mir geholfen. Ralf ist an jenem Tag in der Arbeit gewesen, die Kinder sind zur Schule gegangen. Inzwischen ist das ganze ein dreiviertel Jahr her.“

Dalli nahm ihre Schwester behutsam in die Arme: „Wein dich aus, das tut gut. Mir fehlen die Worte.“
„So eine Fehlgeburt kann jede Frau treffen. Aber ich wünsche es dieser Fremden nicht.“, gab Dick nach einer Weile zu. „Vielleicht freut sie sich schon auf das Kind. Und schont sich dafür. Außerdem wer sagt denn, dass es tatsächlich von Alexander ist? Es kann auch jemand anderer der Vater sein.“

Dalli schüttelte den Kopf: „Ich hab‘ die fremde Frau heute in der Früh im Hotel gesehen. Und dort die Bestätigung bekommen. Alexander ist ganz sicher der Vater. Daran gibt es keinen Zweifel mehr.“
„Warum flüsterst du so? Die Leute hier kennen dich nicht. Und wollen auch nichts von dir wissen.“
Dalli blickte um sich: „Die fremde Frau ist nach wie vor hier in Lübeck. Gut möglich, dass sie sich in diesem Augenblick ebenfalls auf dem Markplatz aufhält. Und das Gespräch detailiert mit anhört.“

Dick zuckte zusammen. Und dachte: „Ich hab‘ in meiner Ehe Glück. Das muss ich schon sagen.“
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Kapitel 144

Beitrag von Andrea1984 »

Dalli kehrte noch an diesem Nachmittag auf den Immenhof zurück. Und tat Stine gegenüber so, als ob nichts gewesen wäre. Henny und Chrissy waren noch zu klein, um alles zu begreifen. In den nächsten Wochen erhielt Dalli immer wieder Briefe und Postkarten – leider war keine von Alexander dabei. So hieß es zum Beispiel in einer Postkarte von Billy – laut Poststempel 10. 11. 1981 - wie folgt:

„Liebe Dalli ! Gib‘ nicht so schnell auf und Vati noch eine Chance. Er hat es doch wahrlich nicht verdient, so behandelt zu werden. An allem ist nur diese Sigrid schuld. Wer sagt außerdem, dass das Kind wirklich von ihm ist. Diese Sigrid behauptet das bestimmt nur, um sich wichtig zu machen. Wir sehen uns bald wieder. Viele herzliche Grüße aus dem inzwischen verschneiten München von Billy.“

In einem langen Brief von Henning stand folgendes Aufschlussreiches zu lesen:

„Liebe Brigitte! Ich kann nur teilweise nachvollziehen wie Ihnen im Augenblick zu Mute ist. Teilweise bedeutet in diesem Fall nichts anders als, Ihnen gegenüber kann ich das ja anvertrauen, umgekehrt. Sprich eine ehemalige Freundin ist mir untreu geworden und hat sich nie wieder bei mir blicken lassen. Trotzdem würde ich vorschlagen, reden Sie mit ihrem Mann darüber. Vielleicht ist er sich dessen gar nicht bewusst, was er getan hat. Und ärgert sich vermutlich insgeheim über sich selbst.“

Dalli legte den Brief beiseite: „Ja klar, dass Henning Alexander auch noch unterstützt. Männer halten immer zusammen. Nun gut, so will ich den Brief weiterlesen. Henning schreibt mir nicht ohne Grund.“

Im Kamin knisterte das Feuer. Stine befand sich in der Küche und bereitete das Abendessen zu. Henny deckte den Tisch. Chrissy half ihr dabei, so gut sie es vermochte. Schnee fiel in dichten Flocken. Dalli hatte am Vormittag zunächst die Hausarbeit erledigt und sich unter anderem um Henny und Chrissy gekümmert. Anschließend mussten die Pferde, mit Oles Hilfe, versorgt werden. Oft war die Zeit für eine Pause nur kurz. Aber Dalli bestand nun darauf ein paar Minuten Ruhe zu haben.

„Alexander würde sich eher die Zunge abbeißen, als sich offen seine Schwäche einzugestehen. So sind wir Männer nun einmal. Wir reden über Fußball und Pferdewetten und Formel 1 und wer weiß was noch alles, aber nur selten öffnen wir einer Frau unser Herz – so wie ich es Ihnen gegenüber in diesem Augenblick tue. Warten Sie einige Monate ab. Wenn das Kind von Fräulein Eversen das Licht der Welt erblickt hat, kann Alexander ja die Vaterschaft immer noch bestreiten und einen Vaterschaftstest verlangen. Was halten Sie von diesem Vorschlag, Brigitte? Oder ist er zu abwegig?

Auf eine Antwort sich freuend verbleibe ich mit den herzlichsten Grüßen

Ihr Henning Holm

Dresden, 19. 11. 1981“

Dalli blickte in den Kamin, als ob sie erwartete dort eine Antwort auf ihre Fragen zu finden. Das mit dem Vaterschaftstest war eine gute Idee. Bislang hatte nur Sigrid behauptet, dass ihr Kind von Alexander war. Dalli war sicher: „Würde ich mich hier und heute mit Alexander treffen und ihn danach fragen, hätte er bestimmt alles abgestritten. Es stünde dann Aussage gegen Aussage. Bis März sind es ja nur noch vier Monate. Nun so will ich bis dahin warten. Es bleibt mir ja nichts anderes übrig.“

In die Stille hinein klingelte das Telephon. Schritte klapperten über den Flur. Jemand nahm den Hörer ab: „Hier bei Arkens, Guten Tag. Ja gewiss doch, einen Moment bitte. Ich hole sie sogleich.“
Dalli fuhr erschrocken aus dem Sessel hoch, in welchem sie sich gerade geräkelt hatte, als es an der Türe klopfte. Stine trat ein: „Gnädige Frau es ist für Sie. Ein Herr von Gravenhorst aus München.“

Dalli eilte zum Telephon, so rasch sie ihre Beine trugen. Und nahm den Hörer auf: „Tag, Ethelbert, wie geht es dir? Schön wieder einmal etwas von dir zu hören. Komm‘ doch mal wieder hier vorbei.“
Stine ging wieder zurück in die Küche. Beinahe wäre die Erbsensuppe überkocht. Aber Henny hatte, eher unbeabsichtigt, den Topf von der heißen Herdplatte geschoben. Chrissy, die alles nachahmte, versuchte es ihr gleich zu tun. Und zog am Henkel des anderen Topfes, wo sich das Fleisch befand.

Im nächsten Augenblick rutschte der Topf vom Herd. Chrissy brüllte, als ob sie am Spieß stecken würde. Dalli legte sogleich den Hörer auf und rannte in die Küche. Stine war gerade dabei ein Tuch mit kaltem Wasser zu befeuchten. Auf Chrissys rechtem Unterarm zeigte sich eine große Brandblase.
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Kapitel 145

Beitrag von Andrea1984 »

Dalli hob ihre jüngste Tochter hoch: „Stine hol etwas Mehl, rasch. Damit kann man die Wunde heilen.“
Gesagt – getan. Nach einer Weile schrie Chrissy nicht mehr, sondern wimmerte nur noch leise vor sich hin. Henny stand daneben und begriff die Welt nicht mehr: „Was ist jetzt mit Chrissy geschehen?“
Mit Mehl alleine war es nicht getan. Das wusste natürlich auch Dalli. So packte sie ein paar Sachen zusammen und fuhr mit ihren beiden Töchtern, Stine blieb auf dem Immenhof, ins Krankenhaus.

Es stellte sich heraus, dass eine der Scherben des Topfes sich in Chrissys Unterarm, neben der Brandblase gebohrt hatte. Nun gut, die Scherbe ließ sich, unter Vollnarkose, entfernen. Aber Chrissy hatte viel Blut verloren. Ein weiteres Problem trat auf. Dalli ließ sich Blut abnehmen. Die Blutproben von Dalli und Chrissy passten nicht zueinander. Nun war guter Rat teuer. Henny war noch zu jung, um Blut zu spenden, obwohl ihre Blutgruppe vielleicht gepasst hätte. Wer konnte das so genau vermuten.

„Da kann nur noch einer helfen.“, meinte die junge Ärztin, welche etwa in Dallis Alter war. „Was ist mit dem Vater ihrer Tochter? Er hat bestimmt die passende Blutgruppe. Ansonsten gibt es ein Problem.“
Dalli tat zunächst so, als ob sie diese Worte nicht verstanden hätte. Henny saß neben ihr auf einem Stuhl und spielte gelangweilt mit einem Taschentuch. Chrissy lag auf der Untersuchungsliege. Um den rechten Unterarm war ein großer, weißer Verband professionell von der Ärztin festgewickelt worden.

Dalli öffnete nur zögernd den Mund, um der Ärztin die Wahrheit zu gestehen: „Nun ja, es ist so, dass der Vater meiner Töchter und ich seit einiger Zeit getrennt leben. Wir sind damals im Streit auseinander gegangen. Eine Versöhnung steht im Augenblick wirklich nicht zur Debatte. Ich weiß weder, wo sich der Vater meiner Töchter aufhält, noch unter welcher Nummer ich ihn erreichen kann.“

„Ihr Privatleben interessiert mich nicht.“, erwiderte die Ärztin kühl und notierte etwas auf dem Block, welchen sie in ihrer Kitteltasche trug. „Der Vater ihrer Töchter, wenn ich diesen Ausdruck verwenden darf, muss sobald wie möglich hier auftauchen. Es geht um das Leben ihrer kleinen, zarten Tochter.“
Dalli nannte zwar Alexanders Namen, fügte allerdings hinzu, dass er nicht im Telephonbuch stehe.

Die Ärztin griff zum Telephon und nahm den Hörer ab: „Ich muss noch etwas wissen. Wo lebt der Vater ihrer Töchter jetzt? Vielleicht ist diese Person, bei der er wohnt, im Telephonbuch eingetragen.“
Dalli schluckte mehrmals heftig, ehe sie Sigrids Namen und deren Adresse nannte: „Dort müsste der Vater meiner Töchter durchaus erreichbar sein. Er ist der nächste Angehörige, soweit ich weiß.“

Unter dem Schreibtisch lag ein Telephonbuch. Die Ärztin hob es hoch, blätterte darin und fand sogleich den entsprechenden Eintrag: „Beruhigen Sie sich, Frau Arkens. Es wird alles gut.“
Chrissy hielt die rechte Hand weit weg gestreckt und umklammerte mit der linken den Teddybären, welchen sie miteingepackt hatte. Dicke Tränen liefen über ihre Wangen. Das war wohl der Schock.

Während die Ärztin sich vergeblich bemühte, Alexander zu erreichen, nahm Dalli Chrissy auf den Schoß und strich ihr durch die Haare: „Nicht weinen. Der Schmerz ist ja schon vorbei. Bald darfst du wieder nach Hause gehen. Aber erst müssen wir deinen Vater sehen, damit er dir helfen kann.“
„Unter dieser Nummer ist der Vater ihrer Töchter nicht zu erreichen.“, stellte die Ärztin fest.

Für eine Nacht musste Chrissy im Krankenhaus bleiben. Und wurde vorsichtshalber an eine Infusion angehängt. Vorläufig gab es noch Blutkonserven. Doch diese reichten nur noch wenig aus. Henny schlief im zweiten Bett. Dalli saß auf einem Stuhl, welchen sie zwischen die Betten aufgestellt hatte. Und tat die ganze Nacht kein Auge zu. Immer noch fiel der Schnee in dichten Flocken vom Himmel.

„Warum hat die Ärztin den Vater meiner Töchter nicht erreicht?“, fragte sich Dalli insgeheim. „Ist am anderen Ende der Leitung das Besetztzeichen zu hören gewesen? Das wäre gut möglich. Oder hält sich Alexander, vermutlich mit dieser Sigrid, gar nicht zu Hause in der Wohnung auf. Andererseits, wo soll er denn sonst sein. Es ist Herbst, da werden die beiden sicher nicht mehr im Forsthaus wohnen.“

Ein Ast krachte gegen das Fenster. Dalli zuckte zusammen. Hoffentlich hatte der Sturm die Telephonleitung nicht zerstört. Dann würde alles umsonst sein. In der Ferne war das Dröhnen der Feuerwehrsirene zu hören. Ein Glück, dass Henny so einen tiefen, ja geradezu sorglosen Schlaf hatte. Und auch Chrissy konnte schlafen, dies allerdings nur, dank einer zuvor eingenommenen Tablette gegen die Schmerzen. Der weiße Verband leuchtete in der Dunkelheit. So kam es zumindest Dalli vor.

In den frühen Morgenstunden ließ der Schneesturm allmählich nach. Alexander war unerreichbar.
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Kapitel 146

Beitrag von Andrea1984 »

Zur gleichen Zeit in München. Ethelbert hatte sich einen Tag frei genommen. Als der Chef des Gutshofes durfte er das jederzeit tun, ohne seine Mitarbeiterinnen um Rat Fragen zu müssen. Niemand schöpfte Verdacht, als Ethelbert in die Stadt hineinfuhr. Billy und Nathalie, welche gerade die Hufe der Pferde auskratzten, nahmen an, dass Ethelbert Weihnachtsgeschenke einkaufen würde.

Dies war allerdings nicht der Fall. Ein wichtiger Gedanke ging Ethelbert ständig im Kopf herum: „Gestern ist Dalli am Telephon sehr kurz angebunden gewesen. Irgendetwas stimmt bei ihr nicht. Was kann denn noch schlimmer als der Streit mit Alexander sein? Wenn ich das doch nur wüsste. Vielleicht sollte ich einfach mal nach Malente fahren und mir dort einen Überblick über alles verschaffen.“

Viele Menschen hasteten durch die Straßen. Ethelbert schlug seinen Mantelkragen so hoch wie möglich. Und eilte zum Bahnhof. Es war noch frühmorgens. Hoffentlich gab es noch eine Fahrkarte nach Malente. Vor dem Schalter befand sich eine lange Menschenschlange. Ethelbert trat von einem Fuß auf den anderen. Und blickte immer wieder auf Uhr: „Den Zug erwische ich wohl nicht mehr.“

Gleich neben dem Schalter hatte ein älterer Mann einen Punschstand aufgebaut. Es roch nach Rum. Der ältere Mann schien offenbar dem Punsch mehr als die Kunden zuzusprechen. Und jetzt lallte er auch noch in Richtung Ethelbert: „Kommens amal her, junger Mann. Und probierns a Schluckerl.“
Ethelberts Wangen liefen rot an. Weniger wegen dieser Aufforderung, sondern vielmehr, weil er als „junger Mann“ bezeichnet worden war. Dabei hielt sich Ethelbert mit seinen 45 Jahren für alt.

Aber das war nichts gegen diesen Mann, der jetzt nach einem Schöpflöffel griff und einen der weißen Plastikbecher mit Punsch füllte. Fast schwappte das Getränk über. Ethelbert löste sich nur ungern aus der Warteschlange und ging zu dem alten Mann. Erst von der Nähe waren die abstehenden, weißen Haare zu erkennen. Der alte Mann trug weder eine Haube, noch Handschuhe. Und saß vermutlich schon die halbe Nacht, wenn nicht sogar die ganze, an diesem Stand. Die Schuhe waren abgetragen.

„Nun nemans schon den Becher, sonst wird der Punsch noch kalt.“, meinte der alte Mann. Obwohl er sich bemühte hochdeutsch zu sprechen, hörte man den bayrischen Dialekt deutlich heraus. Ethelbert ergriff den Becher und nippte hastig daran. Wider Erwarten war der Punsch doch nicht so stark. „Ach was, dann nehme ich eben den nächsten Zug.“, beschloss Ethelbert in Gedanken. „Es eilt ja nicht.“

Wenn er allerdings gewusst hätte, in welcher Situation sich Dalli im Augenblick befand und dass sie eventuell auf seine Hilfe angewiesen war, dann hätte er sich das mit dem Punschtrinken überlegt. So aber kippte Ethelbert einen Becher Pusch nach dem anderen herunter. Und lachte höflich über einen flachen Scherz des alten Mannes. Erst gegen Mittag stellte sich Ethelbert abermals in der Warteschlange an. Diesmal hatte er mehr Erfolg. Und bekam tatsächlich eine Karte nach Malente.

Erst während der Zugfahrt selbst fiel ihm plötzlich ein, dass er außer ein paar Papieren und etwas Geld nichts Wichtiges mitgenommen hatte. Nun ja, einen Pyjama oder ein zweites Hemd, das als Pyjamaersatz diesen sollte, konnte sich Ethelbert nötigfalls auch in Malente kaufen. Das Abteil war leer. Ethelbert streckte sich behaglich auf seinem Sitz aus. Und schloss die Augen. Der Schaffner sagte immer wieder die Haltestellen durch. Endlich erklang: „Nächster Aufenthalt, Malente.“

Hastig sprang Ethelbert aus dem Zug. Und stampfte sich den Schnee von den Stiefeln. Sein erster Weg führte ihn sogleich, mehr einer Gewohnheit folgend als wirklich dort Hilfe gebend oder suchend, auf den Immenhof. Ethelbert klopfte an die Haustüre. Zunächst leise, danach mit etwas Nachdruck. Es näherten sich Schritte. Jemand öffnete die Haustüre. Es war Stine: „Was machen Sie hier, Herr von Gravenhorst? Warum sind Sie direkt aus München gekommen? Frau Arkens ist derzeit nicht da.“

Ethelbert seufzte. Das fing ja gut. Er hatte gehofft, mit Dalli selbst reden zu können. Aber nun erfuhr er von Stine, warum genau dies eben nicht möglich war: „Und nun wartet sie auf den gnädigen Herren. Der ist weit weg.“, mit diesen Worten beendete Stine ihren Berichte und schneuzte sich in ihre Schürze. „Seit der gnädige Herr weg und die alte gnädige Frau tot ist, geht alles drunter und drüber.“

Ethelbert blickte sich im Wohnzimmer um, in das Stine ihn geführt hatte. Tatsächlich. Auf dem Kaminsims stand das Totenbild der Zarin. Sie lächelte darauf. Das Bild war vermutlich erst vor wenigen Jahren aufgenommen worden. Ethelbert konnte sich noch gut an die Zarin erinnern.
Von draußen stampfte Ole herein. Und begrüßte den Gast: „Schön Sie wiederzusehen. Sie möchten gewiss zu Frau Arkens. Wenn alles gut geht, kommt sie noch heute wieder vom Krankenhaus zurück.“
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Kapitel 147

Beitrag von Andrea1984 »

„Als ob die junge gnädige Frau in den letzten Jahren noch nicht oft genug ein Krankenhaus von innen gesehen hätte.“, schluchzte Stine weiter. „Erst die Blinddarmoperation und jetzt die Sache mit der kleinen Chrissy. Wieso muss gerade die junge gnädige Frau so leiden? Sie hat es nicht verdient.“
Ethelbert beobachtete, wie Ole, der sonst so steif wirkte, dem Hausmädchen einen Arm um die Schultern legte und ihr ein Taschentuch anbot. Stine wischte sich die Tränen aus den Augen.

„Früher hat es nie Streit und Ärger gegeben. Aber dann eines Tages hat der gnädige Herr seine Sachen gepackt. Und ist einfach weggefahren. Irgendwas muss da passiert sein. Ich weiß nichts Genaueres. Und Ole auch ebensowenig. Wir sind hier ja leider nur die Angestellten und werden auch so behandelt. Das wurmt mich am Meisten. Ole hingegen scheint das ganze nicht so eng zu sehen.“

Stine ließ sich auf das Sofa sinken. Ole nahm neben ihr Platz. Ethelbert erhob sich hastig: „Ich lasse Sie dann mal besser alleine und werde dann wohl eher drüben in der Küche auf Frau Arkens warten.“
„Bleiben Sie nur da, Herr von Gravenhorst. Sie stören uns nicht.“, murmelte Stine aus Höflichkeit. Dennoch hielt es Ethelbert besser das Wohnzimmer zu verlassen. Und den Mund zu halten.

Ethelbert ging hinüber zum Stall. Der Geruch erinnerte ihn nicht nur an den Gutshof in München, sondern auch an früher. Als alles noch, wie Stine es schon festgestellt hatte, heiter und sorglos gewesen war. Bis zu einem gewissen Punkt jedenfalls. Doch man sollte der Vergangenheit nicht nachtrauern, das hatte Ethelbert inzwischen gelernt. Der Blick in die Zukunft war viel wichtiger.

„Ich werde Dalli helfen. Egal wie.“, nahm sich Ethelbert auf dem Rückweg ins Haus ganz fest vor. Und blickte aus dem Küchenfenster. Als ob er dort etwas erkennen konnte, dass weder nach Schnee noch nach grauen Wolken aussah. Stine und Ole hielten sich noch immer im Wohnzimmer auf, obwohl sie das ja eigentlich nicht durften – so hatte es ihnen damals die Zarin gleich am Anfang, nach dem Vorstellungsgespräch, eingeschärft. Aber nun schienen die Hausregeln aufgehoben worden zu sein.

Stine weinte noch immer. Nun ergriff Ole endlich das Wort: „Gib‘ nicht gleich auf. Es wird alles wieder gut. Der Chef kommt zurück. Und wird sich hoffentlich mit dem Boss vertragen. Ich weiß das sicher.“
„Woher denn?“, erkundigte sich Stine zögernd, mit ein wenig Sarkasmus in der Stimme. Sie traute dem Frieden nicht so ganz. Sonst machte Ole meist nur Witze. Heute hingegen war er ernst.

Ole strich sich mit einer Hand durch sein schütteres Haar: „Als du heute in der Früh einkaufen gewesen bist, ist ein Anruf gekommen. Ich hab‘ mit einem Anwalt geredet. Der ist gerade mit dem Testament der alten gnädigen Frau beschäftigt. Und meint, so wie es aussieht, dass es was mit dem Chef und dem Immenhof zu tun hat. Was genau, weiß ich nicht. Aber es hört sich interessant an.“

Stine blickte zu Boden. Und verstand nur Bahnhof? Was sollte das Testament der Zarin mit Alexander und dem Immenhof zu tun haben? Ole stand auf: „Ich seh mal nach unserem Gast. Er wird sich bestimmt langweilen, so alleine in der Küche. Langsam ist es Zeit für das Mittagessen. Du weißt ja, dass ich nicht kochen kann. Höchstens vor Wut, wenn es jetzt nicht bald etwas zu essen gibt.“

Stine sprang auf, als wäre sie von einer Tarantel gestochen worden: „Du hast Recht. Ich frag‘ den Herr von Gravenhorst gleich mal, was er haben möchte. Wie dumm von mir, das zu vergessen.“
Ethelbert saß am Küchentisch. Und bildete sich ein, dass sein laut knurrender Magen zu hören war. Endlich kam Stine herein und fragte ihn nach seinen Wünschen. Er meinte, es könne ruhig etwas Herzhaftes sein. Nichts allzu Aufwendiges, eher etwas Leichtes wie eine Suppe und Brot dazu.

Im nächsten Augenblick hätte sich Ethelbert am liebsten auf die Zunge gebissen. Verdammt. Wieso hatte vergessen, dass das Unglück mit Chrissy genau hier mit einem Suppentopf passiert war. Aber Stine achtete nicht darauf, sondern putzte sich noch einmal die Nase und meinte, dass sie dem Wunsch des gnädigen Herrn selbstverständlich sofort nachkommen werde, wie es ihre Arbeit sei.

„Es ist noch genug Zeit. Sie brauchen nicht hier in der Küche zu warten, bis das Essen fertig ist.“
Ethelbert verließ die Küche. Und ging wieder zurück ins Wohnzimmer. Was sollte er auch sonst unternehmen. Zum Reiten war es inzwischen schon zu kalt draußen. Gewiss, die Pferde mussten bewegt werden, aber der Immenhof hatte keine Reithalle. Und es würde wohl sobald auch keine gebaut werden. Dalli und Alexander dachten gewiss nicht daran, offen über alles zu reden.

„Ich sollte Billy und Nathalie anrufen. Sie machen sich gewiss Sorgen.“, meinte Ethelbert dann.
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Kapitel 148

Beitrag von Andrea1984 »

Nach dem Essen machte sich Ethelbert auf den Weg zum Krankenhaus. Vielleicht konnte er ja Dalli helfen. Es dauerte eine Weile, bis er die richtige Station fand und ihn die zuständige Krankenschwester auf das Zimmer ließ. Andererseits konnte sie Besuche nicht verbieten. Ethelbert öffnete die Türe so leise wie möglich. Henny und Chrissy schliefen noch. Aber Dalli war wach.

„Wie schön, dass wenigstens ein Mann gekommen ist, der mich unterstützt.“, murmelte sie schlaftrunken. „Mit Alexander kann ich im Augenblick nicht rechnen, das ist mir schon klargeworden.“
„Ich lass‘ mir gleich Blut abnehmen.“, versprach Ethelbert. „Vielleicht hab‘ ich genau die richtige Blutgruppe. Man soll die Hoffnung nie aufgeben, auch wenn es scheinbar noch so düster aussieht.“

Dalli rieb sich die Augen: „Ich brauch‘ einen Kaffee. Komm‘ lass uns nach draußen gehen.“
Chrissy hielt immer noch den Teddybären fest umklammert. Henny hatte sich so fest in die Bettdecke eingewickelt, dass nur noch die Nasenspitze hervorschaute. Nur langsam schimmerte die Sonne zwischen den grauen Wolken durch. Die Krankenschwester beobachtete alles und erklärte sich gerne bereit, nach den beiden Kindern zu sehen: „Heute ist es auf der Station gottseidank etwas ruhiger.“

Der Aufenthaltsraum befand sich im Erdgeschoss. Nur wenige Menschen zeigten sich auf den Gängen. Dalli gähnte: „Ich hab‘ die ganze Nacht kein Auge zu getan. Alles nur wegen Henny und Chrissy. Was wäre wenn ihnen in dieser Nacht etwas passiert wäre. Ich hätte mir das nie verziehen.“
Ethelbert nickte. Als kinderloser Mann konnte er Dallis Gefühle nur ansatzweise nachvollziehen.

Im Aufenthaltsraum nahm Dalli sogleich in einer ruhigen Ecke Platz. Ethelbert holte den Kaffee und dazu noch einen Kuchen: „Du musst etwas essen. Im Kuchen ist Schokolade, die gibt Energie.“
Dalli schüttelte den Kopf: „Ich hab‘ keinen Appetit. Wirklich nicht. Ich bin einfach nur müde.“
„Es ist für dich nicht leicht. Nun kommt alles zusammen.“, murmelte Ethelbert in seinen nicht vorhandenen Bart. „Wenn ich dir nur irgendwie helfen könnte, aber ich weiß doch selbst nicht wie.“

„Du wolltest doch Blutspenden.“, erinnerte Dalli ihn. „Rede mit dem zuständigen Arzt darüber.“
„Zuerst ist es wichtiger, dass du etwas zu dir nimmst.“, beharrte Ethelbert auf seinem Standpunkt. „Wenn du jetzt nervlich zusammenklappst, ist weder Henny noch Chrissy damit geholfen.“
Dalli nahm zögernd einige Bissen zu sich. Und nippte an ihrem Kaffee. Sie tat das aus Höflichkeit.

Nach einer halben Stunde trennten sich kurzzeitig die Wege von Ethelbert und Dalli. Inzwischen waren Henny und Chrissy aufgewacht. Chrissy erhielt einen neuen Verband. Und, mehr vorsichtshalber als tatsächlich notwendig, eine weitere Infusion. Ethelbert biss derweilen die Zähne zusammen und spendete tapfer Blut, auch wenn ihm danach ein wenig schwindlig davon wurde.

„Hoffentlich habe ich die richtige Blutgruppe.“, meinte er nach der Rückkehr vom Untersuchungsraum im Krankenzimmer. Es roch nach Essen. Henny bestand darauf den Kartoffelbrei selbst zu essen, auch wenn er ihr eigentlich normalerweise nicht schmeckte: „Er wäre auch etwas für Chrissy.“
„Deine Schwester darf jetzt noch nichts festes essen.“, versuchte Dalli behutsam zu erklären.

„Woher bekommt sie dann das, was sie braucht?“, wunderte sich Henny und blickte ratlos drein.
Nun ergriff Ethelbert das Wort: „Siehst du diesen Beutel da? Und den Schlauch? Fein. Also über den Schlauch fließt alles, was Chrissy benötigt in ihren Körper. Es hilft ihr wieder gesund zu werden.“
Henny nickte, so dass ihre blonden Locken hin und her flogen: „Ja, ich habe es schon verstanden.“

Dalli ergriff Ethelberts Hand: „Bitte bleib‘ bei mir. Ich schaff‘ es nicht mehr, mich alleine um alles zu kümmern. Und weiß mir keinen Rat. Dick hat selbst genug eigene Sorgen. Und sonst hab‘ ich ...“
„... niemanden. Das ist nicht wahr.“, unterbrach Ethelbert mit harter Stimme. „Du hast Stine und Ole. Sie sind bereit alles für dich zu tun. Auch wenn du sie – meiner Meinung nach – eher wie Dienstboten, nicht wie Freunde behandelst. Für die beiden ist die Situation auch sehr schwer zu verkraften.“

Unter dem Vorwand Billy und Nathalie anrufen zu müssen, verließ Ethelbert das Zimmer. Dalli schluckte. Vor den Kindern durfte sie sich nicht gehen lassen. Das hätte ihr gerade noch gefehlt. Ein Glück, dass es im Zimmer einen Fernseher gab. Henny sah sich eine Ausgabe der „Sesamstraße“ an. Chrissy blickte auf die bunte Tapete, welche Affen, Schlangen und andere Tiere zeigte. Und träumte mit offenen Augen vor sich hin. Was sollte das kleine Mädchen denn auch sonst anderes tun.

Ethelbert kehrte wieder ins Zimmer zurück: „Ist das Ergebnis schon da? Weißt du mehr darüber?“
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Andrea1984
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Kapitel 149

Beitrag von Andrea1984 »

Dalli zuckte mit den Schultern. Ethelbert setzte sich auf einen Stuhl, rückte diesen nahe zum Tisch heran und stützte den Kopf auf die Hände: „Ich hab‘ mein bestes gegeben. Mehr kann ich nicht tun.“
„Ja, das geht schon in Ordnung.“, wehrte Dalli verlegen ab. „Kannst du mal kurz nach den Mädchen sehen? Ich brauch‘ frische Luft. Mir fällt hier drinnen die Decke auf den Kopf. Es ist alles zuviel.“

Ethelbert erhob sich, nahm auf Chrissys Bettkante Platz. Henny lief zu ihm hinüber und setzte sich auf seinen Schoß. Ethelbert deckte Chrissy behutsam zu. Und kümmerte sich auch darum, dass es Henny nicht kalt wurde. Dalli sah anerkennend zu. Ethelbert konnte besser mit den kleinen Kindern umgehen, als sie es von ihm erwartete hatte: „Ich bin gleich wieder da. Entschuldigt mich bitte, ja.“

Dalli hatte das Gefühl, als ob ihr der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Alles, was in den letzten Jahren mühsam aufgebaut worden war, wackelte und hielt nur mühsam stand. In einem Punkt musste Dalli Ethelbert wohl oder übel zähneknirschend Recht geben: Sie war nicht mehr alleine, wie früher – es gab Menschen, die ihr zur Seite standen, auch wenn es noch so schwierig schien.

„Sobald meine kleinen Töchter und ich wieder zu Hause auf dem Immenhof sind, wird alles anderes.“, nahm sich Dalli fest vor. Aber sie dachte es nur und sprach es nicht laut aus. „Die Situation muss beendet werden. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Nur was soll mit Alexander sein? Immerhin ist er der Vater meiner Kinder, das darf ich trotz alle dem nicht vergessen.“

Dalli machte sich Gedanken um ihre Zukunft. Und vergaß dabei, dass auch andere Leute Probleme hatten. Selbst Ethelbert ging es nicht so gut, wie er nach außen hin vorgegeben hatte. Alle stellten ihre Sorgen hinten an, um Dalli zu helfen. Das wurde ihr erst in diesem Augenblick so richtig bewusst: „Ich bin ein Schafskopf“, ärgerte sich Dalli über sich selbst. „Und hätte schon früher drauf kommen können. Nur wann hilft man jemandem wirklich und wann mischt man sich in Dinge ein, die einen nichts angehen? Diese Frage ist bis heute unbeantwortet geblieben, auch wenn oft daran denke.“

Eine Krankenschwester kam vorbei:“Frau Arkens. Die Ergebnisse der Blutabnahme des Herrn von Gravenhorst sind da. Er hat mich gebeten, Ihnen so rasch wie möglich Bescheid zu geben.“
Dalli sprang erschrocken auf, als wäre sie von einer Tarantel gestochen worden: „Ich habe tatsächlich geschlafen. Wie ist das nur möglich. Und das ausgerechnet in so einem wichtigen Augenblick.“

Im Krankenzimmer erfuhr Dalli die Neuigkeit, während Henny und Chrissy seelenruhig mit dem Teddybären spielten. Ethelbert lehnte an der Wand. Sein Gesicht war weiß wie eine Bodenfliese: „Setz‘ dich erstmal, Dalli. Du musst jetzt wirklich ganz stark sein. Es geht um Leben und Tod.“
Dallis blasse Wangen bekamen nur langsam wieder etwas Farbe: „Nun red‘ schon, Ethelbert.“

„Ich habe leider ebenfalls nicht die richtige Blutgruppe. Es bleibt uns daher nur ein Ausweg.“
Aus Dallis Locken lösten sich die Haarnadeln: „Alles ist aus. Was sollen wir jetzt nur tun?“
Ob es sich nun gehörte oder nicht: Dalli ließ sich vor ihren Töchtern gehen. Und brach in Tränen aus. Sie hatte ganz fest damit gerechnet, dass nur Ethelbert alleine über die richtige Blutgruppe verfügte.

Diesmal erklärte sich eine Krankenschwester bereit Alexander anzurufen. Schon nach dem zweiten Klingeln meldete er sich. Und verstand zunächst nur Bahnhof. Das Telephonat wurde im Schwesternzimmer geführt. So kam es, dass weder Dalli noch Ethelbert etwas davon mitbekamen. Die Krankenschwester kam wieder zurück: „Es ist mir gelungen, Herrn Arkens zu erreichen.“

„Das ist gut.“, freute sich Ethelbert. „So besteht die Chance für Chrissy, das alles gut wird.“
Dalli runzelte die Stirn: „Ich bin nicht begeistert darüber. Wie soll ich mich Alexander gegenüber verhalten? Hast du vergessen, dass er mir untreu geworden ist und ein außereheliches Kind ...“
„.... gezeugt hat?“, ergänzte Ethelbert. „Noch ist das nicht sicher. Das Kind kann ja durchaus von jemand anderem sein. Alexander hat keine Gelegenheit gehabt, seine Meinung dazu zu äußern.“

Henny blickte verwirrte von einem zum anderen. Was hatte das nun zu bedeuten? Aber weder Dalli noch Ethelbert konnten oder wollten ihr diesmal erklären, was geschah. Und auch die Krankenschwester gab keinerlei Auskunft, sondern bereitete stattdessen alles für die Blutspende vor:
„Nun müssen wir nur noch auf Herrn Arkens warten. Er hat versprochen, gleich hier zu sein.“

„Hoffentlich kommt er alleine her.“, murmelte Dalli verbittert, ohne Rücksicht auf ihre kleinen Töchter. „Gar nicht auszudenken, wenn diese Sigrid auch mit dabei ist. Das hätte mir gerade noch gefehlt.“
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Kapitel 150

Beitrag von Andrea1984 »

Wenige Augenblicke später traf Alexander, in Sigrids Begleitung, ein. Henny lief auf ihn zu und sprang an ihm hoch, so als ob nichts gewesen wäre: „Vati, oh wie schön, dass du hier her gekommen bist.“
„Ich freue mich auch dich zu sehen.“, erwiderte Alexander. Und lächelte. Dann beugte er sich über Chrissys Bett: „Bald geht es dir wieder besser. Ich werde dir helfen. Deine Mutter kann es ja nicht.“

Das hatte gesessen. Ethelbert warf Alexander einen vorwurfsvollen Blick zu. Dalli reagierte nicht einmal darauf. Und hätte sich am liebsten die Augen und die Ohren zugehalten. Alexander legte sich neben Chrissy auf das Bett: „Die Blutspende kann doch auch hier durchgeführt werde, nicht wahr?“
Die Krankenschwester meinte dazu sachlich „Ja, es geht schon in Ordnung so. Bitte krempeln Sie Ihren linken Hemdsärmel hoch, Herr Arkens. Dann kann ich gleich mit der Nadel in die Vene stechen.“

Dalli verließ hastig das Zimmer. Ethelbert folgte ihr auf den Fersen. Henny lief unbekümmert hinterdrein. Sigrid stellte sich Ethelbert vor. Und auch er nannte seinen Namen. Dalli schwieg.
Sigrid plauderte drauflos, dass sie an diesem Tag zu einer Kontrolle hier sei. Dem Baby gehe es gut.
„Das ist ja auch das Wichtigste.“, meinte Ethelbert höflich eine undurchdringliche Miene aufsetzend.

Henny kletterte auf seinen Schoß, ohne zu fragen, ob sie das durfte. Ethelbert hatte nichts dagegen. Da konnte ihn Dalli noch so vorwurfsvoll anschauen, wie in diesem Augenblick. Ethelbert vertrat die Meinung, dass Henny und Chrissy nach Möglichkeit von dieser Angelegenheit ferngehalten werden sollten – auch oder gerade weil er es nicht öffentlich zugab. Beide würden es ja nicht verstehen.

Sigrid wurde zur Kontrolluntersuchung aufgerufen. Und verschwand hinter einer der Türen, die sich entlang des weißgekachelten Flurs befand. Ethelbert strich Henny behutsam durch die blonden Locken: „Was meinst du, Kleines? Ob wir jetzt schon nach deiner Schwester schauen dürfen?“
Henny zuckte mit den Schultern: „Lass‘ uns doch noch eine Weile hier bleiben. Warum schaut Mutti so finster drein? Hab‘ ich was angestellt? Oder ist es immer noch weil Chrissy sich so wehgetan hat?“

Ethelbert beruhigte Henny: „Mit dir hat es nichts zu tun. Und mit Chrissy ebenso wenig.“ In Gedanken fügte er hinzu: „Ihr beide könnt doch am allerwenigsten etwas dafür. Warum müssen sich gerade Dalli und Alexander, die früher einander so zugetan gewesen sind, sich so streiten? Beide tragen ein gewisses Maß Schuld daran. Aber niemand will den ersten Schritt machen. Ich weiß genau, wie eigensinnig Dalli sein kann. Alexander kenne ich noch zu wenig, um mir ein Urteil diesbezüglich zu bilden.“

Die Türe des Krankenzimmers ging auf. Als erstes kam die Krankenschwester heraus. Gleich hinter ihr folgte Alexander. Er war blass um die Nase: „Chrissy wird es schaffen. Sie ist stark und kräftig.“
„Dafür siehst du umso schmaler im Gesicht aus.“, neckte Ethelbert. „Was hältst du davon, ein Stück Traubenzucker zu dir zu nehmen? Das gibt viel Energie. Und die brauchst du bestimmt jetzt.“

Alexander ließ sich auf einen der Stühle sinken: „Ja, das wäre jetzt genau das richtige für mich.“
Die Krankenschwester organisierte den Traubenzucker. Alexander bedankte sich dafür. Und wunderte sich anschließend: „Wo steckt den Sigrid? Hat sie jemand von euch gesehen?“
„Sie ist vorhin aufgerufen worden. Zu einer Untersuchung.“, antwortete Ethelbert ein wenig hastig.

Dalli lehnte an der Wand gegenüber und beobachtete die Unterhaltung der beiden Männer. Wie würde Alexander jetzt reagieren? Lag ihm etwas an Sigrid oder nicht? Fühlte er sich für das Kind verantwortlich? Oder bereute er schon, was er damals in jener Zeit getan hatte? Henny saß noch immer auf Ethelberts Schoß und blickte mit großen Augen umher. Es gab soviel zu sehen.

Nach einer dreiviertel Stunde kehrte Sigrid wieder zurück. Um ihre Lippen spielte ein feines Lächeln. Aber niemandem fiel es auf „So ich bin fertig. Wir können dann gehen, Alexander.“, meinte sie mit fester Stimme. „Mein Auto steht auf dem Parkplatz. Da kostet jede volle Stunde viel Geld.“
Alexander verabschiedete sich von Henny und Chrissy. Und drückte auch Ethelbert die Hand.

Dalli hingegen verweigerte ihm den Gruß. Sie war fest entschlossen, Alexander aus dem Weg zu gehen. Sigrid strich sich immer wieder über ihren Bauch. Wer jetzt die Schwangerschaft noch immer nicht erkennen konnte, der war entweder kurzsichtig oder schon blind. Sigrid trug an diesem Tag ausgewaschene Jeans und dazu eine weiße Bluse. Der Bauch zeichnete sich deutlich darunter ab.

Sigrid ergriff Alexander am Arm und marschierte mit ihm Richtung Aufzug. Noch ehe dieser eingetroffen war, flüsterte Sigrid leise: „Ich hab‘ eine tolle Neuigkeit für dich. Es wird ein Junge.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mo 12.Dez.2011 16:35, insgesamt 1-mal geändert.
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