"Neues Glück auf Immenhof"

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Andrea1984
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Kapitel 151

Beitrag von Andrea1984 »

Alexander zögerte. Was sollte er nun darauf antworten? Einerseits war es ihm recht, dass er nun endlich – wenn Sigrid sich nicht irrte – einen Sohn bekommen, der einmal in seine Fußstapfen treten sollte. Andererseits hätte er zu gerne Dalli als Mutter des Sohnes und Erben gesehen. Doch diese wollte nichts mehr von ihm wissen. Wer weiß, wie sie auf diese Nachricht reagieren würde.

„Bist du dir auch wirklich sicher?“, erkundigte sich Alexander, während er die Autotüre aufsperrte. Sigrid nahm Platz und legte behutsam den Gurt an: „Ganz sicher. Die „dritte Hand“ ist inzwischen nicht mehr zu übersehen. Und einen Namen für unseren Sohn hab‘ ich mir auch schon überlegt.“
Alexander wendete das Auto: „Lass‘ hören. Ich muss mich jetzt auf das Fahren konzentrieren.“

Während Sigrid und Alexander unterwegs Richtung Wohnung waren, lehnte Dalli immer noch an der Mauer: „Hast du das auch gehört, Ethelbert? Sag‘ bitte, dass ich mich da eben verhört habe.“
Ethelbert befand sich nun in der Zwickmühle. Einerseits konnte er nicht lügen, andererseits wusste er genau, wenn er die Wahrheit sagte, dass Dalli, wie er sie kannte, dann fluchen und toben würde.

„Lass‘ uns nach Chrissy sehen.“, schlug Ethelbert vor. „Komm‘ mit uns, Henny. Du darfst wieder rein.“
Dallis Lippen zuckten, aber sie ließ sich nichts anmerken. Am Abend wurde Chrissy schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Sie sollte sich noch einige Tage schonen, was bei so einem lebhaften Kind allerdings nicht so einfach war. Henny freute sich darüber, ihre Schwester bei sich zu haben.

Stine brachte die beiden Mädchen zu Bett. Dalli bot Ethelbert im Wohnzimmer noch rasch ein Glas Wein an: „Oder musst du heute noch mit dem Auto fahren? Dann doch lieber ein Glas Apfelsaft.“
„Wein geht schon in Ordnung.“, antwortete Ethelbert. „Ich bleibe eine Nacht hier, wenn es dir Recht ist. In München geht alles seinen gewohnten Gang. Billy und Nathalie schaffen das schon gewiss.“

Dalli holte eine Flasche Wein und zwei Gläser aus der Küche. Ethelbert öffnete kurz das Fenster. Ole hatte sich, während Dallis Abwesenheit, pflichtbewusst um das Einheizen des Kamins gekümmert.
Die Nacht war lau und, für diese Jahreszeit, ungewöhnlich mild. Ethelbert zuckte für einen Augenblick zusammen. Dalli kehrte mit den gefüllten Gläsern zurück: „Lass‘ uns auf Chrissys Genesung anstoßen. Ich bin erleichtert, dass alles so glimpflich ausgegangen ist. Chrissy hat Glück gehabt.“

Ethelbert nippte an dem Wein: „Schmeckt gut, wirklich. In Bayern trinke ich ja fast nur noch Bier.“
„Von dir hätte auch nichts anderes erwartet.“, meinte Dalli und ließ sich in den bequemen Sessel fallen. „Irgendwie kommt es mir vor, als ob das Hemd, welches du gerade trägst, zu eng ist.“
„Das kann ich dir erklären. Mir ist es beim Waschen eingegangen. Ja wirklich, glaub‘ es mir ruhig.“

„Seit wann wäschst du deine Hemden selbst?“, setzte Dalli noch eines darauf. „Ich dachte, dass machen Billy und Nathalie für dich. Dafür hast du doch die beiden eingestellt, oder etwa nicht?“
Ethelbert lachte: „Wir leben im 20. Jahrhundert. Ich kann durchaus als Mann meine Hemden selbst waschen. Naja, eigentlich nicht ich, sondern die Waschmaschine. Und die funktioniert prima.“

Dalli drehte das Glas zwischen ihren Fingern. Und begann nun ebenfalls zu lachen: „Waschmaschinen gibt es tatsächlich auch in Bayern? Ich dachte immer, dort wird die Wäsche noch mit der Waschrumpel und einer harten Bürste gereinigt. Das ist eine schweißtreibende Arbeit.“
Eine Weile alberten Dalli und Ethelbert herum, ohne jedoch das Problem Alexander anzusprechen.

Als die alte Standuhr 10 Uhr schlug, begab sich Ethelbert ins Bett. Dann erst dämmerte es ihm: „Oh, ich hab‘ ja gar keinen Schlafanzug dabei. Was soll ich nur tun? Vielleicht mir von Ole einen borgen?“
Der Knecht hatte einen festen Schlaf. Trotzdem gelang es Ethelbert ihn zu wecken und das Anliegen zu schildern. Ole meinte daraufhin: „Nehmen Sie sich einfach einen Schlafanzug aus dem Schrank.“

Ethelbert probierte einen nach dem anderen. Doch der passende war nicht dabei. Einer war ihm zu groß, der andere zu klein: „Darin schau‘ ich ja aus, wie ein Clown auf Urlaub. Das ist unmöglich.“
„Ich hab‘ da eine Idee, Herr von Gravenhorst. Schlafen Sie doch einfach in ihrem Hemd.“
Nur ungern nahm Ethelbert diesen Vorschlag an. Was blieb ihm denn anderes übrig.

„Wie lange hab‘ ich schon nicht mehr hier auf dem Immenhof übernachtet?“, fiel ihm ein, während er auf dem Wohnzimmersofa lag. Und die Flammen des Kamins leise knisterten. „Das muss schon einige Jahre her sein. Dick und Ralf sind damals gerade erst verheiratet gewesen. Jochen hat noch gelebt. Und Dalli gerade erst das Abitur bestanden – wenn ich mich an alles richtig erinnere.“
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Andrea1984
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Kapitel 152

Beitrag von Andrea1984 »

Der Schaffner rief mit lauter Stimme: „Endstation – Malente. Alles aussteigen.“ Hastig sprang Ethelbert auf, schnappte seinen Koffer und verließ das Abteil. Auf dem Bahnsteig wartete schon Dalli auf ihn.
„Wie schön, dich wiederzusehen. Die Kutsche steht da drüben. Du kannst ruhig schon Platz nehmen.“
„Lieber nicht, sonst landen wir noch im Graben.“, scherzte Ethelbert und hob den Koffer auf den Sitz.

Dalli nahm die Zügel auf und meinte: „Wie du willst. Dann gehst du eben zu Fuß zum Immenhof.“
Schon hatte sich Ethelbert auf den Kutschbock geschwungen. Und pfiff während der ganzen Fahrt über laut und falsch eine Melodie, welche ihm schon seit Tagen durch den Kopf ging. Geschickt kutschierte Dalli den Wagen, vorbei an den Pfützen, die noch vom gestrigen Gewitter stammten.

Auf dem Immenhof warteten schon Dick, Ralf und Jochen auf Ethelbert. Und begrüßten ihn herzlich. „Du kannst noch dein altes Zimmer haben.“, bot ihm Dick an. „Es steht jederzeit für dich offen.“
„Mensch, das finde ich prima.“, freute sich Ethelbert. Seine Augen strahlten. Doch schon im nächsten Moment glitt ein Schatten über das Gesicht. „Ich würde gerne reiten gehen. Ist Schneewittchen noch da? Oder habt ihr sie inzwischen auch verkauft? Das wäre schade, dann bin ich umsonst hier.“

Jochen legt Ethelbert eine Hand auf die Schulter: „Hör zu mein Junge. Schneewittchen würden wir niemals ohne deine Erlaubnis verkaufen. Wenn du willst, können wir gleich eine Runde ins Gelände gehen. Auch meine Mirabell ist hier. Sie steht im Augenblick auf der Weide. Ich hole sie gleich herein. Und Schneewittchen natürlich auch. Falls du allerdings nicht schon zu groß für sie geworden bist.“

Gemeinsam schlenderten Jochen und Ethelbert hinüber zur Weide. Dicke Äste lagen auf dem Boden. Und der Holzzaun war auseinandergebrochen: „Nun muss ich ihn wieder reparieren. Viel Geld ist allerdings nicht vorhanden. Die Mädels und ich wir kommen gerade mal so eben über die Runden.“
Ethelbert schluckte. Nun ja, es hatte finanzielle Einbußen gegeben, nach dem Tod von Oma Jantzen.

Jochen pfiff kurz auf den Fingern. Schon kamen die braune Stute Mirabell und die weiße Stute Schneewittchen angelaufen. Ethelbert kramte ein Stück Zucker aus der Tasche seiner blauen Jeansjacke: „Lass‘ es dir schmecken, Schneewittchen. Was meinst du? Kannst du mich noch tragen?“
Schneewittchen wieherte leise, als ob sie damit sagen wollte: „Warum nicht? So eine dumme Frage.“

Jochen hatte die Sättel und die Trensen mitgebracht und schaute zu, wie Ethelbert sich um seine Stute kümmerte: „Du hast nichts verlernt, mein Junge. So nun steig mal auf. Ich helf‘ dir schon.“
„Das ist nicht nötig.“, wehrte Ethelbert verlegen ab und schwang sich gekonnt in den Sattel. „Die Zeiten wo ich vom Pferd gefallen bin, sind längst vorbei. Ich hab‘ schon fast vergessen, wie das ist.“

Dafür hatte Jochen Probleme beim Aufsteigen: „Mein Rücken tut mir weh. Wie hat Oma Jantzen einmal gesagt: „Man wird alt und immer älter.“ Erst jetzt verstehe ich, was sie damit gemeint hat.“
Ethelbert nahm die Zügel auf. Und gab eine Gewichtshilfe. Schneewittchen setzte sich in Bewegung. Mirabell trabte leicht schnaubend neben ihr her. Jochen wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Was gibt es Neues auf dem Immenhof?“, erkundigte sich Ethelbert nach einer Weile höflich. „Hab‘ ich etwas versäumt? Dalli schreibt mir schon länger nicht mehr. Wir telephonieren auch nur sporadisch.“
„Hat sie dir denn nichts erzählt?“, wunderte sich Jochen seinerseits. Dann dämmerte es ihm, was Ethelbert meinte. „Nun ja also, das wird sie dir bestimmt selbst sagen. Ich schweige wie ein Grab.“

Bei diesen Worten schimmerten Tränen in seinen Augen: „Beinahe drei Jahre ist es jetzt her.“
Ethelbert schwieg und dachte sich seinen Teil. Früher hätte er eine flapsige, unüberlegte Bemerkung gemacht, doch inzwischen war ihm streng eingebläut worden, dass sich sowas einfach nicht gehörte.
Mirabell schnaubte abermals. Schneewittchen wieherte. Es schien, als ob die beiden sich über die guten, alten Zeiten – damals als noch Oma Jantzen und Margot gelebt hatten - unterhalten würden.

Der Kellersee schimmerte an diesem Tag so blau wie selten im Mai. Leider war das Wasser noch zu kalt. Jochen und Ethelbert ließen die Pferde anhalten und ein paar Schlucke trinken. Schneewittchen äpfelte seelenruhig. Und wedelte dann mit dem Schweif. Lästige Fliegen gab es auch hier unten am Kellersee. Zu dumm nur, dass, außer Mirabell, kein anderes Pferd da war um die Fliegen zu verscheuchen. Die Sonne brannte vom Himmel. Ethelbert hatte die Sonnencreme vergessen.

„Reiten wir wieder zurück zum Immenhof. Ich hab‘ Dick und Dalli doch soviel zu erzählen.“, schlug er vor. Jochen war es nur Recht. Er hielt das stundenlange Reiten langsam aber sicher nicht mehr aus.
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Kapitel 153

Beitrag von Andrea1984 »

„Typisch Ethelbert. Das kann auch nur dir passieren, dass du extra wegen der vergessenen Sonnencreme einen Ritt abbrichst.“, zog Dalli ihn gleich nach seiner Rückkehr damit auf.
„Meine Haut ist schon ganz rot.“, ging Ethelbert darauf ein. „Das gehört sich für einen „Adeligen“ wie mich doch überhaupt nicht. Vornehme Blässe ist doch viel schöner. Was meinst du dazu, Dick?“

Diese verzog das Gesicht: „Oma Jantzen ist tot, Dr. Pudlich lebt nicht mehr, der Immenhof steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Und du hast nichts Besseres zu tun, als an dein Aussehen zu denken.“
„Er hat es ja nicht so gemeint.“, nahm Dalli ihren Cousin sogleich in Schutz. „Du kennst doch Ethelbert. Sieh‘ das doch nicht so eng, Dick. Und gönn‘ dir doch auch einmal eine Pause.“

„Wenn ich nicht wäre, würde das alles hier zusammenbrechen.“, seufzte Dick. Sorgenfalten erschienen auf ihrer Stirn. „Ein Glück, dass ich die Tagesschule nun endlich abgeschlossen habe. Und etwas von Buchhaltung und Hauswirtschaft verstehe. So kann ich Ralf bei seinen Arbeiten zur Seite stehen, wann immer er mich braucht. Doch am Ende vom Geld ist immer soviel Monat übrig.“

Ethelbert blickte betroffen von Dalli zu Dick und weiter zu Jochen. „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich gar nicht erst angekommen. Steht es wirklich so schlimm um den Immenhof und euch hier?“
„Noch schlimmer.“, bestätigte Dick. „Wir müssen zusammenhalten, so gut es geht. Doch leicht fällt mir das nicht. Erst gestern hab‘ ich mir gedacht, warum tue ich mir das alles eigentlich an. Es ist sinnlos.“

Die Unterhaltung fand im Pferdestall statt. Einst hatten dort bis zu einem Dutzend Pferde gestanden, nun bewohnten nur mehr Mirabell und Schneewittchen die Boxen. Jochen sattelte die Pferde ab. Und räumte das Sattelzeug und die Trensen weg. Seine Bewegungen wirkten schleppend. Jochen hatte viel Kraft und Energie in den letzten Jahren eingebüßte. Er wollte nur noch weg vom Immenhof.

Dalli zupfte einen Strohhalm aus dem Heuballen, welcher in einer der leeren Boxen lag, und kaute gedankenverloren darauf herum: „Wenn es so weiter geht, müssen wir auch noch Mirabell und Schneewittchen hergeben. Mir ist früher nie bewusst geworden, wie teuer Pferde eigentlich sind.“
„Jochen hört das natürlich gar nicht gerne.“, setzte Dick hinzu. „Aber wir haben keine andere Wahl.“

Ethelbert lehnte sich an eine Box. Auf dem vergilbten Namensschild konnte man gerade noch das Wort „Rosi“ lesen. Rosi war die große Schwester von Schneewittchen gewesen. Und vor knapp einem Jahr verkauft worden. Viel Geld hatte Rosi allerdings nicht eingebracht. Sie war eben schließlich nicht mehr die jüngste gewesen. Und ihr Kunststück „Hüfchen geben“ beeindruckte niemanden mehr.

„Meine Eltern haben genug Geld. Vielleicht, wenn ich sie darum bitte, euch etwas zu leihen. Auf dem Bankweg, mit Zinsen, versteht sich.“, begann Ethelbert zögernd. Doch er brach seine Idee ab.
„Almosen nehmen wir keine an.“, erwiderte Dick schroffer als beabsichtigt. „Schon gar nicht von dir. Ralf verdient anständig als Graphiker. Es kommen ab und zu noch Kunden auf den Immenhof.“

Dalli spukte den Strohhalm aus und meinte traurig: „Ja, aber leider zu wenige. Alle paar Wochen ein Kunde, das reicht längst nicht mehr. Ralf kann wirklich gut malen. Dr. Westkamp betont das immer.“
„Lass‘ uns ins Haus gehen.“, kam es von Dicks Lippen. „Hier im Stall bekomm‘ ich nur Depressionen.“
Im Hinausgehen steckte Ethelbert seiner Stute noch rasch, heimlich ein zweites Stück Zucker zu.

Dick und Dalli setzten sich auf die Stufen und blickten hinüber auf die Terrasse, wo sich einst die Feriengäste getummelt und die Kinder um die Ponys gestritten hatten. Das alles war nun schon lange her. Jochen hielt sich vermutlich im Haus auf. Er kannte die Litanei von Dick schon in – und auswendig. Es kamen auch keine Reitschülerinnen mehr. Jochen war uninteressant geworden.

Ralf holte rasch seine Staffelei und seinen Pinsel: „Das Porträt muss ich festhalten. Vielleicht bringt es ja einige neue Gäste für uns. Ich weiß auch schon einen Titel: „Junges Leben auf Immenhof.“
Dick und Dalli hielten geduldig still. Sie kannten Ralf inzwischen sehr genau. Und wussten nur allzu gut, je ruhiger sie jetzt saßen, desto rascher wurde die Arbeit an dem aufwendigen Porträt beendet.

Es wurde sehr farbenfroh. Dennoch konnte es nicht über die trüben Blicke von Dick und Dalli hinwegtäuschen. Ralf ließ es einrahmen. Und hängte es über dem Kamin im Wohnzimmer auf. Dr. Westkamp gab ihm telephonisch zu verstehen, dass das Porträt zwar sehr gut gelungen, aber jedoch unverkäuflich sei: „Zwei junge Frauen einsam auf den Stufen sitzend. Damit locken Sie doch keinen Hund hinter dem Ofen hervor. Diese Bild kauft Ihnen niemand ab. Schöne Grüße an Ihre Gattin.“
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Kapitel 154

Beitrag von Andrea1984 »

Ralf legte den Telephonhörer wieder auf: „Was hältst du von einem Spaziergang, Dick?“
„Das ist eine gute Idee. Hier fällt mir ja doch nur die Decke auf den Kopf. Lass‘ uns zum Friedhof gehen. Dort können wir für Oma, Margot und die anderen je eine Kerze anzünden. Wir sind schon so lange nicht mehr dort gewesen. Komm‘ doch mit, Ethelbert. Oder möchtest du lieber hier bleiben?“

Ethelbert hatte keine Einwände. Zu dritt schlenderten sie Richtung Friedhof. Dalli weigerte sich mitzugehen. Und Jochen lehnte ebenfalls ab: „Ich kann auch so an Angela und Margot denken.“
Um die Gräber kümmerte sich zwar die Friedhofsverwaltung. Dennoch sah Dick mehrmals in der Woche persönlich am Friedhof vorbei, um die Blumen zu gießen und eine neue Kerze anzuzünden.

Ethelbert murmelte halblaut die Namen, welche auf dem Grabstein eingraviert standen:

„Marie Jantzen – 04. 11. 1902 – 04. 11. 1902
Elisabeth Jantzen – 08. 08. 1907 – 27. 11. 1908
Erwin Jantzen – 25. 03. 1878 – 01. 09. 1937
Anna Voss – 15. 08. 1911 – 02. 02. 1944
Henriette Jantzen - 09. 10. 1880 – 08. 07. 1961“

Auf dem Grabstein rechts daneben waren folgende Namen zu lesen:
„Angela von Roth – 04. 04. 1929 – 06. 12. 1955
Margot von Roth – 09. 12. 1927 – 02 . 07. 1959
Karl Jochen von Roth – 02. 07. 1959 – 02. 07. 1959“

Dick kämpfte mit den Tränen und lehnte sich an Ralfs Schulter. Ethelbert zupfte ein Büschel Unkraut aus, welches schon an dem Grabstein entlang wuchs. Ralf goss die Blumen und hätte beinahe das Wasser verschüttet. Ethelbert erkundigte sich zögernd: „Wo liegt Dr. Pudlich begraben? Ich sehe seinen Namen hier nirgends. Du hast mir doch geschrieben, dass er neben Oma Jantzen liegt.“

„Das Grab ist vor einigen Jahren aufgelöst worden.“, antwortete Dick. „Es hat sich niemand darum gekümmert sprich die jährlich anfallenden Kosten bezahlt. Und so ist die Frist eines Tages abgelaufen. Wo Dr. Pudlich nun seine letzte Ruhestätte gefunden hat, weiß ich leider nicht.“
Ralf brachte die Gießkanne in die Nähe der Kapelle zurück. Der Kies unter seinen Füßen knirschte.

„Woran ist Angela damals gestorben? Ich hab‘ das nicht so recht mitbekommen. Es ist alles viel zu schnell gegangen.“ Hastig biss sich Ethelbert auf die Lippen. Gehörte sich diese Frage wirklich?
Dick wischte sich die Tränen von den Wangen: „Früher oder später hättest du es ja doch erfahren. Angela ist damals im Herbst 1955 an einer Bronchitis erkrankt. Und hat sich nicht mehr davon erholt.“

Ralf kehrte wieder zum Grab der Familie Jantzen zurück. Dick putzte sich hastig die Nase. Ethelbert blickte zu Boden. Und faltete seine Hände für ein Gebet. In der Ferne läutete eine Glocke, aber niemand achtete darauf. Als das Läuten verstummt war, ergriff Ralf das Wort: „Jochen geht nie hierher. Das finde ich schade, doch wir können ihn nicht dazu überreden. Es ist wohl besser so.“

„Jochen will nur weg. Er betont immer wieder, dass ihn nichts mehr hält. Wenn sich doch nur ein Käufer für Mirabell finden würde – dann könnte er seine Sachen packen und gehen.“, ergänzte Dick.
Ethelbert blickte entsetzt drein: „Vielleicht sollte ich mal mit Jochen reden? Immerhin hat er mir früher auch geholfen. Andererseits, was verstehe ich denn schon von seinen Sorgen, die ihn bedrücken.“

„Versuch‘ es zumindest. Mehr als dich zur Schnecke machen, kann Jochen nicht.“, meinte Dick. „Er wirkt auch müde in letzter Zeit. Das ist dir doch bestimmt auch schon aufgefallen. Jochen hat viel Kraft seit damals eingebüßt. Zu dem ist er nicht mehr der jüngste. Das Rheuma plagt ihn immer wieder.“
Ethelbert schluckte, doch er antwortete nichts darauf. Die guten, alten Zeiten waren endgültig vorbei.

„Ich hab‘ noch ein Hiobsbotschaft für euch.“, verriet Ethelbert, allerdings schon außerhalb des Friedhofs. „Und sitze ziemlich tief in der Tinte. Wie soll ich da nur wieder herauskommen?“
„Ist etwas mit deinen Eltern?“, erkundigte sich Ralf mehr aus Höflichkeit, denn aus wahrem Interesse.
„Denen geht es gut. Sie genießen ihren Lebensabend. Und verreisen häufig. Ich sehe sie selten.“

„Warte noch eine Weile, dann kannst du Dalli auch davon erzählen. Sie ist bestimmt neugierig darauf, was du uns berichtest.“, schlug Dick vor. „Wir sind ja gleich wieder auf dem Immenhof angelangt.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Di 03.Nov.2015 9:02, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 155

Beitrag von Andrea1984 »

Nach dem Kaffetrinken ging Dalli rasch nach oben um Ethelberts Bett frisch zu überziehen. Ethelbert folgte ihr, fast wie ein Schatten und meinte dann verlegen: „Dass ihr daran noch gedacht habt.“
„Du bist uns immer willkommen, das weißt du. Auch wenn es im Augenblick nicht so rosig aussieht.“, antwortete Dalli und steckte das Leintuch fest. „Hier hilf‘ mir doch mal mit dem Kopfkissen, ja.“

Ethelbert nahm es unschlüssig in die Hand: „Ach übrigens, was ich noch sagen wollte: Herzlichen Glückwunsch zum bestandenen Abitur. Nun hast du es endlich geschafft. Ich bin stolz auf dich.“
„Das ist doch nichts besonderes.“, meinte Dalli und errötete. „Ich hab‘ mich zum ersten Mal in meinem Leben auf den Hosenboden gesetzt und etwas gelernt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.“

Ethelbert überzog das Kopfkissen neu. Dann packte er seinen Koffer aus. Und hängte die mitgebrachten Hemden und Jeans in den Schrank. Dalli breitete eine Tagesdecke über das Bett: „Nun sieht es doch gleich viel gemütlicher hier aus. Ich gehe dann mal wieder nach unten. Wo das Bad ist, weißt du ja noch. Es hat sich nichts verändert seit damals. Und wir haben fließendes Wasser.“

Nach den vielen Wochen in der hektischen Großstadt genoss Ethelbert die Ruhe auf dem Land. Hier auf dem Immenhof war es ihm hingegen beinahe zu ruhig. Jochen hatte eine schwermütige Miene aufgesetzt, Dick sah ständig aus, als wolle sie in Tränen ausbrechen. Selbst Ralf und Dalli, die beide doch sonst so optimistisch waren, schafften es nicht mehr eine fröhliche Stimmung aufzubringen.

Ethelbert blickte aus dem Fenster. Und bildete sich ein, das Schnauben der Ponys und das Reden der Gäste deutlich zu hören. Ein kleiner Junge von etwa fünf Jahren lachte, als er auf eines der Ponys gehoben wurde: „Guck mal Vati, wie gut ich schon reiten kann. Ist das schön hier auf dem Immenhof.“
Bei dem Pony handelte es sich, auch das erkannte Ethelbert gut, um seine Stute Schneewittchen.

„Träumst du Ethelbert?“, diesmal war es Dick, welche ihn aus seinen Gedanken riss. „Das Abendessen ist schon fertig. Ich hab‘ schon dreimal angeklopft. Warum antwortest du nicht?“
Ethelbert wirbelte herum: „Ja ist gut. Ich komme. Du hast recht. Ich hab‘ an früher gedacht. Und muss dabei doch tatsächlich eingeschlafen sein. Was, ist es tatsächlich jetzt sieben Uhr abends?“

Dick stieg als erste die Treppen hinunter. Ethelbert wusch sich noch rasch im Badezimmer die Hände: „Ich hab‘ tatsächlich geschlafen. Nicht zu fassen. Normalerweise passiert mir das nie. Ich werde alt.“
Sein Magen knurrte. Ja, es war Zeit für eine anständige Mahlzeit. Ethelbert ging einfach den Düften nach und landete im Wohnzimmer. Dort warteten schon Dick, Dalli, Ralf und Jochen auf ihn.

Dalli hielt ihm den Brotkorb unter die Nase: „Hier, das ist für dich. Such‘ dir ein Stück aus.“
„Kein Wunder, dass du das Studium abgebrochen hast.“, neckte Ralf, welcher am oberen Tischende saß. „Wenn du jeden Nachmittag so tief und fest geschlafen hast wundert mich da nichts mehr.“
Ethelbert wurde rot bis unter die Stirn: „Was verstehst du denn schon davon, was es heißt zu studieren? Du sitzt hier Tag für Tag auf deinem Hintern und kritzelst Bilder. Das ist doch keine Arbeit.“

„Nun streitet euch nicht.“, empört blickte Dick von einem zum anderen. „Wir haben im Augenblick wichtigere Probleme. Setz‘ dich Ethelbert. Und Ralf hör‘ endlich damit auf ihn damit zu ärgern. Passiert ist passiert. Du kannst doch jederzeit etwas anderes studieren, nicht wahr, Ethelbert?“
„Können schon. Doch ich möchte lieber arbeiten gehen und mein eigenes Geld verdienen.“

Das Abendessen war, verglichen mit einst im Ponyhotel, eher karg. Brot, Butter und Aufschnitt. Dazu ein Salat bestehend aus einer Knackwurst, welche in Streifen geschnitten und in Zwiebelringe eingelegt worden war. Zu Trinken gab es frischen Tee. Eine Zuckerdose und ein Milchkännchen standen auf dem Tisch. Jochen brachte nur wenige Bissen herunter. Er hatte keinen Appetit.

„Du wirst uns wohl nicht etwa krank werden?“, besorg beugte sich Dick quer über den Tisch und legte ihrem Schwager eine Hand auf die Stirn. „Hmm, Fieber ist es eher kaum. Was hast du, Jochen? Nun iss doch noch etwas. Es ist ja genug für uns alle da. Oder gibt es Probleme mit den Zähnen?“
„Meine Zähne sind ganz in Ordnung.“, murmelte Jochen in seinen nicht vorhandenen Bart.

Doch sonst zeigte er sich an diesem Abend nur wenig gesprächig. Was kümmerte es ihn, dass Ethelbert das Studium aufgeben musste und Dalli das Abitur bestanden hatte. Jochen dachte nur an eines: „Wie lange kann ich es mir noch leisten, Mirabell zu behalten. Ich muss sie hergeben, es bleibt mir nichts anderes übrig. Durch ihren Verkauf kommt vielleicht etwas Geld herein, das wäre schön.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am So 12.Jun.2011 15:34, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 156

Beitrag von Andrea1984 »

Bobby schloss behutsam die Türe des Kinderzimmers. Warum brauchten ihre Töchter immer so lange bis sie endlich eingeschlafen waren? Patrick hingegen hatte die Ruhe weg und schlief schon längst. Hasso hatte sich an diesem Abend mit einem Freund auf „ein Bier“ getroffen. Bobby war es recht. So konnte sie wenigstens ein paar Minuten verschnaufen, ohne stets an etwas denken zu müssen.

Plötzlich klopfte es an der Haustüre. Bobby ging hin und öffnete: „Dalli, komm‘ rein. Wie schön dich zu sehen. Darf ich dir etwas anbieten? Tee oder Mineralwasser? Leg‘ deinen Mantel ab und setz‘ dich.“
„Ein Tee ist ganz gut.“, meinte Dalli. Zwischen ihren Fingern hielt sie eine Zeitung. Bobby, welche gerade das Teewasser aufsetzte, achtete nicht darauf. Da stand doch eh nur Unwichtiges drinnen.

Auf den Dächern und den Bäumen lag eine dicke Schneelast. Was war auch Mitte Februar anderes zu erwarten. Bobby ging mit der Teetasse ins Wohnzimmer, wo sich Dalli auf die Couch gesetzt hatte.
„Sieh mal da, was in der Zeitung steht. Ich hab‘ sie extra für dich aufgehoben. Stine wollte sie schon in den Müll werfen.“, berichtete Dalli und warf ihre langen, blonden Locken hastig über die linke Schulter.

Bobby stellte die Teetasse auf dem Tisch ab. Und nahm dann die Zeitung zur Hand: „Was ist da?“
„Auf der anderen Seite bei den Geburtsanzeigen. Da steht ein Name dabei, der sehr bekannt ist.“
Bobby hatte nun endlich die richtige Stelle gefunden. Dalli rührte derweilen mit dem Löffel in der Teetasse: „Was sagst du dazu? Ich finde das einfach nur dreist, damit in die Öffentlichkeit zu gehen.“

„Andere Mütter tun es doch auch.“, dachte Bobby. „Die Zeitung ist schließlich für alle da.“
Bei den Geburtsanzeigen war deutlich zu lesen: Krankenhaus Malente, Sigrid Eversen, Junge. Ein Name des Kindes wurde nicht genannt. Die Zeitung trug das gestrige Datum: 21. Februar 1982.
Bobby grübelte. Wie sollte sie sich nur Dalli gegenüber verhalten? : „Weiß Billy schon Bescheid?“

„Keine Ahnung.“, antwortete Dalli zögernd und nippte dann an ihrem Tee. „Billy hat sich seit zwei Monaten nicht mehr bei mir gemeldet. Ich finde das merkwürdig. Irgendwas muss geschehen sein.“
„Wir sollten Billy auf jeden Fall darüber informieren. Ich versuche, sie gleich jetzt anzurufen.“
Die Verbindung mit München kam zwar problemlos zustande, doch Billy war nicht erreichbar.

„Als ob ich nicht schon genug Probleme hätte.“, seufzte Dalli. „Erst die Sache mit deinem Vater. Dann will Ole kürzer treten. Er ist ja schließlich nicht mehr der jüngste. Und jetzt diese Sache mit Billy.“
„Zu Weihnachten ist sie auch kaum ansprechbar gewesen.“, erinnerte sich Bobby langsam. „Was sie wohl in München erlebt hat? Vielleicht sollte ich mal mit Ethelbert darüber reden, er kennt Billy gut.“

„Mit wem hast du dann gesprochen, wenn nicht mit Ethelbert?“, wunderte sich Dalli und blickte verwirrt umher. „Ich bin davon ausgegangen, dass er am Apparat gewesen ist. Oder irre ich mich gründlich.“
Bobby erhob sich: „Nathalie, du weißt schon, die Kollegin von Billy, hat das Gespräch angenommen. Jedoch gleich wieder aufgelegt. Offenbar gibt es auf dem Gestüt derzeit viel Arbeit und wenig Ruhe.“

Im Kinderzimmer fing Patrick plötzlich zu schreien an. Bobby ging sofort hinüber, um ihn zu trösten. Gerade als sie das Licht angeknipst hatte, wachten auch Sandi und Dani auf: „Was ist los, Mutti?“
Bobby schaffte es irgendwie, ihren Kindern gerecht zu werden. Innerhalb weniger Minuten hatten sich die kleinen Zwillinge beruhigt. Und auch Patrick schlummerte nun wieder tief und sorglos.

Dalli trank derweilen im Wohnzimmer ihren Tee aus. Bobby nahm neben ihr Platz: „Uff, meine Kinder schaffen mich manchmal wirklich. Aber ich würde sie nie hergeben, nicht für alles Geld der Welt.“
„Vielleicht hätte ich dir doch helfen sollen.“, meinte Dalli und faltete die Zeitung wieder zusammen. „Von Kindern verstehe ich was. Und meine werden irgendwie viel zu schnell groß, kommt mir vor.“

„Du hast ja Stine, die dir helfen kann. Ich hingegen bin alleine.“, beklagte sich Bobby für einen Augenblick. Doch schon im nächsten Moment glitten ihre Gedanken wieder zu Billy über: „Wenn ich nur wüsste, wie ich sie erreichen kann. Ich muss ihr doch Bescheid sagen, dass wir einen neuen Bruder oder vielmehr Halbbruder bekommen haben – so unglaublich diese Nachricht auch klingt.“

„Halt, halt. Nicht so hastig. “, erwiderte Dalli und sprang auf, wie von der Tarantel gestochen. „Noch ist das alles nur eine vage Vermutung. Bislang kennen wir nur Sigrids Aussage. Dein Vater hat sich seltsamerweise noch nicht dazu geäußert. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“

Bobby biss sich auf die Lippen. Ja es stimmte. Alexander hatte sich bislang geschickt herausgehalten.
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Kapitel 157

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In diesem Augenblick befand er sich nicht an Sigrids Seite, wie sie es sich nach der Entbindung gewünscht hatte, sondern in seinem Arbeitszimmer im Forsthaus. Alexander gingen viele Gedanken durch den Kopf. Gestern am Vormittag hatten bei Sigrid die Wehen, zwei Wochen vor dem errechneten Termin, eingesetzt. Dazu war noch ein vorzeitiger Blasensprung gekommen.

„Es ist das einzig richtige gewesen. Ich habe Sigrid ins Krankenhaus gefahren.“, murmelte Alexander in seinen nicht vorhandenen Bart. „Und dort ist dann alles sehr schnell gegangen. Sogar eine der Hebammen hat gemeint, dass das sonst bei dem ersten Kind normalerweise etwas länger dauert.“
Pünktlich um 12:00 Uhr hatte dann der kleine Junge, welcher mit den schwarzen Haaren und den braunen Augen seiner Mutter sehr ähnlich sah, gesund und munter das Licht der Welt erblickt.

Alexander war bei der Entbindung nicht dabei gewesen und gleich, nachdem er Sigrid vor der Tür des Krankenhauses abgesetzt hatte, trotz des Schneetreibens wieder zurück ins Forsthaus gefahren.
„Und dann hat mich eine Hebamme angerufen. Vermutlich steht die Telephonnummer in der Krankenakte.“, setzte Alexander seine Gedankensprünge fort. „Ich bin Vater eines Sohnes. Eigentlich sollte ich mich darüber freuen. Doch andererseits bin ich auch enttäuscht. Der Sohn ist nicht von meiner Frau, sondern von meiner – ja, als was soll ich Sigrid nur bezeichnen? – Freundin.“

Im Arbeitszimmer brannte kein Licht. Nur von draußen von einer Straßenlaterne schimmerte etwas Helle herein. Alexander blickte aus dem Fenster. Er konnte nichts deutlich draußen erkennen. Plötzlich zuckte er zusammen. Sein eigenes Spiegelbild – fast wäre er davor erschrocken. Alexander wandte sich vom Fenster ab und griff nach einer frischgestopften Pfeife. Die brauchte er heute.

„Ich hab‘ Dalli sehr weh getan.“, dämmerte es ihm langsam. „Dabei wollte ich das nicht. Nun ist es zu spät. Sie wird bestimmt schon von der Geburt des Babys aus der Zeitung erfahren haben. In dieser Hinsicht kann ich Sigrid keinen Vorwurf machen. Auch andere Mütter nützen diese Möglichkeit. Bin froh, dass der Name des Vaters nicht dabeisteht. Allmählich kommen mir Zweifel. Bin ich der Vater?“

Ein Bluttest musste her. Und zwar sobald wie möglich. Gerade als Alexander sich nun doch entschlossen hatte, ins Krankenhaus zu fahren, klingelte das Telephon: „Ja, Arkens hier.“
„Gut, dass du noch zu erreichen bist, Vati.“, erklang es hastig von Bobbys Lippen. „Was sagst du dazu, dass die Geburt des Babys in der Zeitung steht? Ja, ich weiß darüber Bescheid. Dalli sitzt gerade neben mir. Und hat mir die Zeitung mitgebracht. Du musst sofort etwas unternehmen.“

Alexander antwortete: „Ja, das habe ich auch vor. Ich fahre ins Krankenhaus. Und lasse dort gleich einen Bluttest machen. Noch ist ja nicht sicher, ob ich tatsächlich der Vater des Babys bin.“
„Uff, das finde ich prima.“, zeigte sich Bobby erleichtert. „Dann drück‘ ich dir die Daumen, dass das Ergebnis negativ ausfällt. Also für dich negativ. Kann ich dich noch kurz was anderes fragen?“

Alexander schlüpfte in den Mantel und die Stiefeln: „Ja, worum geht es denn nun noch?“
„Hast du von Billy in den letzten Wochen etwas gehört oder gelesen? Ich mach‘ mir Sorgen.“
Alexander nahm nun wieder hinter dem Schreibtisch Platz: „Leider nicht. Billy wird sich schon bei mir melden. Zumindest hoffe ich das. Vermutlich ist sie sauer auf mich, wegen der Sache mit Sigrid.“

„Das glaube ich nicht.“, ergriff nun Dalli das Wort und nahm nun Bobby den Hörer aus der Hand. „Können wir bitte jetzt über alles reden, sobald du aus dem Krankenhaus wieder zurück bist?“
Alexander war verblüfft darüber, dass Dalli seit Monaten wieder mit ihm sprach: „Ja ist gut.“
Dann legte er geradezu hastig den Hörer auf. Und begab sich auf den Weg Richtung Krankenhaus.

Nach einem kurzen Gespräch mit dem diensthabenden Arzt, ließ Alexander mit zusammengebissenen Zähnen das Blutabnehmen über sich ergehen. Alles kam jetzt auf diese winzige Menge an.
„Ich muss noch mit Fräulein Eversen sprechen. Ohne ihr Einverständnis kann dem Kind die Blutprobe nicht entnommen werden. Das ist Ihnen doch bewusst, Herr Arkens.“, vergewisserte sich der Arzt.

Eine Hebamme betrat den Raum. Der Arzt schickte sie sogleich wieder weg: „Reden Sie bitte mit Fräulein Eversen. Die Blutprobe ist in diesem Fall mehr als wichtig. Sollte sich Fräulein Eversen danach erkundigen, weshalb wir die Blutprobe gerade jetzt brauchen, erfinden Sie eine glaubwürdige Ausrede. Die Wahrheit ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststellbar. Und beeilen Sie sich damit.“

Alexander blickte auf die Uhr. Das Warten zehrte an seinen Nerven. Leider war Rauchen verboten.
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Kapitel 158

Beitrag von Andrea1984 »

Dafür an einem anderen Ort durchaus erlaubt: Nämlich in Ralfs Büro. Er hatte sich nun endlich, nach vielen Mühen und Plagen, selbständig gemacht. Dick arbeitete ebenfalls in der Firma. Und stand ihm stets mit Rat und Tat zur Seite. Viel Gewinn warf die Firma nicht, doch es reichte zum Leben. Ralf war froh, endlich wieder in seinem erlernten Beruf arbeiten zu können. Er strahlte über das ganze Gesicht.

„Machen wir doch heute ausnahmsweise früher Feierabend. Es kommen ja doch keine Kunden mehr.“, pflegte Ralf oftmals zu sagen. Dick fügte sich seinen Wünschen. Gemeinsam unternahmen sie Ausflüge in der näheren Umgebung von Lübeck. Oder besuchten Ralfs Vater im Altersheim. Die Kinder waren inzwischen erwachsen und nabelten sich langsam aber doch aus dem Elternhaus ab.

Rafe zählte inzwischen fast 19 Lenze. Er galt in dem Abi Leistungskurs, welchen er derzeit besuchte, als der Schwarm aller Mädchen. Und brachte gelegentlich die eine oder die andere Freundin sogar mit nach Hause. Seine Eltern sahen das zwar nicht sonderlich gerne. Aber sie konnten Rafe keine Vorschriften mehr machen. Er war volljährig, auch wenn er sich manchmal noch sehr kindisch verhielt. So wie neulich, als er dem aufsichtsführenden Lehrer einen harmlosen Streich gespielt hatte. Das gehörte sich in diesem Alter wohl eher kaum. Ralf nahm die Bestrafung allerdings gleichgültig auf.

Anna kümmerte sich, wie damals in Kanada, wenig darum, ob ihre Schulleistungen nun gut oder schlecht waren. Sie zog stattdessen lieber mit ihren Freundinnen „um die Häuser“, wie das Fortgehen bezeichnete. Und trank auch gerne mal einen über den Durst. Mit ihren 17 Jahren fand sie nun wirklich nichts Verwerfliches dabei. Doch Ralf und Dick behielten sie trotzdem lieber im Auge. In der Großstadt konnte ja alles Mögliche passieren, wenn ein junges Mädchen in der Nacht unterwegs war.

Margot, inzwischen 15 Jahre, war nach wie vor sehr zurückhaltend. Ihre Leistungen in der Schule lagen im Mittelfeld. Doch in einer Sache überflügelte Margot alle anderen: Nämlich in dem Kurs für Klarinettenmusik, den sie an der Volkshochschule besuchte. Jedes Jahr – einmal im Sommer und einmal kurz vor Weihnachten – wurden öffentliche Konzerte der Musikhochschule gegeben. Margot war es einerseits peinlich im Mittelpunkt zu stehen, doch andererseits reichte ihr Talent inzwischen dazu aus, ein Solo vorzuführen. Das Publikum war begeistert. Besonders applaudierten Dick und Ralf.

Sie hatten sich extra an diesen Abend frei genommen um das Konzert anzuschauen. Rafe behauptete, er müsse für das Abitur lernen und könne daher nicht mitkommen. Anna traf sich just an zur gleichen Zeit mit ihrem damaligen „Verehrer“ – wie sie ihn nannte – Philipp und zwar im Kino. Inzwischen lag das Konzert schon mehr als zwei Monate zurück. Margot übte jeden Tag eifrig.

Sie ließ sich nicht von den Hänseleien ihrer Geschwister ablenken, sondern ging zielstrebig ihren eigenen Weg. Dick beobachtete ihre jüngste Tochter und zeigte sich ob dieser Entwicklung erstaunt. „Wer hätte das gedacht. Ich bin stolz darauf, dass Margot langsam aus dem Schatten von Rafe und Anna heraustritt. Auch wenn ich es nie und nimmer offen zugeben würde“, dachte sie neuerdings.

Peng. Jemand knallte einen Aktenordner auf den Schreibtisch: „Träumst du? Wir müssen diese Bestellungen noch heute abgearbeitet haben. Du weißt genau, wie ungeduldig manche Kunden sind.“
Dick schlug den Ordner auf: „Ja, ich gebe mein bestes. Apropos Bestellungen. Ist die Zeichnung für Frau Brunner schon fertig? Sie wollte unbedingt eine Zeichnung von ihrem Sohn von dir haben.“

Ralf nahm gegenüber seiner Frau Platz und griff zum Zeichenblock: „Gut, dass du mich daran erinnerst. Wenn ich dich nicht hätte, wären mir einige gute Aufträge durch die Lappen gegangen.“
Dick widmete sich den vorgefertigten Bestellungen. Manche Kunden wollten nur eine schlichte schwarz-weiß Zeichnung, andere dagegen ein aufwendiges Porträt der gesamten, großen Familie.

Dick nahm die Bestellungen entweder über den Postweg oder telephonisch auf. Und leitete sie dann an Ralf weiter. Dieser führte die Aufträge gewissenhaft aus. Eine lange Lieferzeit gab es nicht. Wenn die Kunden selbst aus Lübeck oder der Umgebung waren, brachte Ralf die fertigen Zeichnungen nach Feierabend persönlich bei den Kunden vorbei und ersparte sich auf diese Weise das hohe Porto.

Die Firma stand inzwischen auch im Telephonbuch. Im Augenblick gab es allerdings Probleme mit der Verbindung. Woran das lag, konnte Ralf nicht so genau feststellen. Vermutlich lag es an dem stürmischen Winter. Im Garten des Gebäudes, in welchem die Firma untergebracht war, stand ein Vogelhaus. Täglich kamen die Vögel vorbei und taten sich an dem für sie ausgelegten Futter gütlich. Ein Eichhörnchen kratzte mit den Pfoten den Schnee auf: Wo war das sorgfältig angelegte Versteck?
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Kapitel 159

Beitrag von Andrea1984 »

Nach der Arbeit ging Ralf noch rasch auf ein Bier. Dick machte sich keine Sorgen. Ralf hatte ihr versprochen, seinen Alkoholkonsum weitestgehend einzuschränken. Und sie vertraute ihm. Der Weg von der Firma bis zur Wohnung war nicht allzu weit. Dick hatte daher keine Gelegenheit über alles in Ruhe nachzudenken. Erst die Fehlgeburt. Und dann auch noch der Streit mit Ralf. Musste das sein?

In einer Sache waren sich Dick und Ralf einig. Die Kinder brauchten von der Fehlgeburt nichts zu wissen. Außerdem hatten sie ebenfalls ihre Geheimnisse vor den Eltern, somit ging das schon in Ordnung. Dick konnte durchaus noch weitere Kinder bekommen, aber sie wollte nun keine mehr: „Ich hab‘ genug zu Hause und im Beruf zu tun. Ein viertes Kind wäre da nur eine Belastung für mich.“

Nicht, dass Dick eine Glucke gewesen wäre und ihre Kinder immer und überall am Gängelband mit sich führte. Aber sie musste nun lernen loszulassen. Es gab durchaus Situationen, in denen Rafe, Anna und Margot durchaus noch die Nähe ihrer Eltern suchten, wenn es sich um spezielle Probleme handelte, die sich nicht so einfach beheben ließen, wie es auf den ersten Blick ausgesehen hatte.

Dick sollte eigentlich zufrieden mit ihrem Leben sein: Vieles hatte sie ja schon erreicht. Einen treuen, fürsorglichen Mann, drei – wie die Bekannten und Freunde immer sagten – „reizende“ Kinder – eine sichere Arbeit. Was wollte Dick da noch mehr. Nun ja, das stimmte. Aber Dick war nicht glücklich in ihrem Leben. Oft dachte sie, besonders in schlaflosen Nächten an die sorglosen Sommer auf dem Immenhof zurück. Gewiss, es existierten zahlreiche Briefe, Postkarten – von ehemaligen Gästen – und Photos. Aber viele schöne und traurige Eindrücke ließen sich auf diese Weise nicht festhalten.

Nach außen hin gab sich Dick heiter und sorglos. Doch was in ihrem Inneren vorging, erfuhr niemand. Zwar lag die Fehlgeburt nun schon einige Wochen zurück, aber Dick konnte diese nicht so rasch vergessen: „Ich wünsche keiner Frau diese Schmerzen, welche ich an jenem Tag erlitten habe.“
Dick war sich im Klaren darüber, dass die im ersten Zorn ausgesprochenen Vorwürfe an Ralf sinnlos gewesen waren. Er konnte ja nun wirklich nichts dafür. Dick hatte lange gebraucht, um sich bei Ralf zu entschuldigen. In Ruhe redeten sie immer wieder über alles. Und schworen sich, dass es nie wieder so weit kommen sollte. „Ich bin für dich da, in guten wie in schlechten Zeiten.“, bestätigte Ralf fest.

Dick musste sich diesen Schwur immer wieder in Gedanken vorsagen, sonst hätte sie wohl nicht so einfach daran geglaubt. Tief in ihrem Inneren war da immer noch der Glaube, was wäre wenn Ralf sich wohl ähnlich verhalten würde, wie Alexander. „Nicht nur fremdgehen, sondern obendrein auch noch ein Kind mit einer anderen Frau.“, daran musste Dick denken, als sie am Abend entspannt in der Badewanne lag und ihren Emotionen freien Lauf ließ. Ein Duft nach Rosen strömte durch den Raum.

Der Badezimmerspiegel war beschlagen. Auf dem Fußboden lagen die Jeans und der Pullover, welchen Dick heute in der Arbeit getragen hatte. Die Badewanne war bis zum Rand mit dampfendem Wasser gefüllt. Vorsichtig nahm Dick das kleine Fläschchen mit dem Badesalz, öffnete es und gab ein paar Tropfen davon ins Wasser. „Das tut gut. Ich hätte sowas schon viel früher machen sollen.“

An diesem Abend hatte Dick allerdings auf etwas Entscheidendes vergessen. Nämlich das Abschließen der Badezimmertüre. Die Kinder respektieren es, wenn sich ihre Eltern im Bad aufhielten – umgekehrt war es genauso – und wussten, dass sie diesen Raum dann auf keinen Fall betreten durften. Diskretion hatte Dick ihren Kindern schon früh beigebracht und das auch selbst eingehalten.

Plötzlich wurde die Türklinke heruntergedrückt. Dick runzelte die Stirn: „Draußenbleiben!“
„Bist du dir ganz sicher?“, erkundigte sich eine nur allzu vertraute Stimme. Dick räkelte sich genüsslich in der Badewanne. Ralf trat ein. Und setzte sich auf den weißen Badezimmerhocker: „. Am liebsten würde ich dich jetzt sofort malen. Du siehst aus wie eine römische Göttin in der Blüte ihres Lebens.“

Dick wurde rot bis über beide Ohren. Und meinte dann sichtlich verlegen: „Solch ein nettes Kompliment hast du mir schon lange nicht mehr gemacht. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann dies das letzte Mal der Fall gewesen ist. Oder werde ich einfach nur alt?“
Ralf schloss die Badezimmertüre von innen. Und steckte den Schlüssel hinein: „Nun kann uns niemand mehr stören. Ich zieh‘ mir nur rasch mein Hemd aus. Hier ist es doch viel zu warm.“

NC 17

Dick hüllte sich in einen Bademantel und fuhr sich mit dem Kamm durch die Locken: „Das war schön.“
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Kapitel 160

Beitrag von Andrea1984 »

Zur gleichen Zeit drüben im Mädchenzimmer. Margot lag auf dem Bett und las einen spannenden Roman. Anna saß am Schreibtisch und manikürte sich die Nägel. Plötzlich zuckte sie zusammen: „Hast du das gerade auch gehört? Das Geräusch ist aus dem Badezimmer gekommen.“
Margot schüttelte erstaunt den Kopf und fragte: „Es wird wohl nichts Schlimmes geschehen sein?“

Anna legte die Nagelfeile beiseite: „Das waren unsere Eltern. Ich hab‘ das Lachen von Mutter deutlich gehört. Was auch immer da im Badezimmer geschieht, es ist unglaublich. Wie können die beiden nur.“
„Und wenn schon.“, Margot klappte das Buch zu und formte aus der oberen rechte Ecke einer Seite ein Eselsohr. Dann meinte sie gelassen:„Es geht uns nichts an, das müssen wir halt respektieren.“

„Typisch. Mir erlauben sie nicht, meinen Freund mit in die Wohnung zu bringen. Es könnte mir ja etwas dabei passieren. Aber stattdessen .... probieren sie es selbst aus. Im Badezimmer.“, Anna schüttelte sich schon bei dem Gedanken daran. „Ich werde diesen Raum wohl nie wieder betreten können, ohne an diesem Abend denken zu müssen. Dafür ist doch das Badezimmer nicht geeignet.“

„Ich weiß was.“, erwiderte Margot mit ernstem Gesicht. „Dann wäschst du dich ab morgen eben im Gästebad. Aber andererseits. Neulich ist ja Rafe‘s Freundin hier gewesen. Mehr muss ich dazu ja wohl nicht sagen. Du verstehst schon, was ich damit meine. Nun hast du die Qual der Wahl.“
Anna wandte sich verblüfft ihrer jüngeren Schwester zu: „Ich muss schon sagen, dass du oft ...“

Dann erst bemerkte sie, dass Margot lediglich einen Witz gemacht hatte. Und nickte: „Der ist nicht schlecht. Abgesehen davon hat Rafe doch keine Freundin. Oder weißt du etwas, was ich nicht weiß?“
Margot richtete sich auf und baumelte gelassen mit den Beinen: „Nö, ich weiß von nichts. Ehrlich.“
„Wer hätte das gedacht. Du schaust so unschuldig aus, hast es aber faustdick hinter den Ohren.“, lobte Anna. Und warf hastig einen Blick auf die Uhr. „Oh, es ist schon spät. Ich muss gleich los.“

„Jetzt noch? Es ist schon 22 Uhr.“, seufzte Margot. „Musst du nicht morgen früh aufstehen?“
„Du hast vergessen, dass wir morgen Samstag haben.“, erwiderte Anna schlagfertig. „Da darf ich fortgehen, solange ich will. Mutter und Vater achten ja im Augenblick eh nicht auf mich. Sollten sie fragen, wo ich bin, sag‘ irgendwas. Im Club oder im Kino oder wo auch immer. Dir fällt schon was ein.“

„Ich mach‘ mir aber wirklich Sorgen um dich.“, schmollte Margot. Und verzog dabei das Gesicht so ähnlich wie es ihre Mutter früher immer getan hatte. „Wer weiß, was in der Nacht so alles passieren kann. Manchmal wünsche ich, ich wäre so selbstbewusst und überlegen wie du. Ja wirklich.“
Anna ging hinüber zum Bett und wurschtelte ihrer jüngeren Schwester liebevoll durch die Haare.

„Das ist auch nicht so einfach, wie du es dir vorstellst. Im Gegenteil. Meine Freunde erwarten von mir immer, dass ich stets gut aufgelegt bin, niemals jammere oder klage. Und ich muss mich manchmal oft wirklich zusammenreißen, um ihnen nicht an den Kopf zu werfen: „Das was ihr da seht, das ist nur eine Seite meines Wesens. Ich brauch‘ ab und zu mal eine Schulter, an die ich mich anlehnen kann.“

Margot schwieg. Darüber hatte sie noch nie nachgedacht: „. Wenn du etwas auf dem Herzen hast, kannst du jederzeit zu mir kommen, das weißt du genau. Ich versuche, für dich dazu zu sein.“
„Das ist lieb von dir.“, meinte Anna. „So nun muss ich aber wirklich los. Wir sehen uns allerspätestens morgen früh beim Frühstück. Ich hab‘ etwas Geld bei mir und auch meine Telephonwertkarte.“

Anna schnappte sich ihre Handtasche, warf einen Blick in den Spiegel. Und verließ das Mädchenzimmer. Margot wäre zu gerne mitgegangen, doch sie war verständig genug einzusehen, dass das nicht so einfach ging. „Ich frag‘ Anna einfach das nächste Mal ob ich mitgehen darf. Und was man dazu alles beachten muss. Vielleicht nimmt sie mich ja mit. Mehr als „nein“ sagen kann sie nicht.“

Margot lauschte noch eine Weile. Doch sie war zu müde, um die Geräusche, welche aus dem Badezimmer drangen, genauer erkennen zu können. Plötzlich erklang das Rauschen eines Föhnes. Margot presste sich die Hand auf die Ohren: „Wie soll ich denn bei diesem Lärm schlafen können?“
Jemand ging in der Wohnung herum. Margot konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte.

Und war schon bald darauf tief und fest eingeschlafen. Sie hatte ehrlich gesagt, etwas Besseres zu tun, als darüber nachzudenken, was vorhin im Badezimmer so laut zwischen den Eltern vor sich gegangen war. Und konnte sich zu diesem Zeitpunkt jedenfalls, beim besten Willen, nicht vorstellen, jemals selbst so etwas in dieser Richtung zu tun. Weder im Wachen und schon gar nicht im Traum.
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Kapitel 161

Beitrag von Andrea1984 »

Auch Rafe hatte natürlich mitbekommen, was mit seinen Eltern im Badezimmer geschehen war. Doch er maßte sich kein Urteil darüber an. Das stand ihm nicht zu. Zudem hatte Rafe im Augenblick wichtigere – wie er es sah – Probleme. Sie betrafen weniger das Abitur, sondern etwas anderes. Rafe vertraute, im Gegensatz zu seinen Schwestern, niemandem so leichtfertig seine Probleme an.

Erst kürzlich hatte Anja, eine Klassenkameradin, mit ihm Schluss gemacht. Sie warf ihm vor, er denke nur an das Lernen und habe für sie so gar keine Zeit mehr. Rafe kam kaum dazu, sich zu rechtfertigen. In ruhigen Worten hatten Anja und er über alles gesprochen. Und waren als Freunde auseinander gegangen. Rafe wusste genau, dass Anja schon bald einen Neuen finden würde.

„Doch es lässt mir keine Ruhe.“, murmelte er am Fenster stehend in seinen nicht vorhandenen Bart. „Warum hat sich Anja von mir getrennt? Ich bin oft bei ihr zu Besuch gewesen. Oder habe sie hierher mitgenommen. Wir sind gemeinsam ins Kino und ins Theater gegangen. Und haben dabei immer viel Spaß gehabt. Irgendetwas stimmt da nicht. Doch ich bekomme heraus, was wirklich geschehen ist.“

Rafe hatte inzwischen ein eigenes Telephon. Und starrte wie ein hypnotisiertes Kaninchen darauf: „Bitte ruf‘ doch an. Du kennst doch meine Nummer. Ich bin zu Hause. Worauf wartest du noch?“
Aber nichts rührte sich. Rafe sah nach, ob auch das Telephonkabel angeschlossen worden war. Er selbst konnte Anja nicht anrufen. Sie hatte ihm ihre Telephonnummer hartnäckig verschwiegen.

Rafe machte sich im Nachhinein Vorwürfe. Hätte er doch nur nach der Telephonnummer gefragt. Aber nun war es zu spät. Rafe kam schon bald auf eine weitere Idee: Einfach im Telephonbuch nachschauen. Doch Anja trug einen sehr häufigen Familiennamen. Und außerdem, wer sagte, dass ihre Eltern im Telephonbuch standen? Rafe war nun genauso ratlos wie eine halbe Stunde zuvor.

Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte es, dass es inzwischen auch zu spät war, um noch fortgehen zu können. Die Vorstellungen im Kino und im Theater hatten schon längst begonnen. In einer Disco war es umgekehrt. Da wurde es zumeist erst ab Mitternacht so richtig interessant und lustig. Rafe ging hinüber in die Küche, um sich noch ein Glas Wasser zu holen. Dort fand er seine Mutter vor, die am Tisch saß und einer Tageszeitung blätterte: „Du bist heute zu Hause, Rafe? Was ist los mit dir?“

„Ach nichts.“, erwiderte Rafe hastig. „Mir geht’s gut. Ich hab‘ einige Stunden gelernt. Und bin nun müde, kann aber nur schwer einschlafen. Vielleicht hilft ja ein Glas Wasser dagegen, was meinst du?“
„Wenn schon, dann nur in Kombination mit einer Schlaftablette drinnen.“, meinte Dick. „Du siehst blass aus. Und hast dunkle Ringe um die Augen. Irgendetwas bedrückt dich doch. Ich sehe es dir an.“

Rafe nippte an dem Wasser: „Vielleicht hab‘ ich in der letzten Zeit einfach nur zuviel gelernt.“
„Nun geh‘ schon ins Bett.“, forderte Dick ihren Sohn liebevoll auf. „Sonst bist du morgen früh erst recht nicht ausgeschlafen. Und kannst dich dann nur noch schwerer auf den Lehrstoff konzentrieren.“
Rafe gähnte: „Du hast Recht. Ich sollte wohl einfach Schäfchen zählen. Gute Nacht, Mutter.“

„Gute Nacht, Rafe.“, erwiderte Dick. Und legte die Zeitung beiseite. Es war schon spät geworden. Dick verließ die Küche. Und ging ins Schlafzimmer, wo Ralf schon auf sie wartete. Er lag schnarchend im Bett. Dick schlüpfte unter die Bettdecke und dachte: „Irgendwie ist das nicht-schlafen-können ansteckend. Was hat Rafe nur für Probleme? Er tut sich schwer darüber zu reden. Was ist los.“

Es wurde spät in dieser Nacht, als Anna nach Hause kam. Weder Dick und Ralf, noch Rafe und Margot bekamen etwas davon mit. Anna kicherte immer wieder leise. Sie befand sich in männlicher Begleitung. Dieser jemand lachte ebenfalls kurz auf. Sowohl der junge Mann, als auch Anna hatten bereits eine beträchtliche Menge Alkohol intus. Wenn Dick und Ralf etwas davon mitbekommen hätten, wären sie bestimmt aufgestanden und hätte Anna die heftigsten Vorwürfe gemacht.

„Ich muss jetzt gehen.“, seufzte der junge Mann mit schwerer Zunge. „Nur wo ist die Türe?“
„Bleib‘ doch noch ein wenig. Hier ist unser Gästezimmer. Dort kannst du gerne übernachten.“
Anna öffnete die Türe. Und knipste das Licht an. Der junge Mann runzelte die Stirn: „Das Bett ist für mich viel zu kurz. Ich pass da nicht drauf. Auch gut, dann schlaf ich eben auf dem Fußboden.“

Anna huschte kurz ins Badezimmer. Und holte etwas von einem der Wäschestapel: „Hier zieh‘ das an. Der Schlafanzug gehört eigentlich meinem Bruder. Hoffentlich passt er dir. Rafe wird das verstehen.“
Der junge Mann grinste: „Da kann ich nicht mitreden. Ich hab‘ nur eine Schwester, wie du ja weißt.“
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Kapitel 162

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„Magst du einen Kaffee?“, erkundigte sich Stine, welche nähend am Küchentisch saß, bei Ole, der gerade die Küche betrat. Der Regen klatschte heftig gegen die alten, morschen Fensterscheiben.
„Den kann ich gut gebrauchen. Besonders heute, wo doch soviel zu tun gewesen ist. Allmählich wächst mir die viele Arbeit über den Kopf. Aber die Seejungfrau will ja davon nichts wissen.“

„Seit der junge gnädige Herr wieder hier eingezogen ist, benimmt sich Frau Arkens noch merkwürdiger als sonst.“, meinte Stine. Dann legte sie das Nähzeug beiseite. Und ging hinüber zum Herd. Dort stellte sie das Wasser auf. Ole ließ sich am Küchentisch nieder. Dann seufzte er laut. „Ich versteh‘ das auch nicht, warum Herr Arkens hier lebt. Dabei will er doch gar nicht mehr hier sein.“

Stine kramte in den Kästen nach der entsprechenden Kaffetasse: „Verflixt, wo ist die denn bloß?“
Ole zuckte mit den Schultern: „Dann nimmst du eben eine andere. Die ist jetzt nicht so wichtig.“
Inzwischen war ein halbes Jahr vergangen seit Alexander zurück auf den Immenhof übersiedelte. Eigentlich übersiedeln musste. Das Testament der Zarin sah es so vor. Und zwar schwarz auf weiß.

Weder Stine noch Ole wussten etwas davon. Sondern wunderten sich nur darüber, dass Alexander wieder hier war. Eigentlich stimmte das ja nicht ganz. Alexander kam oft nur noch zum Essen und zum Schlafen hierher und war den ganzen Tag unterwegs. Ob beruflich oder privat, nun in diesem Punkt waren Stine und Ole die letzten, denen Alexander von seinen hochfliegenden Plänen berichtete.

Von allen Seiten lastete Druck auf ihm: Der letzte Wille seiner Mutter, die stummen Vorwürfe Dallis Augen und die stets laut ausgesprochenen von Sigrid: „Warum bist du so selten bei Paul und mir?“
Das Ergebnis des Bluttests, kurz nach Pauls Geburt, war eindeutig. Alexander erkannte die Vaterschaft an. Was blieb ihm denn auch anderes übrig. Auch wenn er die Tat längst bereute.

In diesem Augenblick griff Ole, ohne etwas davon zu ahnen, just dieses Thema wieder auf: „Nun hat der gnädige Herr also endlich seinen Sohn. Schade eigentlich, dass nicht die Seejungfrau die Mutter ist, sondern das Fräulein Eversen. Ich gönne dem gnädigen Herrn das Glück. Zumindest, was den Sohn betrifft. Wie du ja weißt, hab‘ ich nie eigene Kinder gehabt. Leider. Es sollte wohl nicht sein.“

Stine nahm neben Ole Platz und stellte eine Tasse gefüllt mit heißem Kaffee auf den Tisch: „Hier trink, solange er warm ist. Das tut deinen alten Knochen gut. Die gnädige Frau verlangt zuviel von dir.“
Ole lächelte: „Gut, dass sich wenigstens eine um mich sorgt. Das hat schon lange keine mehr getan.“
„Die alte gnädige Frau ganz sicher nicht.“, erwiderte Stine hastig. „Und die junge jetzt ebenso wenig.“

Plötzlich klingelte etwas oder jemand. Erschrocken sprang Stine auf. Und strich ihre Schürze glatt. Bestimmt brauchte der gnädige Herr etwas von ihr. Oder die gnädige Frau. Das war auch möglich.
Im nächsten Augenblick stand Dalli schon in der Türe: „So sieht das also aus. Ich rackere mich den ganzen Tag ab. Und was tut ihr? Reden und reden und reden. Habt ihr nichts Besseres zu tun?“

Dalli war in diesen Tagen sowieso schon schlecht gelaunt. Ständig lief ihr Alexander über den Weg. Dabei wollte sie doch nur ihre Ruhe vor ihm haben. Und mied daher seine Gegenwart so gut es ging.
„Was steht zu Diensten, gnädige Frau?“, erkundigte sich Stine gewissenhaft und senkte den Blick.
Dalli warf ihr ein Bündel Wäsche zu, welches sie auf den Armen getragen hatte: „An der Bluse fehlt ein Knopf. Und in der schwarzen Reitjacke ist ein faustgroßes Loch im rechten Ärmel. Bis morgen muss das alles fertig sein. Ich brauch‘ die Sachen dringend. Hast du mich verstanden, Stine?“

Das Hausmädchen kam nicht zum Antworten. Schon hatte Dalli die Küche wieder verlassen. Ole trank hastig seinen Kaffee aus: „Ich gehe dann mal wieder in den Stall. Dort gibt es immer etwas zu tun.“
Stine besah sich die Bluse und die Reitjacke: „Die gnädige Frau geht mit ihren Sachen in der letzten Zeit doch sehr unsauber um. Ich werde mein bestes geben. Aber versprechen lässt sich nichts.“

Ole streifte sich die Stiefel wieder über, zog die alte, graue Jacke an und setzte eine Mütze auf: „Hoffentlich komm‘ ich noch trockenen Fußes hinüber. Was scheppert da draußen nur so laut?“
Stine nahm die Nähnadel zur Hand und fädelte seufzend den Faden auf: „Ich weiß es nicht. Schau‘ doch selber nach. Vermutlich ist es ein Tränkeimer, der vom Wind über den Hof gewirbelt wird.“

Ole nahm vorsichtshalber noch eine Stallaterne mit. Bei diesem trüben Wetter konnte man ja die Hand vor den Augen kaum erkennen. Andererseits, was war Mitte Oktober anders zu erwarten. Von Billy gab es noch immer kein Lebenszeichen. Auch Bobby wusste von nichts oder gab dies zumindest vor.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Di 01.Jul.2014 0:13, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 163

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„Bist du sicher?“, hakte Dalli ungläubig nach. „Irgendwie hab‘ ich den Eindruck, dass da was faul ist.“
Bobby, die an diesem Tag mit ihren Kindern für einige Stunden zu Besuch auf den Immenhof gekommen war, antwortete: „Ganz sicher. Ich hab‘ gestern mit Nathalie telephoniert. Auch sie ist ahnungslos. Und ein wenig ärgerlich dazu. Nämlich deshalb, weil sie die Arbeit alleine machen muss.“

„Ich hab‘ wenigstens Ole und Stine, die mir zur Seite stehen.“, räumte Dalli ein. „Ohne die beiden wüsste ich nicht, wie ich alles schaffen kann. Schlimm genug, dass dein Vater wieder hier wohnt.“
„Nach all dem was vorgefallen ist.“, wunderte sich auch Bobby darüber. „Was genau steckt dahinter?“
Dalli biss sich auf die Lippen. Und meinte dann nach einer Weile: „Lass‘ uns doch erst mal deine Kinder hinauf ins Kinderzimmer bringen. Dort wartet ja Chrissy schon. Sie langweilt sich sehr, seit Henny vormittags in der Schule ist. Chrissy wird sich mit deinen Kindern gewiss gut vertragen.“

Anschließend zogen sich Dalli und Bobby ins Wohnzimmer zurück. Und wollte nicht gestört werden.
Dalli orderte in der Küche frischen Tee. Erst dann war sie bereits über die Rückkehr von Alexander zu reden: „Die Zarin hat es in ihrem Testament so bestimmt. Alexander wohnt nun wieder hier. Ich kann nichts dagegen unternehmen. Weil es die Zarin bestimmt hat, bleibt mir daher keine andere Wahl.“

„Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben, dass Vati und du noch einmal im Guten zusammenkommt.“, meinte Bobby zögernd. „Auch wenn es jetzt im Augenblick vielleicht nicht danach aussieht.“
„Wie würdest du dich verhalten, wenn Hasso fremdgeht und mit einer anderen Frau ein Kind hat?“, stellte Dalli die entscheidende Frage, welche ihr schon seit ein paar Tagen auf der Zunge lag.

Bobby schwieg. Sie dachte lange darüber nach. Und kam dann zu dem Entschluss, welchen sie auch Dalli mitteilte: „Ich weiß es wirklich nicht. Und möchte mir daher auch kein Urteil darüber anmaßen.“
Stine brachte den Tee. Das Gespräch zwischen Dalli und Bobby verstummte für einen Augenblick. Oben im Kinderzimmer spielten die Kinder friedlich miteinander. Stine sah später kurz nach ihnen.

Wo Alexander steckte, interessierte weder Dalli noch Bobby. Vermutlich hielt er sich im Keller auf, wo ihm Dalli eine ehemalige Abstellkammer als Schlafraum zur Verfügung gestellt hatte. Der Dachboden war inzwischen mit allerhand Gerümpel vollgestopft, so dass kein Platz mehr für ein Bett oder ähnliches blieb. Alexander musste zähneknirschend mit der Abstellkammer vorlieb nehmen. Und ärgerte sich oftmals darüber. Seine Mutter hatte zwar einerseits in ihrem Testament festgelegt, dass er wieder auf dem Immenhof wohnen durfte, ihm jedoch andererseits kein festes Zimmer zugesagt.

Das ehemalige Zimmer der Zarin wurde aus Pietätsgründen nicht mehr genutzt. Und war nun abgeschlossen. Gelegentlich kümmerte sich Stine darum, in dem sie Staub wischte und das Fenster zum Lüften öffnete. Aber das kam nur alle paar Wochen gelegentlich vor. Stine hatte Angst. Sie glaubte nämlich fest daran, dass der Geist der Zarin auf dem Immenhof spukte und keine Ruhe fand.

Dalli hielt nur wenig von dem „Aberglauben“, doch sie ließ das treue Hausmädchen in Ruhe. Im Augenblick gab es genug andere Probleme. Zunächst einmal, dass Billy schon länger nichts mehr von sich hören oder schreiben hatte lassen. Niemand kannte den Grund dafür. Und dann war da noch die Sache mit Sigrid. Alexander traf sich zwar selten mit ihr, doch er konnte sie einfach nicht vergessen.

Während Dalli und Bobby im warmen Wohnzimmer miteinander plauderten, die Kinder im ebenfalls gut geheizten Kinderzimmer spielten und Stine emsig hin und her eilte, saß Alexander in der Abstellkammer. Es schien ihm wie eine Gefängniszelle, wo nur der Wärter den Schlüssel besaß. Doch das stimmte nicht ganz. Alexander konnte sich durchaus im ganzen Haus frei bewegen. Nur die Mahlzeiten musste er in der Abstellkammer einnehmen. Dalli weigerte sich hartnäckig, mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Und auch sonst ging sie ihm soweit wie nur irgendwie möglich aus dem Weg.

„Wenn ich meine Tat nur ungeschehen machen könnte.“, murmelte Alexander in seinen nicht vorhandenen Bart. „Aber dafür ist es nun zu spät. Ich hab‘ einmal nicht aufgepasst. Nun muss ich mit den Folgen dieser Tat leben. Sigrid hat nun weniger Zeit für mich, seit das Baby – eigentlich sollte ich wohl sagen unser Baby – auf der Welt ist. Und möchte auch bald wieder arbeiten gehen. Nur wer kümmert sich dann um den Jungen? Sigrids Vater ist viel zu alt. Er kann nicht mit Kinder umgehen.“

Sigrid erwähnte ihre Mutter nicht. Irgendetwas musste einst im Haus Eversen vorgefallen sein, über das selbst Alexander nichts informiert war. Das wollte wahrlich etwas heißen. Sonst hatte Sigrid ihm doch beinahe jedes Detail aus ihrem Leben anvertraut. Nur über ihre Mutter schwieg sie stets kühl.
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Andrea1984
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Kapitel 164

Beitrag von Andrea1984 »

„Ach Vater, wärst du so lieb heute Abend ....“, begann Sigrid, wurde jedoch jäh unterbrochen.
„.... auf Paul achtzugeben.“, ergänzte Herr Eversen schmunzelnd, welcher in seinem Lehnstuhl saß und die Füße von sich streckte. „Das wäre ja nicht das erste Mal, dass du mich um diesen Gefallen bittest. Nun lauf schon. Ich kümmere mich gerne um Paul. Er ist wirklich pflegeleicht. Viel Spaß.“

Schon war Sigrid über alle Berge. Herr Eversen legte die Zeitung beiseite. Und begab sich hinüber in das Arbeitszimmer. Dort stand die Wiege des kleinen Paul, welcher inzwischen ein halbes Jahr zählte. Herr Eversen verstand es gut, mit Kindern umzugehen. Hatte er doch Sigrid damals mehr oder weniger alleine aufgezogen, nachdem seine Frau ihm, kurz nach Sigrids Geburt, davongelaufen war.

„Vielleicht kommt deine Großmutter eines Tages zu Besuch.“, murmelte Herr Eversen während er sich über seinen Enkel beugte. „Ja, sie weiß Bescheid, dass es dich gibt. Mit Mädchen kann sie nichts anfangen, doch mit Jungs umso mehr. Hat sie zumindest früher immer behauptet. Doch es muss noch etwas anderes geschehen sein. Sonst wäre deine Großmutter damals nicht einfach so weggelaufen.“

Sigrid arbeitete unter der Woche hart. Nicht nur im Reisebüro, sondern auch bei der Pflege des kleinen Paul. So kam es, dass sie nur den Wochenenden ein wenig Freizeit hatte. Herr Eversen kam alle paar Tage vorbei, um nach dem rechten zu sehen. Und natürlich den kleinen Paul zu hüten. Am Anfang hatte sich Herr Eversen skeptisch gezeigt. Doch seit ihn sein Enkel das erste Mal angelacht hatte, war jede Skepsis verflogen. Der Junge konnte doch schließlich am allerwenigsten etwas dafür.

Lautlos huschte Herr Eversen aus dem Arbeitszimmer. Und ließ sicherheitshalber die Türe offenstehen. Man konnte ja nie wissen, ob Paul nicht doch plötzlich zu schreien beginnen würde. Doch es fehlte ihm an nichts. Sigrid hat ihrem Sohn vorhin die Flasche gegeben. Und auch die Windeln gewechselt. Herr Eversen ging wieder zurück ins Wohnzimmer, um nachzudenken.

„Ich bin nicht begeistert davon, dass Sigrid sich mit einem verheirateten Mann eingelassen und nun auch noch ein Kind von ihm bekommen hat. Doch was soll’s. Sigrid ist erwachsen. Sie muss wissen, was sie tut. Und um Paul kümmert sie sich wirklich. Auch wenn es noch soviel Arbeit im Reisebüro gibt. Wenn ich es doch damals ebenso einfach gehabt hätte. Vermutlich ist es einfacher einen kleinen Jungen als ein kleines Mädchen zu erziehen. Oder kann eine Frau mit Babys und Kleinkindern besser als ein Mann umgehen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls wäre mir damals viel Ärger erspart geblieben, wenn Sigrids Mutter uns nicht grundlos im Stich gelassen hätte. Das werde ich ihr nie verzeihen.“

Friedrich Eversen war ein eher ruhiger Mensch, den nicht so leicht aus der Ruhe brachte. Doch die Sache damals, würde er nie vergessen. Alles hatte ja eigentlich ganz harmlos angefangen. Die Liebe zu seiner Nachbarin Mathilde. Und dann die wunderschöne Hochzeit im Mai 1951. Sigrid hatte anderthalb Jahre nach der Hochzeit im August 1952 gesund und munter das Licht der Welt erblickt.

Ab diesem Zeitpunkt war alles anders geworden. Mathilde hatte ihre Tochter vernachlässigt und immer wieder erklärt: „Ich hätte lieber einen Jungen gehabt.“ Aber Friedrich und Mathilde war dieses Glück nicht vergönnt gewesen. Eine Zeitlang hatten sie nebeneinander her gelebt, ohne sich offen zu streiten. Und dann eines Tages, kurz nach Sigrids erstem Geburtstag hatte Mathilde wortlos in aller Stille ihre Koffer gepackt und das Haus verlassen. Ohne Brief, ohne Telephonanruf, ohne Telegramm.

Friedrich wusste nicht, was aus Mathilde geworden war. Ja ob sie denn überhaupt noch lebte. 1955 war ihm ein Schreiben eines unbekannten Rechtsanwaltes zugestellt worden. Mathilde hatte die Scheidung eingereicht und ihm freiwillig das Sorgerecht für Sigrid überlassen. Auch der Rechtsanwalt konnte nichts Näheres dazu sagen. Er dachte: „Sonst verhält es sich doch zumeist wie folgt. Die Männer betrügen ihre Frauen. Und es gibt einen Kampf um die Kinder. Dieser Fall ist seltsam.“

Friedrich hatte seit damals nichts mehr von Mathilde gehört. Er versuchte, die eine oder die andere Frau zu heiraten, aber jedes Mal erhielt er eine Absage. „Ich will keine Kinder haben.“, behauptete eine ansonsten sehr nette junge Dame. Eine etwas ältere meinte: „Was? Du hast schon ein Kind? Nein danke. Ich möchte wenn schon eines von dir, aber nicht noch deinen Bankert großziehen.“

Sigrid konnte oder wollte sich an ihre Mutter nicht erinnern. Und dachte nur selten, wie heute, daran: „Mutter, wenn du sehen könntest, wie es mir jetzt geht. Ich hab‘ ein Kind. Einen Sohn. Schau‘ ihn dir wenigsten doch einmal an. Leider ist er unehelich geboren worden. Doch das macht dir bestimmt nichts aus. Du hättest gerne einen Jungen gehabt – das hat Vater mir einmal über dich erzählt.“
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mo 12.Dez.2011 17:09, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 165

Beitrag von Andrea1984 »

Sigrid ging unruhig auf und ab. Wo blieb Alexander nur? Sie hatten doch verabredet sich um 18:30 Uhr im Kino zu treffen. Der Film sollte um 19:00 Uhr beginnen. Es roch nach Zuckerwatte und Popcorn. Für einen eventuellen Imbiss war Alexander zuständig. Sigrid hatte buchstäblich im letzten Augenblick noch zwei Karten gekauft. Und blickte genervt auf die Uhr: „Nun komm schon endlich.“

Die Türe des Kinosaales, der sich im ersten Stock befand, wurde geöffnet. Ein junger Mann stand davor, um die Karten abzureißen. Schon drängten sich die Leute. Einige kamen zu Fuß, andere benutzten die Rolltreppe. Und wieder andere den Lift. So auch Alexander: „Ich bin zu spät. Es tut mir leid. Ich habe keinen Parkplatz gefunden. Lass uns hineingehen. Oder möchtest du etwas trinken?“

Sigrid hielt dem jungen Mann die Karten entgegen. Dieser riss sie wortlos ab. Alexander huschte hinter Sigrid in den dunkeln Kinosaal, welcher bis auf den letzten Platz gefüllt war. Sigrid zog ihre Jacke aus und lehnte sich scheinbar entspannt zurück: „Jetzt ist es zu spät. Wir können nicht mehr hinausgehen. Dann eben nach dem Film. Ich hab‘ Zeit. Vater gibt heute Abend auf Paul acht.“

Sigrid war einerseits enttäuscht darüber, dass Alexander zu spät gekommen war. Doch sie ließ es sich andererseits nicht anmerken. Alexander war nun einmal der Typ, welcher Termine nur schwer einhalten konnte. Damit musste sich Sigrid abfinden, auch wenn sie dieses Verhalten nicht gutheißen konnte. Schon flimmerte der Vorspann über die Leinwand. Jemand raschelte mit der Popcorntüte.

An Sigrids anderer Seite zog sich eine junge Frau die Turnschuhe aus. Ein muffiger Geruch verbreitete sich daraufhin. Sigrid rümpfte angewidert die Nase. Musste das wirklich sein? Ein verliebtes Paar, welches in der Reihe vor Sigrid und Alexander saß, kicherte leise und tuschelte ständig miteinander. Diesmal war es Alexander, der einen Vorwurf nur mühsam unterdrückte.

Endlich begann der Hauptfilm. Sigrid griff nach Alexanders Hand, erhielt jedoch keine Reaktion darauf. Der Film sollte zwei Stunden dauern. Da blieb genug Zeit mit Alexander ein wenig zu flirten. Zumindest stellte sich das Sigrid so einfach vor. Hätte sie jemand danach gefragt, wovon der Film handelte, es wäre wohl keine befriedigende Antwort erhalten geblieben. Sigrid interessierte das Kino nicht besonders. Sie wollte einige Zeit mit Alexander in Ruhe verbringen. Und das ging eben nur hier.

„Das darf doch nicht wahr sein? Jetzt knutschen die beiden vor uns schon wieder. Haben die denn nichts Besseres zu tun. Und warum reagiert Alexander auf keine meiner Andeutungen? Sind seine Augen offen oder geschlossen? Er sitzt starr auf seinem Sessel, als ob er sich vor irgendetwas fürchten würde. Was ist das? Mein Magen knurrt. Ich hätte doch vorhin ein Sandwich essen sollen.“

Irgendwann hatte der Film ein Ende. Die Besucher strömten dem Ausgang zu, welcher über eine Hintertreppe nach draußen führte. Sigrid tat so, als ob sie ins Taumeln geraten würde, doch Alexander kümmerte sich nur wenig darum. Und meinte ungewöhnlich kühl: „Pass bloß auf, dass du nicht noch einmal hinfällst. Sonst reißt du womöglich jemanden mit. Das wäre nicht gut. Die Treppe ist sehr steil.“

„Können wir noch irgendwo hin essen gehen? Ich sterbe gleich vor Hunger.“, schlug Sigrid vor.
Alexander brummte: „Von mir aus. Du hast Glück, dass ich in einer Nebenstraße stehe, wo das Parken um diese Tageszeit gottseidank schon gratis ist. Schlag‘ was vor. Mir ist alles recht.“
Sigrid frohlockte innerlich. Das war ja viel besser gelaufen, als sie es zunächst erwartet hatte.

Auch beim Essen war Alexander ungewöhnlich schweigsam. Er gab nur kurze Antworten, wenn Sigrid ihn etwas fragte. Irgendwie kam keine gute Stimmung dabei auf. Sigrid tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab und blickte Alexander immer wieder verstohlen von der Seite an. Was war heute nur los mit ihm? So verhielt er sich doch sonst nicht: „Ist etwas mit deinen Kindern? Oder mit dem Gutshof?“

Alexander knüllte seine Serviette zusammen. Und zögerte ein wenig mit der Antwort: „Den Kindern geht es gut. Henny besucht bereits die Schule. Chrissy wird zu Hause von Stine betreut. Das wolltest doch wissen. Um den Immenhof kümmere ich mich nicht mehr. Dort hat Dalli das Sagen. Sie lässt niemanden an sich heran. Mit Bobby hab‘ ich vor kurzem telephoniert, von Billy weiß ich nichts.“

Sigrid blickte verlegen auf die Tischplatte. Und meinte nach einer Weile scheinbar ungerührt, als ob nichts geschehen wäre: „Du hast gerade von deinen Kindern gesprochen Eines von ihnen ist dir vorhin entfallen. Unserem Sohn geht es gut. Er entwickelt sich prächtig. Möchtest du ihn sehen?
Alexander äußerte sich nicht dazu, sondern rief lediglich mit lauter Stimme: „Herr Ober, zahlen bitte.“
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