"Allerhand auf Immenhof"

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Andrea1984
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Kapitel 496

Beitrag von Andrea1984 »

Dick schmunzelte.
„Warum lachst du?“
„Das Verhalten kann er wohl nur von dir oder deinem Vater geerbt haben. Auf meiner Familienseite gibt es kaum noch Kavaliere.“
„Und was ist dann mit mir?“, wollte Ralf wissen.
„Ich weiß nicht, wie du als Kind gewesen bist.“, zog sich Dick elegant aus der Affäre. „Deine Mutter hat mir nie etwas über früher erzählt und fragen kann ich sie nun leider nicht mehr. Mein Kommentar bezieht sich eher auf Rafe, der immer wild und zu Streichen aufgelegt gewesen ist.“
„Besonders Anna und mir gegenüber. Naja, mit den Jahren hat sich das gebessert, dass muss ich zugeben.“
„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ich bin schon gespannt, wie es Rafe eines Tages mit seinem Sohn ergehen wird.“

Wie schon bei Anna und John wurden hier nicht nur Neuigkeiten, sondern auch Zeichnungen, die Ralf angefertigt hatte, ausgetauscht. Darunter Skizzen von Henny, Jakob und Rafe, die gemeinsam auf dem Sofa saßen und in die Richtung blickten, wo der Kamin stand. Eine weitere Skizze zeigte Henny, wie sie ihren Sohn stillte.
„Das ist ein sehr privater Moment.“, rügte Dick, während sie die Zeichung betrachtete.
„Henny hat es mir erlaubt, dabei zu sein. Was willst du machen?“, Ralf zuckte mit den Schultern. „Wenn ich ein Schriftsteller wäre, würde ich alles haarklein aufschreiben. So bleibt mir nichts anderes übrig, als die wichtigsten Augenblicke im Leben mit dem Bleistift auf Papier festzuhalten.“
„Gut, ich gebe mich geschlagen.“, Dick nahm sich noch eine Waffel, die zum Eis angeboten wurde. Es schmeckte köstlich.

Nach dem Essen war es gerade noch hell genug, um einen Spaziergang unternehmen zu können. Zumindest in den Garten hinaus, der für die Kinder, so vermutete Dick, ein Abenteuer darstellte, obwohl der Garten nicht besonders groß war. Viele der Bäume standen dicht beisammen, wie eine Gruppe von Menschen, die auf etwas warteten oder zu warten schienen. Der Sandkasten war dicht mit Schnee, oder nur mit einer Plane, so genau konnte Dick das nicht erkennen, zugedeckt, ebenso die Sandförmchen, welche unter dem Haus nahe eines Gitters, das zum Keller hinunterführte, lagen.

Die Sonne ging langsam hinter dem Horizont unter. Nun kam die Beleuchtung nicht mehr von oben, sondern von einer der Straßenlaternen, die an der Grundstücksgrenze standen. Dick war froh, wieder ins Haus gehen und sich dort aufwärmen zu können. Obwohl sie müde war und sich zurückgezogen hätte, musste sie ihre Kraft zusammennehmen. Auch hier gab es viel zu besichtigen, darunter die Kinderzimmer. Christoph hatte bereits ein eigenes Zimmer, während sich Gudrun und Ellen eines teilten. Hermann schlief offenbar noch bei den Eltern im Schlafzimmer, wie Dick anhand einiger Indizien, wie einer aufgestellten Wiege, schlussfolgerte.

„Entschuldigt mich bitte kurz. Ich muss mich um Hermann kümmern. Er ist noch nicht stubenrein.“
„Darf ich dir helfen? Ich habe schon so lange kein Baby mehr gewickelt.“
„Ja, hast du denn nicht schon Anna heute geholfen?“
„Eric und Tim sind ja schon stubenrein. Und bei Mona bin ich nicht dabeigewesen.“
„Schon? Tim ist doch erst 2 Jahre alt.“
„Ich habe es zuerst auch nicht glauben können, aber mich selbst davon überzeugt.“
Dick berichtete, wie sie mit eigenen Augen gesehen hatte, wie John mit Tim im Thermalbad zu den Toiletten gegangen war.
„Was die beiden dort getan haben, weiß ich nicht im Detail. Doch ich habe gesehen, dass Tim keine Windeln getragen hat, auch zu Hause in der Wohnung schon nicht.“
„Da habe ich ja die Hoffnung, dass es bei Hermann auch schneller geht.“, meinte Margot, während sie mit flinken Fingern die Windeln ihres jüngsten Sohnes im Badezimmer in Dicks Beisein, wechselte.

„Bei Christoph ist damals noch hin und wieder etwas danebengegangen, bei Hermann hier fast nie. Inzwischen habe ich ja schon Übung bekommen.“
„Stillst du ihn noch?“
„Die nächste Mahlzeit ist bald wieder fällig. Wenn du willst, kannst du auch dabei zusehen.“
„Oh, ich gehe dann mal rüber zu den anderen. Gudrun und Ellen wollen bestimmt, dass ich mit ihnen Pferdchen spiele.“
„Ja, das mögen die beiden bestimmt. Du hast es doch nicht verlernt?“
„Oh, sicher nicht. Aber ich bin einige Jahre älter als früher.“, gab Dick schlagfertig zurück.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mi 17.Jan.2018 20:25, insgesamt 1-mal geändert.
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Andrea1984
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Kapitel 497

Beitrag von Andrea1984 »

Erst am späten Abend kehrten Dick und Ralf auf den Immenhof zurück, wo sie bereits von Rafe erwartet wurden. Er teilte mit, Henny habe sich zurückgezogen und wolle nicht gestört werden. Ole und Alexander seien noch im Stall, da eine der Stuten abfohlen sollte. Stine arbeite in der Küche.
„Dann ist ja alles gut.“, Dick gähnte, hielt sich die Hand vor den Mund, gähnte wieder. „Ich will nur noch ins Bett. Was auch immer du mir erzählen willst, es kann ruhig bis morgen warten.“
„Warum glaubst du, dass ich dir etwas erzählen will?“, fragte Rafe. „Ich habe mir Sorgen um Vater und dich gemacht, weil doch das Wetter wieder umschlagen soll. Hier seid ihr in Sicherheit. Seit dem Umbau hat der Immenhof einen Blitzableiter bekommen. Es kann euch also nichts geschehen.“

Dick wünschte ihrem Sohn eine „Gute Nacht“ und sah auch bei ihrer Schwiegertochter nach dem Rechten. Alles war in Ordnung.
„Was hast du vor?“, wollte Ralf wissen. „Möchtest du nicht zu mir ins Bett kommen? Ich bin ganz durchgefroren und möchte mich gerne aufwärmen.“
„Molly ist da, vielleicht übernimmt sie diese Aufgabe. Ich gehe noch mal schnell nach draußen in den Stall. Vielleicht können Ole und Alexander meine Hilfe brauchen. Außerdem habe ich schon so lange kein neugeborenes Fohlen mehr gesehen.“

Beinahe lautlos huschte Dick nach draußen, über den Flur, die Treppe nach unten und, beim Seiteneingang, hinaus in den Stall, wo ein schwacher Lichtschimmer herausdrang.
Nur vage konnte Dick die Umrisse von Ole und Alexander erkennen.
„Du kommst zu spät. Das Fohlen ist schon da. Ein kleiner Hengst, der allerdings gelegt werden soll, wenn er alt genug dazu ist.“, berichtete Alexander mit freundenstrahlender Stimme.
„Das finde ich unfair. Was kann das kleine Fohlen dafür?“
„Ich oder vielmehr Rafe hat doch schon einen Zuchthengst hier. Rasputin. Solange dieser seinen Pflichten voll und ganz nachkommt, lohnt es sich nicht einen zweiten Zuchthengst aufzubauen.“
„Nun ja, das kann ich irgendwie nachvollziehen. Aber stellt euch vor, euch würde es genauso ergehen: Wenn ihr nicht mehr könnte oder wollt, dann werdet ihr durch einen anderen ersetzt.“
„Das will ich mir nicht vorstellen.“, Alexander prustete in den Ärmel seiner Jacke. „Der Vergleich hat was. Abgesehen davon glaube ich nicht, dass mich Sigrid durch einen anderen ersetzen will.“
„Was ist mit der Seejungfrau?“, mischte sich Ole in das Gespräch ein.
„Die hätte ich ja beinahe vergessen. Vermutlich hat auch sie mich schon längst vergessen.“

Dick spürte, dass die gute Stimmung ins Wanken geriet, wechselte daher das Thema: „Wenn du Molly suchst, die liegt gerade bei Ralf und schmust mit ihm. Zumindest vermute ich das.“
„Na so etwas, da wird mir meine vierbeinige Freundin doch glatt untreu.“
„In Eltville können Ralf und ich keine Katze halten, da wir keinen Platz dafür haben. Leider.“
„Raum ist in der kleinsten Hütte. Molly und ich teilen nicht nur das Zimmer, sondern auch das Bett miteinander und wie du siehst, es funktioniert. So, lasst uns nach drinnen gehen. Unsere Aufgabe ist erledigt. Außerdem brauchen die Tiere ihre Ruhe.“

In dieser Nacht schlief Dick, zum ersten Mal seit langem, wieder ruhig und entspannt. Lag es am Wetter? Oder an der warmen, dicken Bettdecke? Oder an Mollys Schnurren, dass den ganzen Raum erfüllte? Kaum hatte Dick es sich auf dem Bett bequem gemacht, war Molly schon zu ihr getapst und hatte ihren Kopf überall gerieben. In der Katzensprache bedeutete das Reiben wohl etwas gutes. Dick war mit der Tiersprache nicht so vertraut und nahm sich vor, Ralf oder Alexander danach zu fragen.

Am nächsten Morgen wurde Dick mit einen Nasenstupser von Molly geweckt.
„Guten Morgen, Molly. Wie geht es dir heute? Hast du gut geschlafen?“
„Miau.“, gab Molly zur Antwort, rieb ihren Kopf an Dicks Brust.
„He, ich bin auch noch da.“, meinte Ralf.
Molly ging zu ihm und gab auch ihm einen Nasenkuss.
„So ist es brav.
„Guten Morgen, mein Schatz. Ich fühle mich heute so richtig wohl.“
„Du küsst nicht so gut wie Molly.“
„Und du bist nicht so flauschig wie sie.“, behielt Dick das letzte Wort. Dann eilte sie hinüber ins Bad, um sich frisch für den heuten Tag zu machen. Ralf konnte ja durchaus noch ein wenig warten.

Auf dem Weg nach unten ins Esszimmer ging Molly mit und begrüßte auch die anderen Mitglieder des Haushalts mit einem lauten „Miau“ und einem ebenso lauten Schnurren.
„Heute ist der letzte Tag des alten Jahres. Habt ihr euch schon Vorsätze für das nächste Jahr gemacht?“, wollte Alexander neugierig wissen, der bereits Platz am Tisch genommen hatte.
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Kapitel 498

Beitrag von Andrea1984 »

„Erst einmal: „Guten Morgen.““, antwortete Dick. „Um deine Frage zu beantworten: Nein. Es kommt immer so, wie es kommen sollte.“
„Setzt euch doch, sonst wird das Frühstück noch kalt. Heute hat Stine ein besonders reichhaltiges zubereitet. Das Mittagessen entfällt, weil es ein üppiges Abendessen geben wird.“, berichtete Rafe, welcher an der Türe, die zur Küche führte, lehnte. „Esst nur, es muss bis zum Abend vorhalten.“
„Das Angebot lasse ich mir nicht zweimal sagen. Hmm, was riecht denn hier so gut?“
„Der Kaffee, den Stine jeden Morgen frisch aufbrüht. Ich trinke ihn immer schwarz, weil er so stark ist.“

„Wer kümmert sich um Molly?“, wollte Dick wissen.
„Sie bekommt von Stine ihr Futter und ihr Wasser. Ab und zu fängt sich die Katze auch selbst eine Maus. Mach dir also keine Sorgen.“
Rafe ging hinüber zum Tisch, nahm selbstverständlich den Platz am oberen Ende, vis a vis von Alexander ein. Henny, mit Jakob auf dem Arm, saß rechts daneben. Dick zögerte, weil sie nicht wusste, wo sie sich hinsetzen durfte.
„Die Frau zur rechten, die Mutter zur linken.“, wies Rafe den richtigen Platz ein. „Was möchtest du trinken? Kaffee oder Tee oder Kakao?“
Dick entschied sich für Kaffee, der werde ja sowieso gerade zubereitet. Damit mache sie Stine keine Arbeit. Ralf saß rechts neben Henny und links neben Alexander. Der Tisch war für fünf Personen gedeckt. Stine und Ole aßen, so vermutete es Dick, in der Küche, wie sie es gewohnt waren.

Erst nach der zweiten Tasse Kaffee, merkte Dick wie ihre Lebensgeister zurückkamen. Zuvor war sie etwas abwesend und hörte nur flüchtig hin, was bei Tisch besprochen wurde. Stine klapperte mit dem Geschirr, Molly schmatzte beim Fressen laut vor sich hin.
„Ich habe einen Berg an Briefen zu beantworten. Man soll nie mit Schulden ins neue Jahr gehen,. Das gilt wohl auch für Briefschulden?“
„Unbezahlte Rechnungen?“
„Nein, sondern etwas erfreuliches: Rafe und ich haben doch vielen Freunden und Bekannten eine Geburtsanzeige von Jakob geschickt. Nun sind bereits die ersten Antworten in Form von Briefen und Telegrammen eingetroffen.“
„Sogar einige E-Mails haben wir erhalten. Die sind schon beantwortet.“, ergänzte Rafe.
„So etwas neumodisches hat es zu meiner Jugendzeit nicht gegeben.“
„Du wirst dich daran gewöhnen müssen. Die Zeiten haben sich geändert.“, antwortete Rafe, reichte den Brötchenkorb und die Teller mit den Wurstaufschnitten herum. Dick nahm sich einen Scheibe Schwarzbrot und zwei Scheiben der Käse-Wurst vom Teller. Es schmeckte ausgezeichnet.

Nach dem Frühstück wurden die Pferde versorgt. Dick bot an, mitzuhelfen, doch Ole schüttelte den Kopf.
„Ich komme schon zurecht, Frau Schüller. Viele der Pferde stehen ja auf der Weide oder im Offenstall, die machen ja fast keine Arbeit. Der gnädige Herr packt auch mit an.“
Dick brauchte eine Weile um zu begreifen, dass mit „gnädiger Herr“ nicht mehr Alexander, sondern Rafe gemeint war.
„Die Tagelöhner kommen in diesem Jahr nicht mehr, da es heute nur wenig Arbeit gibt. Das schaffen wir auch so.“, meinte Rafe, rührte in der Kaffeetasse. „Ich bin ein starkes Mannsbild.“
„Gib nicht so an. Du erinnerst mich ein wenig an Ethelbert. Er hat am Anfang auch immer aufgeschnitten, womit ich nicht nur das Brötchen hier auf deinem Teller meine, und erst viel später gelernt, dass man damit nicht weit kommt.“
„Ach, Ethelbert der ist schon in Ordnung, so wie er ist.“, brummelte Rafe.
„Ihr Mannsbilder haltet doch immer zusammen, egal, was geschieht.“
„Was hat Ethelbert denn so alles angestellt: Das möchte ich auch gerne wissen.“, sagte Alexander.

Dick ließ sich bereitschlagen und erzählte alles, was sie wusste oder vielmehr, woran sie sich noch erinnern konnte oder wollte: Den ersten Besuch von Ethelbert auf dem Immenhof im Sommer 1955, die weiteren Erlebnisse in den Sommern 1956 und 1957. Den Austausch von Briefen und später auch die ersten Telephonate. Und vor allem den Kontakt zu Jochen, der ja nach dem Weggang vom Immenhof bei Ethelbert gelebt und dort den Ruhestand genossen hatte.
„Wer hätte das gedacht, dass sich Ethelbert einmal so herausmacht.“, schloss Dick ihren Bericht.
„Ich kenne ihn nur als seriösen Züchter und bin von der Vergangenheit erstaunt.“, gab Alexander offen zu. „Am Anfang habe ich mit dem Namen Gravenhorst nichts anfangen können und bin erst durch Dalli draufgekommen, wer er ist und wie er mit ihr in Verbindung steht.“
„Dalli und er sind immer nur gute Kumpels gewesen, nicht mehr und nicht weniger.“, meinte Dick.
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Kapitel 499

Beitrag von Andrea1984 »

„So? Da habe ich etwas anderes gehört oder vielmehr persönlich miterlebt. Es ist zwar schon eine Weile her, doch diesen Moment werde ich nie vergessen.“
Dick erfuhr nun, was zwischen Dalli und Ethelbert auf der Hochzeit von Dalli und Alexander vorgefallen war.
„Ethelbert hat sie also wirklich geliebt. Mehr noch, als er mich je geliebt hat.“
„Dich auch?“
Etwas fiel zu Boden. Dick zuckte für einen Moment zusammen, dann erst redete sie weiter.
„Ja, wir haben einiges zusammen unternommen, zum Beispiel einen Ausflug auf die Insel. Und ins Forsthaus, wo Jochen damals eine Reitschule betrieben hat. Da hat Ethelbert wohl geglaubt, dass mehr daraus werden kann. Ich finde ihn nach wie vor nett, sehr nett sogar, aber verliebt bin ich nicht in ihn. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.“, wandte sie sich munter an ihren Gatten.
„Ethelbert ist eifersüchtig auf mich gewesen.“, ergänzte Ralf nun, der ausnahmsweise weder Stift noch Skizzenblock bei sich trug. „Und das hat er mich immer wieder spüren lassen. Mal mit Worten, dann wieder mit Taten. Ich habe versucht, ihm, so gut es möglich gewesen ist, ins Gewissen zu reden.“
„Es wird wohl nichts genützt haben?“
„Ethelbert ist damals, meiner Meinung nach, zu unreif gewesen, um alles verstehen zu können.“
„Woher kennt ihr euch eigentlich, Ethelbert und du?“, fragte Alexander. „Gemeinsam zur Schule gegangen seid ihr wohl nicht? Und ihr wohnt ja, schon wieder oder noch immer, nicht gerade im gleichen Ort?“

„Ein weitläufiger Verwandter hat gute Kontakte zu Ethelberts Eltern gehabt und so ist es immer wieder zu Besuchen und Gegenbesuchen gekommen. Ethelbert und ich haben uns rasch angefreundet, obwohl er ja doch einige Jahre jünger als ich ist. Eigentlich hätte ich schon ein Jahr zuvor auf den Immenhof mitkommen sollen, aber ich bin damals beruflich so eingespannt gewesen, dass ich nicht weggehen hätte können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Es hat nun mal nicht jeder einen reichen Onkel, der mal eben schnell ein paar Hundert oder Tausend Mark aus dem Ärmel schüttelt.“

Dick ergänzte ihrerseits, was Ethelbert mit Onkel Pankraz und der Rettung des Immenhofs zu tun gehabt hatte.
„Anfangs haben wir, also zumindest Ralf und ich, es nicht glauben können, dass Ethelbert wirklich so einen reichen Onkel hat. Vermutlich ist Ethelbert beleidigt gewesen und hat sich deshalb von uns zurückgezogen, mehr mit Dalli und Mans unternommen.“
„Lange hat das Ponyhotel nicht gehalten?“, wollte Alexander wissen.
„Einige Jahre doch. Wir haben uns mehr schlecht als recht durchgebracht.“, Dick schluckte. Die Erinnerung an damals tat weh. Auch wenn alles schon beinahe 40 Jahre zurücklag.

„Ihr hättet also durchaus von dem Ponyhotel leben können?“
„Schon ja. Allerdings haben wir nicht viel neues investiert, da am Ende einer Saison kaum Geld übrig geblieben ist. Irgendwann sind die Gäste weggeblieben, weil sie gemeint haben, es wäre zu langweilig und es gäbe nicht neues zu entdecken. Motorräder und Autos seien mehr im Trend als Ponys.“
Dick berichtete weiter, was dann geschehen war, wobei sie sich im klaren darüber war, dass sie nur ihre Sicht der Dinge schilderte, als eine der letzten Überlebenden von damals.
„Dalli hat mir nie erzählt, wie es gewesen ist. Um ehrlich zu sein, habe ich auch keine Fragen gestellt.“
„Jetzt ist es zu spät dafür. Wenn es eines Tages soweit käme und Dalli würde dir ihre Version der Geschichte erzählen, dann würdest du dich vermutlich gar nicht mehr auskennen.“
„Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte.“, meinte Alexander. „So und nun lass uns das Thema wechseln. Reden wir von etwas erfreulicherem.“

Plötzlich klingelte das Telephon. Rafe stand auf, weil es ihm als dem Hausherren zukam, das Gespräch anzunehmen. Dick wunderte sich darüber, wer an diesem Tag anrief. Die einen Freunde und Familienmitglieder, die sie kannte, mussten arbeiten, während die anderen in Vorbereitungen für Silvester steckten. So oder so blieb da wenig oder keine Zeit für ein Telephonat. Außerdem gab es doch die moderne Technik. Schnell einmal ein E-Mail mit guten Wünschen für das neue Jahr verschickt und fertig. Dick vermutete, dass viele Leute heutzutage es so hielten. Sie selbst hatte an ihre Schwager und Schwägerinnen - womit auch die jeweiligen Ehepartner und Kinder gemeint waren - jeweils eine traditionelle Postkarte geschickt. Mit netten Worten, die jeder lesen konnte.

Dick zog, schon aus Gründen der Ästhetik eine Postkarte oder einen Brief einem E-Mail vor.
Leider erhielt sie selbst nicht mehr so viele Postkarten wie früher, als beinahe zu jeder Gelegenheiten, wie einer Taufe oder einer Hochzeit eine Postkarte oder ein Bilett verschickt worden war. Alles wurde schneller. Dick hätte gerne die Zeit zurückgedreht, um die sorglosen Sommer noch einmal erleben zu können. Aber sie wusste, dies war unmöglich. Sie hatte ihre Kindheit und Jugend einfach genossen.
Zuletzt geändert von Andrea1984 am Mo 31.Dez.2018 18:08, insgesamt 1-mal geändert.
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Kapitel 500

Beitrag von Andrea1984 »

Dick wünschte sich, dass auch ihre Enkelkinder Kinder bleiben sollten, so lange dies möglich war und nicht frühzeitig erwachsen werden sollten, nur weil es ihre Eltern von ihnen verlangen würden.
Bei ihren Kindern hatten Ralf und sie ihr bestes gegeben. Nun ware alle erwachsen, lebten ihr eigenes Leben und suchten doch, wenn es nötig war, Trost und Rat, so empfand es Dick zumindestens. Sie war stolz darauf, gebraucht zu werden, wenn ihre Hilfe erwünscht war, zog sich jedoch inzwischen, aufgrund ihres vorgerückten Alters auch gerne einmal zurück, sei es für ein paar Stunden oder für ein paar Tage. Die kleinen Auszeiten taten ihr gut und sie kam wieder zu neuen Kräften. Auch die Zeit hier auf dem Immenhof betrachtete Dick als eine Art Urlaub, wo sie kaum etwas anderes, als essen und schlafen tat, so kam es ihr jedenfalls vor. Aber: Der schönste Urlaub hatte einmal ein Ende.

Bald ging es wieder nach Eltville zurück, wo nach den Feiertagen, die Arbeit wartete. Dick war gespannt, wann und wie Pankraz und Johanna heiraten wollten. Nur standesamtlich oder auch kirchlich? Rechtlich war beides möglich, da Pankraz, soviel wusste Dick, von seiner ersten Frau geschieden worden war und daher jederzeit wieder heiraten durfte. Dick vermutete, die Hochzeit werde im Frühjahr oder im Sommer stattfinden. Pankraz schien es mit dem Heiraten nicht so eilig zu haben. Über seine erste Ehe hatte er nur erzählt, dass er damals viel zu jung und zu unerfahren gewesen sei und sich überdies mit seiner Frau nicht besonders gut verstanden habe. Aufgrund der gesellschaftlichen Konventionen war ihm eine Scheidung lange Zeit verwehrt geblieben. Erst nach dem Tod seiner Eltern - oder eines Elternteils, so genau hatte Dick sich das nicht gemerkt, was ihr Pankraz erzählt hatte - hatte er die Scheidung beantragt und auch mit allen Konsequenzen durchgezogen. Welchen Grund er dafür angegeben hatte, das wollte Dick nicht erfragen. Und sie wusste auch nicht, ob seine erste Frau noch am Leben oder ob sie inzwischen verstorben war.
„Vermutlich ist Onkel Pankraz deshalb nicht glücklich gewesen, weil zwischen der Eheschließung und der Geburt seiner Tochter weniger als 9 Monate gelegen sind. Dass darf ich gar nicht laut sagen.“

Rafe kehrte wieder ins Esszimmer zurück. Eine Weile ging das muntere Geplauder weiter, so lange bis kein Krümel der Mahlzeit übrig war. Rafe hob die Tafel auf.
„Mein guter Rat an euch: Legt euch noch eine Stunde oder zwei aufs Ohr. Der Abend wird lang und die Nacht kurz.“
„Ich bin überhaupt nicht müde.“, meinte Alexander.
„Oh, wegen dir mache ich mir da keine Sorgen. Du wirst sicher früh zu Bett gehen und den Silvestertanz verschlafen.“
„Ich habe schon so lange nicht mehr getanzt.“, Dicks Augen strahlten, für einen Augenblick. Sie freute sich auf diesen Abend und hoffte, dass wenn nicht Ralf, so doch Rafe oder Alexander mit ihr tanzen würde.
„Dann wird es ja höchste Zeit. Wenn jemand mich sucht, ich bin im Arbeitszimmer“, behielt Rafe das letzte Wort.
„Nanu heute?“
„Ja, es ist kein Feiertag, also muss ich noch arbeiten. Die Inventur macht sich nicht von selbst.“

Dick spürte, dass mit Rafe etwas nicht stimmte und beschloss daher, ihm auf den Zahn zu fühlen. Irgendetwas verschwieg er, dass sagte ihr Mutterinstinkt. Doch sie wollte nicht nachbohren, zumindest vorerst noch nicht. Rafe war eher offen und mitteilsam. Wenn er etwas für sich behielt, dann mochte er schon seine Gründe dafür haben. Ob das Zurückziehen mit dem Telephongespräch zusammenhing? War es etwa Dalli gewesen, die ihn angerufen und ihm Vorwürfe wegen dem Betretungsverbot gemacht hatte? Oder war es einfach nur ein Gast gewesen, der früh genug, ein Zimmer auf dem Immenhof resevieren wollte, obwohl die Saison erst im Frühjahr beginnen sollte?

Dick schlenderte scheinbar ziellos durch das Haus und blieb dann vor Rafes Arbeitszimmer stehen, klopfte an.
„Herein.“
„Nanu? Komm doch herein. Ich bin gerade mit der Inventur fertig geworden.“
„Das trifft sich gut. Wie sieht es mit den Zahlen aus?“
„Tut mir leid. Berufsgeheimnis.“, Rafe lächelte. Mit diesem Lächeln erinnerte er Dick an seinen Vater, der, nach dem Frühstück, wieder über dem Skizzenblock saß, diesmal in der Küche, wo er es entweder auf Stine oder auf Ole oder auf beide abgesehen hatte, die sich jedoch einem geplanten Porträt immer wieder geschickt entzogen, in dem sie nie stillsaßen und immer etwas zu tun hatten.
„Gilt das auch für das Telephonat?“
„Ja und nein. Das Telephonat ist rein privat gewesen. Allerdings nicht zu privat, so dass ich es dir ruhig erzählen kann. Heinrich hat angerufen: Billy liegt im Krankenhaus. Sie hat Schmerzen.“
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Kapitel 501

Beitrag von Andrea1984 »

„Wo genau?“, wollte Dick besorgt wissen.
„Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es sich um eine drohende Fehlgeburt handelt. Billy muss sich schonen und Medikamente nehmen, sonst verliert sie das Baby womöglich.“
„Mir gefällt diese Schwangerschaft, so kurz nach der vorigen, gar nicht. Bitte mach nicht den gleichen Fehler bei Henny. Lass ihr Zeit. Wenn sie noch ein zweites Kind will, so wird sie es dir schon sagen. Dränge sie nicht. Wenn ihr Körper bereit dafür ist, dann soll es so sein.“
„Mach dir keine Sorgen, Mutter. Henny und ich teilen zwar das Bett, doch wir vollziehen die Ehe nicht. Zumindest nicht mehr in diesem Jahr. Für mich ist ehrlich gesagt, fast ein Schock gewesen, als Jakob rasch das Licht der Welt erblickt hat. Ich hätte mir gewünscht, Henny hatte mehr Zeit zum Vorbereiten gehabt. Die Babyausstattung und die Wiege sind gottseidank schon fertig hergerichtet gewesen.“
„Vielleicht hat Jakob es deshalb so eilig gehabt.“, schmunzelte Dick, für einen Augenblick. „Ich mache mir Sorgen um Billy. Wenn ich nur etwas für sie tun dürfte oder könnte.“
„Die größeren Kinder werden von Personal, so hat es mir Heinrich erzählt, betreut. Also ich kann mir das nicht vorstellen, meinen Sohn in die Hand einer fremden Person zu geben, wenn er mir zuviel werden soll.“
„Das will ich hoffen. Ein Kind ist ein kostbares Geschenk, dafür sollten Henny und du dankbar sein.“
„Ich habe bei Tisch nichts von dem Telephonat erzählt, um Henny nicht aufzuregen. Es würde sie zu sehr belasten. Sie ist generell sehr sensibel und macht sich um alles und um jeden Sorgen.“
„Nach außen hin lässt sie es sich aber nicht anmerken.“, stellte Dick fest.
„Natürlich nicht. Das ist wohl die Disziplin, die sie von ihrer Großmutter geerbt hat: Haltung bewahren, was immer auch kommt. Zumindest vermute ich, dass die Diszplin von dieser Familienseite kommt.“
„Über meine Mutter kann ich dazu nichts sagen, ich habe sie kaum gekannt. Leider. Wer weiß, was aus Angela, Dalli und mir geworden wären, wenn die Eltern am Leben geblieben wären.“
„Dafür hast du nette Schwiegereltern bekommen, das ist auch etwas.“, wieder lächelte Rafe.

„Stimmt. So ein Glück hat auch nicht jeder. Was meinst du? Sollen wir eine Runde ins Gelände oder in den Paddock gehen? Oh entschuldige bitte: Du bist der Chef hier, du gibst ja die Befehle, nicht ich.“
„Dein Vorschlag gefällt mir. Ich werde die Herren fragen, wer von ihnen Zeit zum Reiten hat. Henny muss ja hier bleiben, obwohl sie vermutlich auch gerne mit geritten wäre. Stine ist ja auch noch da.“
„Sie hat bestimmt viel anderes zu tun, als nach Henny zu sehen, wenn es nötig ist.“
„Stine schafft das schon: Ich weiß es nicht wie, aber sie schafft vieles.“
„Machst du dir keine Sorgen um sie?“
„Wenn Stine etwas zuviel wird, so würde sie es schon sagen. Aufgeben ist wohl nicht ihre Devise.“

Dick schaffte es, ihren Sohn zu überreden, nicht nur mit Henny, sondern auch mit Stine zu reden. Beide versicherten, es sei kein Problem und sie kämen schon zurecht. Stine entschuldigte sich, nach dem Gespräch gleich wieder, es gäbe in der Küche viel zu tun: Geschirr zu spülen, Essen für den Abend vorzubereiten und dergleichen mehr. Ja, sie werde es schon schaffen. Es sei nicht anstrengend.
„Die Ruhe tut mir gut. Und Jakob auch. Er schläft jetzt. Ich stille ihn dann später wieder.“
„Außerdem hast du ja ein Handy da, für den Fall der Fälle.“
„Was nützt es mir, wenn du deines vergisst?“
„Oh, ich habe es immer bei mir. Du kannst unbesorgt sein.“
Dick ging mit Rafe alleine ins Gelände, da Alexander und Ralf beide höflich abgelehnt hatten, mit zureiten. Sie nähmen stattdessen lieber das Angebot sich zurückzuziehen gerne an.
„Möchtest du deinen runden Geburtstag im nächsten Jahr groß feiern?“
„Eher nicht. In diesem Alter ist ein Geburtstag, egal ob rund oder nicht, kein Grund mehr zum Feiern, wirklich nicht.“, Alexander gähnte. „Ich spüre auch das Wetter, was mir früher nie passiert ist.“
„Was sagt dein Gespür? Können wir ausreiten oder müssen wir achtgeben, dass es regnen oder schneien könnte?“
„Mein Gespür sagt: Es ist alles in Ordnung.“, versicherte Alexander.

Dick nahm an, dass auch er sich zurückziehen würde, um ein wenig zu schlafen oder zu meditieren oder was auch immer er sonst zu tun pflegte. Vielleicht besuchte er ja Sigrid und die Kinder im Forsthaus. Auch diese Möglichkeit zog Dick in Betracht, während sie durch das Gelände ritt.
Der Weg war bereit genug, so konnte Dick und Rafe nebeneinander ihre Pferde gehen lassen. Erst im ruhigen Schritt, dann in einem schnelleren Trab.
„Die Geschäfte gehen gut.“, fing Rafe unvermittelt an, darüber zu reden. „Zumindest für die nächsten Jahre, wenn die Prognosen stimmen.“
„Sei dir da nicht zu sicher. Genauso hat meine Oma Jantzen damals auch geredet, als wir das Ponyhotel eröffnet und geführt haben. Was daraus geworden ist, weißt du ja vielleicht schon.“
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Kapitel 502

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„Die alten Geschichten interessieren mich nicht.“, wehrte Rafe ab. „Ich will es besser machen, als meine Vor-vor-vor-fahren es getan haben. Außerdem haben sich die Zeiten geändert. Gerade jetzt, wo es in den Städten hektisch und laut zu geht, ziehen die Städter einen Urlaub auf dem Land vor.“
„Nun ja, ich bin da immer noch ein wenig skeptisch. Aber vergiss nicht: Wenn etwas schiefgeht, dann stehst du nicht alleine vor dem Ruin. Wo wirst du dann leben und vor allem, wovon? Mit einem kleinen Nebenjob kannst du deine Familie nicht ernäheren. Die Arbeit auf dem Immenhof ist zwar nicht gut bezahlt, aber durchaus stabil. Es sei denn, bei der Buchhaltung ist ein Fehler drinnen.“
„Das würde ich mir nie erlauben. Die Behörden sind da sehr streng.“, antwortete Rafe. „Ich muss über jeden Pfenning, den ich ablege, einnehme oder ausgebe Rechenschaft ablegen. Zumindest für die nächsten Jahre noch. Es ist viel Geld in den Umbau und die Frühstückspension investiert worden.“
„Da dauert es lange, bis du wenigstens die Hälfte davon eingenommen hast. Ich drücke Henny und dir die Daumen, dass alles gut geht und ihr eines Tages schuldenfrei auf dem Immenhof leben könnt.“
„Endlich habe ich ein festes Zuhause und eine Aufgabe, die mich ausfüllt.“, gab Rafe offen zu. „Damit hätte ich nie gerechnet. Es ist auch ein bisschen Glück dabei gewesen, nicht wahr?“
„Ja, weil du der Erstgeborene bist. Wärst du der Zwei- oder der Drittgeborene gewesen, hättest du keine Chance gehabt, den Immenhof erben zu können. Wenn alles anders gekommen wäre, so hätte Anna oder Margot, welche von beiden auch immer dann zuerst geboren worden wäre, alles geerbt und dich auszahlen müssen, wenn genügend Geld für eine Auszahlung vorhanden gewesen wäre.“
„Das ist mir jetzt ein wenig zu hoch. Aber ich verstehe schon, was du meinst.
„Einen guten Rat habe ich für dich: Vermeide es, Schulden anzuhäufen und wenn es doch sein muss, bezahle diese, so schnell es dir möglich ist.“
„Gut, ich verspreche es dir. Henny hat auch gesagt, dass sie von Krediten und Zinsen nichts hält.“
„Sie ist vernünftig, das hätte ich ihr gar nicht zugetraut.“
„Komm, lass uns schneller reiten. Hier ist das Gelände flach und die Pferde sind trittsicher.“

Dick genoss das Reiten und stellte fest, wie gut es ihr tat. Nach dem Reiten ging Dick in die Küche, um Stine um ein Brötchen und einen Kaffee zu bitten. Bis zur nächsten Mahlzeit dauerte es noch lange.
„Gern, gnädige Frau. Einen Moment bitte, gnädige Frau.“, Stine stellte den Wasserkessel von der Arbeitsfläche auf den Herd. „Ich koche sowieso gerade einen Kaffee. Wenn Sie wollen, können Sie ihn hier in der Küche trinken. Wenn Sie Ole suchen, der ist gerade auf die Weide gegangen, um dort die Ponys zu versorgen.“
Dick nahm das Angebot in der Küche Kaffee zu trinken, gerne an. Skrupel oder Standesdünkel kannte sie nicht.
Stine bestrich ein Brötchen mit Butter und legte auch zwei Scheiben Wurst darauf, die vom Frühstück übrig geblieben sein konnten.
„Guten Appetit, gnädige Frau.“
„Danke, Stine. Ich habe einen Hunger wie sieben Wölfe.“
Im nächsten Moment biss sich Dick auf die Lippen. Nun war es also geschehen. Genau das Zitat hatte Dalli immer gebracht, wenn es um das Mittagessen gegangen war. So sehr Dick diese Worte schätze, so sehr ärgerte sie sich, dass jene von Dalli kamen.
Stine ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, nahm einen Dose Fischaufstrich aus dem Kühlschrank und schnitt noch ein paar Brote von einem großen Brotleib.
„Viel Brot ist nicht mehr da. Wenn alle Stricke reißen, muss ich heute noch einkaufen gehen.“
„Die Läden haben geöffnet, nur bis 13:00 Uhr, soweit ich weiß.“, murmelte Dick zwischen zwei Bissen. „Geh ruhig. Ich bleibe schon hier und sehe bei dem Essen nach dem Rechten.“
Stine blickte auf die Küchenuhr, band die Schürze ab, steckte eine Geldbörse ein und lief los. Es war gerade 12:00 Uhr. Dick hoffte, dass Stine es noch schaffen würde, alles nötige einzukaufen.

Wieder klingelte das Telephon. Dick machte sich darüber keine Sorgen. Wenn jemand sie erreichen wollte, konnte er sie am Handy erreichen. Mit Ausnahme von Dalli, welche über diese Nummer nicht verfügte. Dick hatte zwar Henning die Nummer gegeben, ihn aber alle Eide schwören lassen, jene für sich zu behalten und die Nummer auf keinen Fall an Dalli weiterzugeben, was immer geschah.
Stine kam rechtzeitig mit allem nötigen zurück und setzte ihre Arbeit in der Küche fort. Ole kreuzte kurz auf, trank auch eine Tasse Kaffe und plauderte ungezwungen mit Stine.

„Haben Sie noch einen Wunsch, gnädige Frau?“, wollte Stine wissen.
„Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Danke für den Kaffee und das Brötchen.“
„Keine Ursache, gnädige Frau. Ich tue nur meine Pflicht.“
„Der Kaffee ist schon wieder viel zu heiß.“, nörgelte Ole, zwinkerte jedoch mit einem Auge dabei.
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Kapitel 503

Beitrag von Andrea1984 »

„Mach ihn dir doch selbst.“, antwortete Stine, während sie gebückt vor dem Herd stand und einen Holzscheit in den Ofen schob.
„Kaffee kochen ist Frauensache. Dafür brauchst du nicht bei der Stallarbeit mithelfen.“
„Ich arbeite auch im Garten immer mit.“
„Jetzt nicht, weil dort alles zugefroren ist.“, Ole nippte an seinem Kaffee.
„Ach lass mich doch einfach in Ruhe.“

Dick hob den Kopf, sagte jedoch nichts. Das mussten Ole und Stine unter sich ausmachen. Die beiden arbeiteten seit sovielen Jahren zusammen, da war so ein kleiner Streit nichts ungewöhnliches. Und wenn die beiden sich noch mehr streiten sollten, nun so würde Rafe eingreifen und das Problem schon irgendwie lösen. Dick genoss es, zumindest an diesem Tag, keine Verantwortung für den Immenhof und die dortigen Bewohner, seien jene nun zwei- oder vierbeinig, tragen zu müssen.
Stine arbeitete weiter, als ob nichts geschehen wäre. Ole trank seinen Kaffee bis auf den letzten Tropfen aus, rieb die Hände an einem Scheuertuch ab und ging dann wieder nach draußen.

Dick stromerte ziellos im Haus herum, zählte die Stunden, bis es Abend wurde. Alexander und Ralf hatten sich, jeder in seinem Schlaf- bzw. Gästezimmer auf’s Ohr gelegt. Henny saß im Wohnzimmer im Erdgeschoss, hielt ihren Sohn in dem Armen und plauderte leise mit ihm.
„Er ist so klug, er versteht schon jedes Wort.“
„Das glaube ich dir gerne. Darf ich mich zu dir setzen?“
„Ja, immer doch. Ich freue mich über nette Gesellschaft.“, Henny rückte ein Stück zur Seite.
„Wo ist Rafe?“
„Das weiß ich nicht. Ich nehme an, dass er entweder auch schläft oder Ole bei der Stallarbeit hilft.“
„Immer auf den Beinen, immer auf dem Sprung, fast wie eines der Pferde auf den Koppeln.“
„So ungefähr ja.“, Henny lächelte sanft, wie es eben ihre Art war. „Ich kenne Rafe nur so. Er sitzt nur selten still oder liest mal in Ruhe ein Buch. Dennoch ergänzen Rafe und ich uns irgendwie gut.“
„Gibt es irgend etwa neues im Dorf?“, wollte Dick wissen. Es war eine reine Höflichkeitsfrage.
Henny errötete: „Nein, eigentlich nicht. In diesem Jahr bin ich wohl das Gesprächsthema Nr. 1.bei dem Dorfklatsch, weil ich sehr jung geheiratet habe.“
„Das stört hier niemanden, da kann ich dich beruhigen. Und selbst wenn: Du bist reif genug, diesen wichtigen Schritt zu wagen. Anders als deine Mutti, die ja mit über 30 Jahre noch nicht reif genug dafür gewesen ist, zumindest habe ich den Eindruck, wenn ich so darüber nachdenke.“
„Was geschehen ist, lässt sich nicht mehr ändern.“, Henny legte ihren Sohn behutsam auf eine Decke, neben sich auf dem Sofa. Im Kamin knisterte ein Feuer. Es roch nach Äpfeln und Schokolade. Auf dem Tisch lag eine Obstschale. Daher kam der Geruch nach den Äpfeln. Woher der Geruch nach Schokolade kam, wusste Dick nicht. Hatte Henny etwa ein Stück Schokolade genascht?

„Mutti hat vorhin angerufen. Wir haben uns ein wenig unterhalten, aber nur Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht. Zumindest von meiner Seite her. Mutti hat mir viel neues erzählt, von dem sie glaubt, dass es mich interessieren könnte. Im nächsten Jahr plant sie eine große Reise nach Asien oder nach Südamerika, gemeinsam mit Herrn Holm, sowie auch einigen Kolleginnen und Kollegen.“
„Hat deine Mutti soviel Geld, dass sie sich diese Reise leisten kann?“
„Offenbar ja, doch ich frage nicht nach. Entweder hat sie, im Laufe der Jahre, wirklich viel und gut verdient oder einiges angespart oder ihren Freund angepumpt oder was auch immer getan.“
„In Hamburg ist doch die Reeperbahn.“, meinte Dick.
„Ich weiß, worauf du hinauswillst, aber ich glaube nicht, dass sich Mutti soweit erniedrigt hat. Das ist nicht ihre Art. Zumindest traue ich es ihr nicht zu. Dabei hätte sie womöglich ihren guten Ruf verloren.“
„Hier im Dorf ist ihr Ruf unter aller Kanone. Das hat mir dein Vati erzählt.“, versicherte Dick.
„Bitte lass uns das Thema wechseln. Ich möchte nicht schlecht über andere Leute reden, schon gar nicht über Mutti, die mir immerhin das Leben geschenkt hat.“
„Gut, ich gebe mich geschlagen.“, Dick wechselte das Thema, kam auf die Pferde und die Ponys zu sprechen.

Henny ging darauf ein, berichtete was, es neues gab und fügte hinzu, dass die Verwaltung alleine in Rafes Händen lag. Sie selbst kümmere sich derzeit mehr um Jakob, der ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruche. Immerhin habe sie, bis Anfang November, im Betrieb mitgearbeitet.
„Was haben die Gäste dazu gesagt?“, wollte Dick wissen.
„Zu der Frühstückspension im Allgemeinen oder bezogen auf meine gute Hoffnung?“
„Was die Frühstückspension angeht, so habe ich bisher nur gute Rückmeldungen bekommen. Was die Schwangerschaft angegangen ist, auch irgendwie. Ich bin ja nur schwanger gewesen und nicht wirklich krank. Warum hätte ich da nicht mitarbeiten sollen? Wobei meine Arbeit eigentlich vorwiegen darin bestanden hat, den Gästen das Frühstück zu servieren und nett mit ihnen zu plaudern.“
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Kapitel 504

Beitrag von Andrea1984 »

„Das ist doch immerhin etwas.“, versuchte Dick ihre Schwiegertochter aufzumuntern.
„Ich habe das alles nur, dank der Disziplin von Großmamá geschafft.“, versicherte Henny. „Irgendwie hat sie mich geprägt, obwohl ich mich kaum noch an sie erinnern kann.“
„Na besser eine Großmutter zu haben, als gar keine. Ich weiß, wovon ich rede.“
„Aber du bist deutlich älter gewesen, als deine gestorben ist, stimmt’s?“
„Ja und da sehe ich das natürlich ein wenig anders.“
„Chrissy behauptet, sie kann sich nicht mehr an Großmamá erinnern. Das macht eben den Altersunterschied von 1 ½ Jahren aus.“
Henny erzählte weiter, dass sie nach wie vor auch mit Chrissy in Kontakt stehe, die allerdings mehr Hamburg oder Lübeck unsicher machen, als in Ruhe daheim zu bleiben und durchzuatmen wolle.
„Dann wird Chrissy bestimmt eurer Mutti über den Weg laufen?“
„Wird sie nicht. Hamburg ist eine große Stadt und Chrissy geht Mutti ebenso aus dem Weg, wie ich es tue. Mag sein, dass Chrissy und ich auch sonst unterschiedlich wie Tag und Nacht sind. Aber: In dieser Hinsicht sind wir uns einig.“
Dick hörte geduldig zu, wie Henny meinte, bezogen auf die Geschwister und Halbgeschwister, es sei alles halb so schlimm und immerhin wisse sie, wer zu wem gehöre und wer nicht. Andere Kinder wüssten nicht, wer der Vater sei oder hätten von der Existenz etwaiger Geschwister keine Ahnung.

„Für Jakob wünsche ich mir ein Geschwisterchen oder vielleicht auch zwei. Mal sehen. Wie es kommt, so kommt es. Ändern kann ich es ja nicht.“
„Was machst du wenn Jakob doch ein Einzelkind bleiben sollte?“
„Das kann ich ihm nicht zumuten. Zu meinen ehemaligen Schulkollegen gehören auch ein oder zwei, die Einzelkinder und sehr verwöhnt sind. Dann doch lieber ein paar Geschwister.“
„Platz ist hier ja genug, seit dem Umbau. Das dürfte wohl das geringste Problem sein.“
„Dann schon eher das leidige Geld. Aber was soll’s. Ich bin lieber hier auf dem Immenhof und im Dorf, anstatt irgendwo hin auf Urlaub zu fahren. Die Flitterwochen mit Rafe sind wirklich sehr schön gewesen, aber auch sehr kostspielig.“
„Man heiratet nur einmal im Leben. Ralf und ich haben keine Flitterwochen gehabt.“
„Vermutlich aus Kostengründen?“
„Ja und nein.“, antwortete Dick. „Zum einen deshalb und zum anderen, weil der Tod meiner Großmutter erst ein halbes Jahr zurückgelegen ist. Was glaubst, was die Leute im Dorf damals geredet hätten. An meiner frühen Heirat hat sich dagegen niemand gestoßen.“
„Das kann ich gut nachvollziehen. Und hätte vermutlich damals genauso oder ähnlich gehandelt.“

Henny nahm ihren Sohn wieder auf, legte ihn an, wechselte die Seiten. Dick sah schweigend zu. In dieser intimen Situation brauchte es keiner Worte.
„Henny hat einen Instinkt dafür. Sie weiß genau, was Jakob braucht und was nicht.“, dachte Dick, hoffte, dass ihr niemand ihre Gedanken ansah. „Dalli hat sie nie um ihre Kinder gekümmert, das weiß ich von Alexander her. Er hat mir auch erzählt, dass Dalli noch während der Schwangerschaft mit Chrissy und danach schwer erkrankt gewesen ist. Das wäre eine Erklärung, warum Dalli zu Chrissy kaum eine enge Bindung aufgebaut hat. Aber bei Henny kann ich dieses distanzierte Verhalten nicht nachvollziehen. Du lieber Himmel. Ich mache mir Gedanken um Dalli, obwohl ich genau das vermeiden wollte. Sie müsste schon einen Schluckauf haben, weil ich doch recht oft an sie denke.“

Dick streckte sich wie eine Katze und bat nun Henny darum, sich zurückziehen zu dürfen.
„Tu das. Ich werde derweilen nach Rafe sehen und ein gemütliches Stündchen oder zwei gemütliche Stündchen mit ihm verbringen, solange Jakob schläft.“
Dick blieb auf dem Sofa sitzen oder vielmehr machte es sich dort gemütlich, während Henny und Jakob das Wohnzimmer verließen. Der warme Duft, der nach wie vor den Äpfeln und der Schokolade ausging, machte Dick schläfrig. Sie schlief nicht tief, sondern döste mehr oder weniger vor sich hin.

Erst der Geruch nach Tee machte sie wieder munter. Dick warf einen Blick auf die Uhr: „Ich habe 3 Stunden geschlafen. Was ist das für ein Skandal. In dieser Zeit hätte ich soviel sinnvolles tun können. Nun ja, heute ist ja Silvester, da muss ich auf Vorrat schlafen, damit ich um Mitternacht munter bin. Ich lasse mich überraschen, was Rafe und Henny für heute Abend geplant haben. Wir können ja nicht die ganze Zeit nur essen und trinken und miteinander plaudern. Vielleich gibt es ein Brettspiel, dass wir miteinander spielen können. Oder wir hören gemeinsam ein Hörspiel im Radio. Das wäre doch was.“
An diesem Tag fand die Teestunde zwar statt, aber sie wurde deutlich verkürzt. Auch die Kekse waren knapp bemessen, da es ja später noch eine große Mahlzeit geben sollte. Nach der Teestunde wollte Dick wieder weiterschlafen, wurde jedoch, buchstäblich im letzten Augenblick, daran gehindert.
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Kapitel 505

Beitrag von Andrea1984 »

„Du willst was?“, Dick rieb sich erst das linke Ohr, dann das rechte, als ob sie etwas an den Ohren hätte.
„Ich will reisen, etwas von der Welt sehen.“, antwortete Alexander in einem neutralen Tonfall. „Was Dalli kann, kann ich schon lange. Ich muss ja nicht gerade dorthin fahren, wo sie sich aufhält.“
„Aber wieso? Du bist ja nicht mehr der jüngste.“
„Eben. Gerade deshalb. Ich habe lange genug gearbeitet, nur wenig erspart und mir kaum etwas gegönnt. Nun wird es allmählich Zeit für einen Tapetenwechsel.“
„Deine Kinder und deine Enkelkinder …“, Dick gingen allmählich die Argumente aus.
„Die einen sind schon groß und brauchen mich nicht mehr so oft wie früher. Und die anderen sind noch zu klein, um alles verstehen zu können. Sobald wie möglich, setze ich mich in ein Flugzeug oder einen Zug und reise kreuz und quer durch die Welt, solange es meine Gesundheit zulässt.“
„Dein Geldbeutel wohl auch.“, warf Rafe ein, nickte Richtung Stine, die gerade dabei war, den Tisch abzuräumen.
„Stimmt, daran habe ich gar nicht gedacht. Na ein paar Pfenning habe ich gerade noch. Für eine Reise nach Italien oder nach Frankreich wird’s wohl schon reichen.“
„Was sagt Sigrid dazu?“, Dick wusste, dass es sie eigentlich nichts anging, aber sie wollte es wissen.
„Mit ihrem Reisebüro hat sie mich doch erst auf die Idee gebracht. Gemeinsam verreisen können wir leider nicht, so gerne wir das auch täten. Das liegt daran, dass Sigrid fleißig arbeiten gehen muss.“
„Oh, so habe ich das nicht gemeint.“, Dick schluckte, als ob sie in ein Fettnäpfchen getreten wäre.
„Ich habe lange mit Sigrid darüber geredet. Mit den Kindern allerdings nicht.“
„Sie werden sich nun mal daran gewöhnen müssen, dass du außer Landes bist.“, Dick gab zu, sie müsse diese Neuigkeit erst einmal verdauen.
„So eilig habe ich es ja mit dem Verreisen nicht. Den Winter über werde ich noch hier bleiben.“
„Dann bin ich beruhigt. Wir sehen uns ja hoffentlich noch, bevor du entgültig deine Koffer packst?“
„Ja und falls sich das nicht mehr ausgehen sollte, dann telephonieren wir eben miteinander.“

„So, die Teestunde ist beendet. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch noch ein wenig die Füße vertreten.“, bot Rafe an. „Oder wir bleiben hier im Wohnzimmer sitzen und machen es uns gemütlich.“
„Ich muss Jakob versorgen. Und das am besten alleine.“, Henny stand auf, hob ihren Sohn aus der Wiege.
„Darf ich nicht doch dabei sein?“
Henny schüttelte den Kopf: „Dabei kannst du mir nicht helfen. Ich gehe jetzt hinüber ins Schlafzimmer, lasse aber die Verbindungstüre offen stehen, falls Jakob oder ich etwas brauchen.“

Dick fühlte sich unbehaglich, als einzige Frau unter lauter Männern. Leider war Molly nirgends zu sehen.
„Mein Skizzenblock ist voll mit neuen Bildern. Ich weiß jetzt nicht mehr, was ich noch tun soll.“, jammerte Ralf.
„Im Arbeitszimmer sind ein paar Stöße loser Blätter. Magst du ein oder zwei davon haben?“
„Damit komme ich nicht lange aus.“
„Hast du bei deinen bisherzigen Skizzen die Blätter von allen Seiten verwendet?“
„Ja, deshalb bin ich so frustriert. Der Stift funktioniert tadellos. Und ich habe noch soviele Ideen.“
„Lass uns ins Arbeitszimmer gehen und die leeren Papiere holen. Gestattet ihr?“
„Was gibt es da zu gestatten?“, lachte Dick, frei heraus. Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück.

„Das hätte ich mir nie träumen lassen, dass mir das passieren wird.“, seufzte Alexander. „Seit 20 Jahren sind Dalli und ich nun verheiratet, allerdings rund die Hälfte davon nur noch auf dem Papier.“
„Was hättest du dir ausgemalt? Dass Dalli und du ein halbes Dutzend Kinder oder vielleicht sogar ein Dutzend Kinder hättet und glücklich bis ans Ende eurer Tage hier lebet?“
„So in etwa, ja. Aber es kommt immer anders als man denkt. Ob Chrissy sich noch in diesem Jahr bei mir melden wird, weiß ich nicht. Ständig ist sie unterwegs, vorläufig nur in Hamburg oder in Lübeck.“
„Dallis Gene lassen sich nicht verleugnen.“
„Es stimmt wohl. Chrissy ist so ganz anders als ich.“

Dick erfuhr nun, was damals geschehen war und warum Dalli nach Chrissy’s Geburt keine Kinder mehr haben konnte.
„Dabei hätte Dalli sich so sehr einen Sohn gewünscht. Das hat sie mir einmal erzählt.“
„Man kann eben nicht alles im Leben haben. Es muss sehr schwer für sie gewesen sein.“
„Darüber habe ich mir nie so wirklich Gedanken gemacht. Nach einer längeren Pause hat Dalli wieder ihre Arbeiten und die Ausritte aufgenommen, als ob nichts gewesen wäre.“
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Kapitel 506

Beitrag von Andrea1984 »

„In dieser Hinsicht tut mir Dalli leid. Ups, das ist mir jetzt so herausgerutscht.“
„Du leidest mit ihr, von Frau zu Frau.“
„So ungefähr, ja.“, Dick erzählte nun ihrerseits, was ihr vor vielen Jahren geschehen war und bat um Stillschweigen. „Ralf und ich haben uns zwar wieder versöhnt, aber trotzdem es bleibt ein bitterer Nachgeschmack.“
Dick ergänzte, dass sie damals ihren Kindern nichts davon erzählt hatte und ebenso nach außen hin so getan hatte, als wie wenn nie etwas vorgefallen gewesen wäre.
„Haltung bewahren. Das hat Oma Jantzen immer gesagt. Und ich glaube, dass hat sie auch an andere weitergegeben.“
„Dabei ist deine Oma Jantzen viel nun ja lockerer als Mamá gewesen.“, meinte Alexander.
„Ich habe deine Mutter nicht gekannt.“
„Da hast du etwas versäumt. Und ich habe deine Oma Jantzen nie gekannt.“

Dick gab zu, dass sie bisweilen davon überfordert war, so jung schon selbst eine Großmutter zu sein. Irgendwann würden die Enkelkinder größer werden, zu rechnen anfangen und Fragen stellen.
„Sollen sie doch. Bobby und Hasso haben mich damals 1978 mit noch nicht einmal 43 Jahren zum Großvater gemacht. Im ersten Moment bin ich auch total geschockt gewesen. Aber inzwischen habe ich mich damit abgefunden. Alles hat eben seine Vor- und Nachteile. Wenn mir die Enkelkinder zu sehr auf die Pelle rücken, so kann ich sie jederzeit nach Hause schicken.“
„Wer weiß, wieviele gemeinsame Enkelkinder wir noch bekommen werden.“
„Ich vermute einmal, zwei oder drei mehr noch, dann wird wohl Schluss sein. Doch: Die Entscheidung darüber obliegt nicht mir. Und ich bin froh, endlich einmal nicht die Verantwortung tragen zu müssen.“

Ralf und Rafe kamen wieder zurück. Ralf hielt einige Papiere in den Händen und machte sich sogleich an die Arbeit, neue Motive zu zeichnen. Wie seit vielen Jahren zuerst mit dem Bleistift.
Rafe trug auch etwas oder vielmehr jemanden in den Armen, nämlich Molly.
„Wo kommst du den her?“
„Aus dem Arbeitszimmer. Sie hat es sich auf eben diesem Stoß Papiere bequem gemacht und ein wenig gefaucht, als ich sie aufgehoben habe.“
„Da klebt ein Katzenhaar nach dem anderen.“
„Das ist mir egal. Die Katzenhaare kann man ja wegkehren.“, Ralf spitzte den Bleistift.
Molly legte ihr Köpfchen nahe an Rafe’s Schulter, blinzelte mit den Augen.
Dick wusste, dass diese Geste in der Katzensprache großes Vertrauen in den Menschen bedeutete.

„Henny und Jakob schlafen drüben. Ich habe nur kurz hineingesehen.“, berichtete Rafe. „Beide sehen so friedlich aus, wie sie da liegen. Sie haben sich diese Ruhe auch verdient.“
Molly schnurrte. Dick fühlte sich dadurch sehr entspannt.
„Soll ich nach Stine klingeln, damit sie uns noch einen Tee oder einen Kakao bringt? Für Kaffee ist jetzt schon zu spät.“, bot Rafe an.
„Ja, das wäre sehr nett.“, antwortete Alexander, noch bevor Dick etwas sagen konnte.
„In zwei Stunden findet das große Abendessen statt. Daher haben wir heute die Teestunde verkürzt.“
Dick gab zu, sie habe eigentlich keinen Hunger, aber dafür umso mehr Durst, was wohl an der Wärme liegen mochte, welche der Kamin hier verbreitete.
„Das Holz, das hier knistert, haben Onkel Alexander und ich selbst geschlagen.“, brüstete sich Ralf.
„Hätte ich einen Hut, so würde ich ihn vor euch ziehen.“
„Ole hat uns dabei geholfen, das Holz in kleine Teile zu spalten.“, ergänzte Alexander.
„Brav, brav.“, antwortete Dick beinahe etwas zerstreut.

Unter einem Vorwand verließ sie das Wohnzimmer, schlich sich auf Zehenspitzen nach nebenan, um selbst bei Henny und Jakob nach dem Rechten zu sehen. Alles war in Ordnung. Dick hielt den Atem an. Der Dielenboden knackte oder war es das Holz im Kamin? Dick trat, so leise wie es ihr möglich war, an das Bett, in dem Henny schlief, strich ihr kurz über die Wange, huschte dann nach draußen.
Eine kleine Geste, mehr nicht. Dick war felsenfest davon überzeugt, dass es Dalli gleichgültig war, wie es Henny und Jakob ging, sonst hätte sie sich bestimmt schon auf ihre Weise gemeldet, sei es brieflich oder telephonisch oder mit einem Telegramm oder vielleicht sogar mit einem E-Mail.

Inzwischen war der bestellte Kakao gekommen, auf den man sich geeingt hatte. Dick trank nur selten Kakao, da er ihr beinahe ein wenig zu süß war. Doch dieser hier schmeckte ihr ausgezeichnet. Weder zu süß, noch zu herb. Es gab auch Schlagsahne dazu, in einem kleinen Schälchen. Aber Dick lehnte diese ab. Ihr Zuckerspiegel sollte nicht noch mehr steigen, als es unbedingt notwendig war.
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Kapitel 507

Beitrag von Andrea1984 »

„Verflixt? Was ist das? Wieso klingt hier ein Handy?“, Dick blickte sich um, sah zunächst in ihrer eigenen Handtasche nach. Ihr Handy blieb stumm. Erst nach einer Weile verstummte das Klingeln, weil das Gespräch angenommen wurde. Es war Ralfs Handy, das die Idylle gestört hatte.
Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten.
„Es tut mir leid, doch ich muss diese traute Runde verlassen. Gerade habe ich einen wichtigen Auftrag hereinbekommen, den ich nicht ablehnen kann.“
„Muss das sein? Gerade heute?“
„Tja, das ist einer der Nachteile, wennn man sein eigener Chef ist.“
„Soll ich dir beim Koffer packen helfen? Viele Sachen hast du ja nicht mitgenommen.“, bot Dick an. Sie wollte noch ein wenig bei Ralf sein, als ob sie ihn nicht ohnedies jeden Tag um sich hätte.
„Das schaffe ich schon alleine. Den Auftrag kann ich in der Filiale in Lübeck durchführen. Mein Kunde wird dort auf mich warten.“
„Das ist ja wie bei den 10 kleinen Negerlein.“, warf Rafe ein. „Bald werden nur noch Henny und ich alleine da sitzen, wenn das so weitergeht.“
„Die Gefahr besteht nicht. Ich bleibe euch eine Weile erhalten.“, versicherte Alexander.
Ralf verabschiedete sich, packte die Koffer und griff dann noch einmal zum Handy.
„Was hast du vor? Willst du dir ein Taxi rufen?“
„Fährt heute noch ein Bus? Oder ist es dafür schon zu spät?“
„Ich fahre dich zum Bahnhof.“, bot Rafe an.
„Danke, das ist sehr nett von dir.“

Dick erhielt von ihrem Mann einen Kuss zum Abschied.
„Mach’s gut. Halt die Ohren steif.“, murmelte sie. „Und bitte ruf an, wenn du in Lübeck angekommen bist.“
„Ganz sicher. Du kannst dich auf mich verlassen.“

Dick trat hinaus auf den Balkon, spürte wie sich die kühle Nachluft auf ihre Wangen legte, winkte ihrem Gatten und ihrem Sohn so lange nach, bis sie beide nicht mehr sehen konnte.
„So ein Abschied tut dir wohl weh.“, meinte Alexander.
„Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass Ralf immer mal wieder plötzlich zur Arbeit gerufen wird, wenn ein dringender Auftrag auf ihn wartet.“, Dick schluckte, atmete tief durch, ging wieder zurück ins Wohnzimmer und schloss die Türe.
„Sei froh, dass Ralf kein Arzt geworden ist. Da müsste er oft die ganze Nacht lang arbeiten.“
„Leider tut er das auch so. Was gäbe ich für feste Arbeitszeiten und ebenso feste Einnahmen.“
„Man kann eben nicht alles im Leben haben. Apropos: Einnahmen. Weisst du eigentlich, wovon Rafe und Henny in den Herbst- und Wintermonaten leben?“
„Gute Frage.“, Dick zuckte mit den Schultern. „Vielleicht von Ersparnissen? Oder sie habe eine gute Hand für Geld.“
„Von Luft und Liebe alleine können sie nicht leben, das ist dir doch hoffentlich klar.“
„Natürlich. Doch ich habe keine Ahnung, wie die beiden Geld in ihre Haushaltskasse bekommen. Es geht mich ja auch nichts an.“, Dick winkte ab. Die Finanzen waren nicht ihre Sache. Und wenn Rafe und Henny Schulden machten, dann würde sie ihnen, wenn es nötig war, aus der Patsche helfen.
„Mich eigentlich auch nicht, aber da ich nach wie vor hier lebe, bekomme ich mehr mit, als für meine Ohren gut ist.“
„Spann mich doch nicht so auf die Folter.“, Dick nippte an ihrem, inzwischen kalt gewordenem Kakao.
„Von der Pony-Zucht, genau wie ihr damals. Einige Fohlen sind jetzt alt genug, um von der Mutter getrennt zu werden. Im Februar und im März 1995 können bereits die nächsten Fohlen verkauft werden. Auch wenn nicht alle reinrassig sind, so finden sie immer einen Käufer.“
„Darauf kommt es doch kaum an, sondern mehr auf die inneren Werte.“, Dick ergänzte, es sei bei den Menschen ja auch nicht viel anders. Außen hui, innen pfui.
„Wie bei Dalli, meinst du.“, Alexander beugte sich vor.
„So ungefähr, ja. Nach außen hin, strahlt sie eine perfekte Frau aus, aber wie es in ihrem Inneren aussieht weiß niemand so genau. Vielleicht noch Herr Holm oder nicht einmal der.“
„Ich bin selbst schuld, weil ich auf Dallis Charme und ihre Überredungskünste hereingefallen bin.“
„Wäre ich ein Mann, hätte ich mich bestimmt auch in Dalli verliebt.“, versuchte Dick einen Scherz zu machen, aber Alexander verzog keine Miene.
„Ich hätte den Immenhof auch gut und gerne alleine bewirtschaften können. Es wäre schon, mehr schlecht als recht gegangen. Bobby und Billy haben sich nie darüber beklagt, dass ich kein Geld gehabt habe. Einzig Mamá hat immer etwas daran auszusetzen gehabt, aber selbst keinen Finger gerührt, weil eine Dame der Gesellschaft, oder eine, die sich dafür hält, nicht arbeiten geht.“, Alexander rührte mit dem Löffel in seiner Kakaotasse, die noch bis zur Hälfte mit Kakao gefüllt war.
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Kapitel 508

Beitrag von Andrea1984 »

„Nun ja, das verstehe ich schon irgendwie. Oder du hättest Dalli gar nicht erst kennengelernt, sondern gleich eine Beziehung mit Sigrid angefangen.“
„Stimmt, das wäre für alle wohl das beste gewesen. Allerdings hätte ich nicht sagen können, wie sich Mamá und Sigrid miteinander verstanden hätten.“
„Vermutlich wären sie höflich miteinander umgegangen. Deiner Mutter wäre es wohl kaum in den Sinn gekommen, die Frau, die du liebst und von der du wiedergeliebt wirst, durch unstandesgemäßes Benehmen zu brüskieren.“
„In den Augen von Mamá ist kaum eine Frau gut genug für mich gewesen.“
„Das habe ich lange Zeit auch so gesehen, bezogen auf Rafe.“, ergänzte Dick.
„Er hat doch eine Freundin gehabt?“
„Ja, aber die Beziehung ist wohl rein platonisch gewesen. Oder Rafe ist einfach noch nicht reif für den wichtigen Schritte einer Ehe gewesen.“
„Dalli hat uns alle mit diesem Plan, also der Hochzeit von Rafe und Henny überrumpelt“, diesmal war es Alexander, der an seinem Kakao nippte.
„Wie hast du davon erfahren?“
„Beim Frühstück. Rafe hat es mir persönlich erzählt, nachdem Dalli ihn angerufen und ihm später auch die erforderlichen Unterlagen dazu geschickt hat. Er ist richtig in der Klemme gesessen.“
„Was wäre gewesen, wenn Rafe oder Henny die Sache abgelehnt hätte?“
„Das will ich mir gar nicht vorstellen. Ich habe mir keine Gedanken darum gemacht.“

Alexander streichelte Molly, die gerade auf der Lehne des Sofas entlangspazierte. Rafe hatte sie zuvor dort abgesetzt. Dick trank einen letzten Schluck, stellte die Tasse wieder zurück auf den Tisch.
Stine kam herein, zog die Vorhänge zu, trug das gebrauchte Geschirr ab.
„Möchtest du dich zu uns setzen?“
„Nein danke, ich habe noch soviel zu tun.“, Stine nickte kurz, verließ dann wieder das Wohnzimmer.
Wenige Augenblicke später trat Henny ein, Jakob trug sie in einer Babytrage vor sich her.
„So, jetzt bin ich wieder munter. Wer hat Lust auf eine Runde Monopoly oder Mensch-Ärgere-Dich-Nicht?“
„Ich schon, bei deinem Vater weiß ich es nicht.“, Dick strahlte wie ein kleines Kind.
„Oh, wenn ihr mich unbedingt dazu braucht. Ich bin nicht so der Karten- und Brettspielespieler. Ein Maskottchen habe ihr ja schon: Molly.“

Dick und Henny spielten also zu spät Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, wobei sie immer abwechselnd gewannen, als ob sie es abgemacht hätten. Alexander beobachtete die beiden, mischte sich jedoch nicht in das Spiel ein. Molly sprang von der Lehne auf das Fensterbrett, rollte sich dort zusammen und putzte sich ausgiebig.
„Gewonnen und zwar so haushoch, wie noch nie. Mit Rafe ist das spielen langweilig, weil er immer gewinnen möchte.“
„Er mogelt bestimmt.“
„Das kann ich ihm leider nicht nachweisen.“, Henny lachte leise, vermutlich um Jakob oder Molly nicht zu erschrecken.
„Gut, eine Runde noch, dann wird es wohl schon Zeit für das Abendessen.“, Dick blickte auf die Uhr.
„Die Zeit vergeht einfach so schnell. Ich kann es nicht fassen.“, Henny stellte die Figuren wieder auf. „Du fängst an, weil du verloren hast.“
Dick würfelte und würfelte, aber ihre Figuren bewegten sich einfach nicht vom Fleck. Henny hingegen hatte Glück und brachte von den vier Spielfiguren gleich zwei auf Anhieb ins Ziel.
„Na warte, die Suppe versalze ich dir.“, Dick zwinkerte mit den Augen, um zu verdeutlichen, dass sie ihre Bemerkung scherzhaft meinte.
„Dazu müsstest du mich erst einmal schlagen. Aha, jetzt kommt deine erste Figur langsam aus dem Haus heraus, sozusagen. Und meine dritte Figur steht bereits in der Mitte des Spielfeldes.“
„Abgerechnet wird am Schluss.“, Dick würfelte und warf eine Sechs. Nun war es Zeit, die zweite Figur aus herauszustellen.
„Du darfst noch einmal würfeln.“
„Das weiß ich doch.“, Dick tat es. Diesmal hatte sie zwar nur eine Fünf getroffen, aber diese reichte, um Hennys dritte Figur hinauszuwerfen.
Alexander lachten und auch Henny stimmte in sein Gelächter ein.

„Dalli hätte so etwas bestimmt nicht lustig gefunden und geschmollt.“
„Ganz sicher. Sie kann einfach nicht verlieren. Weder beim Spiel, noch in der Realität.“
Henny nahm nun den Würfel auf, versuchte es von neuem, ihre dritte Figur einzusetzen.
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Kapitel 509

Beitrag von Andrea1984 »

Diese Partie ging, überraschenderweise, doch noch an Dick. Sie hätte gerne weitergespielt, aber ein Gong ertönte. Dick wusste was das bedeutete und eilte rasch ins Bad, um sich die Hände zu waschen. Vom Erdgeschoss her, roch es nach Essen. Dick lief das Wasser im Mund zusammen.
Unten wartete schon Rafe: „Bitte nehmt Platz. Stine, die Suppe.“
„Ja, gnädige Herr.“
„Hmm, die schmeckt lecker.“
„Das ist eine zarte Kürbiscremesuppe. Lasst sie euch schmecken, es ist genug für alle da.“
Dick mundete die Suppe so gut, dass sie sich noch einmal geben ließ.
„Wer weiß, wann ich je wieder etwas so gutes zu essen bekomme.“
„Du kennst ja die weiteren Gänge noch nicht.“, Rafe und Henny wechselten einen bedeutungsvollen Blick.
Als nächstes folgte ein Zwischengang: Kleine Fleischspieße mit Pilzen und Bambussprossen.
Dick langte tapfer zu, wie die anderen auch. Lag es an der frischen Landluft? Oder einfach daran, dass das Frühstück schon einige Zeit her war?

Rafe berichtete, dass Ralf gut zum Zug gebracht worden sei und bereits ein SMS geschickt habe. Es sei alles in Ordung.
„Wo wird Ralf schlafen?“, wollte Alexander wissen. „Er hat doch kein Bett in der Firma?“
„Entweder in einem Hotel oder bei Anna und John, genau weiß ich das auch nicht.“
Während des Essens piepste Dicks Handy. Diese wusste, was das bedeutete oder vermutete es zumindest: Eine Nachricht von Ralf. Aus Gründen der Höflichkeit wollte Dick erst später nachlesen.
„Der Zug ist überfüllt gewesen.“, berichtete Rafe weiter.
„Kein Wunder: Alle Leute wollen lieber in die Großstadt, eine Party feiern oder was auch immer.“
„Also hier gefällt es mir hundertmal besser. Ich kann der Großstadt nichts positives abgewinnen.“
„Da schmeckt nicht mal das Essen so gut, wie hier.“, meinte Rafe, der sich noch einen Fleischspieß nahm und die Gäste aufforderte, es ihm gleichzu tun. „Es ist genug für alle da.“
„Dir schmeckt doch jedes Essen, weil du es nicht selbst kochen musst.“, neckte Dick.
„Wie wahr. Deshalb beginne ich schon langsam Speck um die Hüften anzusetzen.“
Dick war klar, dass ihr Sohn sich über sich selbst lustig machte. Rafe konnte, auch von seinen Feinden, so er denn welche hatte, nicht als dick bezeichnet werden. Kräftig, vielleicht, stattlich.

Auf die Fleischspieße gab es eine Pastete, die nur aus Gemüse und Kartoffeln, soweit Dick die Zutaten herausschmecken konnte, bestand. Woher kannte Stine nur diese Rezepte?
„Ich habe mir die Rezepte aus alten Kochbüchern herausgesucht und Stine einfach gebeten, diese nachzukochen. Sie ist ein wahres Naturtalent.“
„Eines Tages wird auch Jakob von ihrer Küche profitieren.“, meinte Henny.
„Wenn Stine bis dahin noch hier arbeitet.“, gab Dick zu bedenken.
„Warum auch nicht? Es macht ihr Freude, zumindest habe ich diesen Eindruck bekommen.“
„Es ist ja nicht nur das Kochen alleine, sondern auch die ganze Hausarbeit.“
„Stine will es so haben. Ich darf gar nichts tun.“, Henny gab zu, es gar nicht gewöhnt zu sein.
„Mir ist es auch am Anfang seltsam vorgekommen, aber ich habe mich schnell eingewöhnt.“
Dick pustete kurz, da die Pastete noch sehr heiß war und offenbar frisch aus dem Ofen kam.

Den vierten Gang bildete eine zarte Kruste, vom Schwein mit Bratkartoffeln und Klößen dazu. Dick hatte schon seit langem nicht mehr so gut gesessen und sandte ein Stoßgebet zum Himmel, diese „Kalorienbomben“ mögen sich nur ja nicht länger als nötig an den Hüften und an den Oberschenkeln festsetzen.
„Was machst du da? Betest du etwa?“
„Ich äh nein. Es soll ein verführter Neujahrsvorsatz werden.“, antwortete Dick auf Alexanders Frage.
„Willst du darüber reden?“
„Lieber nicht. Das ist, wie wenn man eine Sternschnuppe sieht und man sich etwas wünschen darf. Darüber reden bringt Unglück.“
„Der Himmel ist heute sternenklar. Vielleicht siehst du ja tatsächlich eine Sternschnuppe.“
„Wenn das so einfach wäre. Wie oft hätte ich schon eine Sternschnuppe gebraucht und keine gesehen.“
„Soll ich dir meine Brille ausleihen?“, bot Alexander an. „Ich trage sie nur sehr selten. Sie ist fast wie neu. Damit erkennst du bestimmt jede Sternschnuppe.“
„Für mich sieht ein Stern, wie der andere aus. Ich bin eine Kulturbanause.“
Alexander verriet zögernd, er brauche die Brille nur, um Gegenstände in der Nähe erkennen zu können. In die Ferne sähe er scharf wie ein Adler oder wie Winnetou oder wie Old Shatterhand.
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Kapitel 510

Beitrag von Andrea1984 »

Dick gefiel es, dass sowohl Alexander, als auch Henny die Gaben besaßen, über sich selbst lachen und ihre Fehler eingestehen zu können. Das war nicht allen Menschen vergönnt. Dick musste zugeben, von ihrem Schwager und ihrer Nichte noch einiges lernen zu können.
„Wie ich in Hennys Alter gewesen bin, habe ich nicht halb so viel Verantwortung wie sie getragen. Es sind doch andere Zeiten gewesen. Mit 19 oder 20 Jahren hätte ich nicht einmal im Traum daran gedacht, den Immenhof selbst zu leiten, geschweige denn schon ein Kind zu haben. Ich wäre dafür irgendwie zu unreif gewesen. Erst ein paar Jahre später, ist mein Körper dafür bereit gewesen.“

Dick hatte keinen Grund, sich über ihr Leben zu beklagen und konnte, wenn ihr danach zumute war, auf einen erfüllten Werdegang zurückblicken. Vorwärts blicken mochte sie zwar auch, aber nicht mehr so wie früher, als ihr ganzes Leben noch vor ihr gelegen hatte. Jetzt spürte sie, an ihrem Körper und an ihrer Psyche, dass sie sich allmählich dem Rentenaltern näherte. Im nächsten Jahr würde sie, so Gott wollte, 55 Jahre alt werden. Im Jahr 2000 bereits 60 Jahre alt. Dick hatte sich über das Jahr 2000 kaum Gedanken gemacht, da es ihr immer so fern erschienen war. Erst jetzt begriff sie, dass es kurz bevor stand. Was würden sich wohl für Veränderungen in den nächsten Jahren ergeben?

Als erstes vermutlich die Hochzeit von Pankraz und Johanna, wobei nach wie vor noch kein genaues Datum feststand. Dick wusste nur, von dem Brautpaar persönlich, dass sie, genau wie Ralf, auf der Gästeliste stand. Allzu viele Freunde hatten Pankraz und Johanna offenbar nicht mehr, da die Gästeliste nur wenige Personen umfasste. Vielleicht kamen ja noch einige dazu. Dick wollte es gar nicht wissen, wenn es soweit wäre, würde sie es ja schon sehen oder eben auch nicht.

Über die nächste Generation machte sich Dick auch so ihre Gedanken, während sie, mit einem scheinbar neutralen Gesichtsausdruck, die Nachspeise, ein Birnenkompott, löffelte. Bald würden die Enkelkinder groß werden und nicht mehr soviel Zeit bei den „alten Leuten“ verbringen oder womöglich gar keine. Dick wollte sich das nur schwer vorstellen, aber es musste sein. Sie selbst hatte viel Zeit mit Oma Jantzen verbracht, weil es gar nicht anders möglich gewesen war. Über die Großeltern der väterlichen Seite wusste Dick nichts. Auf dem Papier hatte sie welche, das ja, aber an einen persönlichen Kontakt oder einen Brief konnte sie sich, beim besten Willen, nicht erinnern.

Wie sich eine Großmutter gegenüber den Enkelkindern am besten verhalten sollte, dafür hatte Dick in Oma Jantzen ein leuchtendes Beispiel vor Augen. Mehr Verwöhnen, als Erziehen. Und wenn die Enkelkinder einem gar zu sehr auf die Nerven gehen sollten, so konnte man sie ja wieder der Obhut der jeweiligen Eltern übergeben. In einem gewissen Sinn rechnete Dick auch die Kinder von Bobby und Hasso, sowie jene von Billy und Heinrich zu den Enkelkindern dazu, wenngleich zu allen eher ein loser Kontakt bestand. Bobby und Hasso lebten zwar nicht weit weg, hatten aber immer viel zu tun. Eine Reise zu Billy und Heinrich war teuer und daher nur bei wichtigen Gelegenheiten möglich.
Dick hoffte, in ein oder zwei Jahren, wieder eine Reise auf den Immenhof machen und dabei das nächste Kind von Rafe und Henny in den Armen halten zu dürfen. Ob auch hier ein Stoßgebet oder der Gedanke an eine Sternschnuppe helfen konnte? Helfe es nichts, so schade es nichts.

Alexander würde wohl tatsächlich verreisen und vielleicht die eine oder die andere Postkarte verschicken.
Über Stine und Ole machte sich Dick keine Gedanken. Die Verantwortung für die beiden treuen Angestellten lag bei Rafe und Henny.

Dicks Gedanken glitten weiter zu Dalli und Henning. Mit Henning wollte sie auch im nächsten Jahr in Kontakt bleiben, seine Handynummer und seine Mailadresse hatte sie ja. Wer weiß, vielleicht würde es zu dem einen oder dem anderen Treffen kommen. Dick ließ sich das jederzeit offen. Beruflich würde sie wohl kürzertreten müssen, auch wenn es ihr noch so schwerfiel. Schließlich wollte sie noch etwas von ihrem Leben haben und nicht mit Mitte 50 oder mit Mitte 60 an einem Herzinfarkt oder etwas in der Richtung sterben.

Bezüglich Dalli wusste sich Dick keinen Rat und beschloss daher, die Entscheidung jemand anderem zu überlassen. Es würde schon alles recht werden. Nach dem Essen gingen Dick, Rafe, Henny, Alexander, Stine, Ole und Jakob alle warm angezogen auf den Balkon hinauf, um die Sterne zu sehen und das neue Jahr zu erwarten.
„Auf den Immenhof und noch viele weitere, glückliche Jahre.“, brachte der Hausherr einen Toast, mit Sektgläsern, lediglich Henny trank nur Orangensaft aus.
Dick schloss sich ihm an und erhob das Glas, lächelte, strahlend von einem Ohr zum anderen.

ENDE von "Allerhand auf Immenhof"

Die Fortsetzung heißt: „Das Erbe des Immenhofs“.

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Und folgt nach: "Abenteuer auf Immenhof".
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